1864 – Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen (Teil 5)

Wir schreiben das Jahr 1864. Dieses bringt den ersten der später so bezeichneten deutschen Einigungskriege: Nach einem von Dänemark nicht erfüllten kurzfristigen Ultimatum zur Rücknahme der Novemberverfassung greifen Preußen und Österreich das Königreich an und besiegen es innerhalb weniger Monate, wobei sie bis zur Nordspitze von Jütland vordringen. Im Frieden von Wien verliert Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, die von den Siegermächten vorläufig in Form eines Kondominiums verwaltet werden. In dieser mehrteiligen Reihe werden die Ereignisse aus Sicht des Tonderner Bürgers O. C. Hanquist wiedergegeben. Begeben wir uns auf eine spannende Reise in die Vergangenheit. In dieser 5. Folge begibt sich Hanquist wieder in den Keller und berichtet seinen Sohn voller Emotionen: „Es ist eine bedeutungsvolle Zeit in welcher wir leben, und mit jedem Tage können wir ja Neues erwarten.“

„Lieber Ludwig! Heute fange ich schon wieder einen Brief an Dich an, denn keinen Mercur kann ich Dir vorläufig senden, so lange wir vollständig vom Norden wie vom Süden abgesperrt sind, und keine Zeitungen, nur wahre und un­wahre Gerüchte zu uns dringen.“

Doch hoffe ich wird diese Absperrung bald sein Ende erreichen, und es dann heller Tag für uns alle werden. Heute Morgen hatte man hier das Gerücht Düppel sei genommen, und ein Bom­bardement auf Sonderburg eröffnet. Die arme Stadt! Doch je mehr Opfer es kostet, um so sicherer dürfen wir darauf vertrauen, daß unser endliches Loos ein gutes wird.

Ferner erzählte man heute Morgen, daß es in Copen­hagen schrecklich hergehen soll, alle Steine auf dem großen „Kongens ny Torv“ wären ausgebrochen, und dieser große schöne Platz soll ganz wüste daliegen, ferner daß die Soldaten, Hollsteiner und Schleswiger mit den Jütläudern gemeinschaftliche Sache machten, und auf die Bürger schossen. Doch was wahr oder unwahr davon ist, mag der liebe Gott wissen.

Ein preußisches Dauerbombardement führt zu einer erheblichen Zerstörung der Stadt, bei der unter anderem auch das Stadtpalais des Herzogs Ernst Günther vernichtet wurde.
Nachdem sie am 29. Juni 1864 von den Preußen erobert wurde, kam die Stadt Sonderburg zu Preußen bzw. ab 1871 zum Deutschen Reich. (1)

Nachmittags 3 Uhr. So eben komme ich vom Keller, wo ich zu Deinem Gebrauch Dir einliegende gedruckte Sachen mittheile die für Dich Interesse haben werden.

Was die Bekanntmachung des Preußischen Civil-Commissairs v. Zedlitz wegen der in ihren Aemtern verbleibenden Beamten anbelangt, so habe ich von dem von Flensburg zurückgekehrten Th. A. Todsen24) gehört, daß diese auf sie keine Anwendung finden kann, denn keiner von ihnen kann und wird sich der ausdrücklichen Bedingung unterwerfen:

Keine Königl. Beamte mehr zu sein, ihre Dienstkleidung und sonstige Abzeichen abzulegen. So soll der Civil-Commissair gegen die Deputation von hier geäußert haben, daß namentlich hier außer den Oberbeamten, ein deutscher Bürgermeister nächstens hier kommen würde.

Als die Deputation von hier dem v. Zedlitz sagte, daß wir hier schon den Herzog gehuldigt hätten, erwiderte er, daß sie dieses an allen anderen Orten gethan hätten, und dieses von weiter keinen Folgen sei. Wir müssen nun die weiteren Ergebnisse erwarten. 

Heute Morgen war wieder eine Land-Verhäuerung auf dem Rathskeller angesetzt, der Bürgermeister 17) erschien in voller Uniform mit dem Degen an der Seite, und wie er an die Kellerthüre kam und da die 2 Schleswig-Hollsteinischen Fahnen erblickte, befahl er Balthaser Keisig 25) sie abzureißen.

Da sprang aber Thomas Thodsen 24) hervor, und befahl daß die Fahnen der Bürger hängen bleiben sollten, daß die Bürger ihn nicht mehr als ihren Bürgermeister anerkennen konnten usw.; ich war nicht zugegen, habe es also nur von andern die gegenwärtig waren.

Tondern, den 13. Februar 1864: Wir leben in einem Tummel daß ich fast nicht weiß wo mir der Kopf sitzt. Gestern Abend kamen hier 23 Preußische Cürassiere (2), und heute um 10 Uhr rückten 750 Mann Infanterie ein; ich erhielt ins Quartier einen Lieutnant und Bedienten. Man sagt sie gehen bald wieder weg. Ich muß in der Eile schließen. Mein geliebter Ludwig! Dein treuer Vater, O. C. Hanquist. # Ende #

Fußzeilen:

17) Johannes Henrik Holm, Bürgermeister in Tondern von 28. 4. 1853 bis 12. 2. 1864, siehe Andresen, Bürgerbuch S. 27.

20) Christian August Valentiner, geb. Flensburg 28. 7. 1815, als Pastor in Tyrstrup entlassen 1850, war dann vorübergehend Seminardirektor und Pastor in Bernburg (Anhalt) und Propst in Coswig a. d. Elbe, wurde 1864 als Pastor und Propst in Tondern konstituiert, aber noch im gleichen Jahre Pastor und Propst an der Set. Nicolai-Kirche in Flensburg, bis er 1865 wieder in sein Amt in Tyrstrup eingesetzt wurde. (Arends.) Valentiner fehlt in der Liste der Pröpste Tonderns in Andresens Bürgerbuch.

23) Carl Bertel Madsen, aus Mögeltondern gebürtig, leistete als Kauf­ mann in Tondern den Bürgereid am 17. 11. 1851 auf dänisch.

24) Thomas Andreas Todsen, gebürtiger Tonderaner, leistete den Bürger­ eid als Kaufmann am 23. 6. 1828, wurde nach 1864 Ratsverwandter, nach­ dem er als Stadtkämmerer 1851 dem dänischen Regiment hatte weichen müssen. „Deutsche Hoffnung und deutsches Bekenntnis ließ ihn am 10. 5. 1848 seine Tochter Germania Victoria Liberta taufen“, Andresen, Bürger­buch S. 171.

25) Christian Balthaser Friedrich Keisig, Sohn eines aus Jütland zuge­ wanderten Tischlers Jürgen Christian Keisig (gestorben Tondern 20. 3. 1828) und dessen ebenfalls aus Jütland stammenden Ehefrau Metta Maria, geb. Sörenstochter (gestorben Tondern 8. 1. 1821), der anscheinend unter dem dänischen Regiment einen Stadtdiener abgegeben hat.

Quellen und weiterführende Informationen

(1) Obwohl bei der Volksabstimmung 1920 56 % der Stimmberechtigten für den Verbleib beim Deutschen Reich stimmten, gehört Sønderborg seit 1920 zu Dänemark, weil die Abstimmungsgebiete geschlossen behandelt wurden und die deutsche Mehrheit, die sich nur in einigen Städten fand, in den ländlichen Bereichen überstimmt wurde. Noch heute besitzt die Stadt einen beträchtlichen Anteil deutschsprachiger Bewohner, die mit anderen deutschen Bewohnern der Region Südjütland im Bund deutscher Nordschleswiger organisiert sind.

(2) Kürassiere sind eine mit Kürassen genannten Brustpanzern ausgestattete Truppengattung der schweren Kavallerie. Neben den Lanzierern entstanden sie in der Frühen Neuzeit und bildeten mit diesen als „Schwere Reiter“ das Gegenstück zu den Chevaulegers.

Beitragsbild: Erstürmung der Düppeler Schanze Nr. 2. Wilhelm Camphausens Gemälde zeigt den Kampf in der Schanze Nummer 2 der dänischen Befestigungsanlagen bei Düppel am 18. April 1864 um etwa Viertel nach zehn Uhr morgens.

Wilhelm Camphausen  (1818 – 1885) seinerseits soll im April 1864 im Flensburger Hotel Rasch abgestiegen sein. Camphausen war ein deutscher Militär- und Schlachtenmaler der Düsseldorfer Schule. Er besuchte 1864 das Schlachtfeld um dort zu malen. Er berichtet in seinem Buch „Ein Maler auf dem Kriegsfelde 1864: Illustriertes Tagebuch“ wie folgt:

In Flensburg Abends um 11 Uhr angekommen, wurden wir durch eine Ordonanz unseres verehrten Fürsten von Hohenzollern am Bahnhof empfangen und in das vom Kronprinzen für uns bestimmte Quartier, bei dem gemüthlichen Weinhändler Juhl, vis a vis Hotel Rasch befördert; eine um so freundlichere Überraschung, als wir uns, nach Aussagen der Mitreisenden unterwegs, schon mit Resignation in die Aussicht ergeben hatten, in der überfüllten Stadt, wenn nicht auf der Straße, doch besten Falles auf einem Stuhl im Wirthssaale die Nacht durch kampiren zu müssen. 

Statt dessen fanden wir bei der bekannten Madam Rasch, die, ungeachtet ihrer dänischen Sympathien, aus der preußischen Invasion recht gut Capital zu machen versteht, im großen Speisesaal, dem permanenten Versammlungsort der Offiziere des Hauptquartiers, prächtige Holsteiner Austern zu stärkendem Nachtimbiß. 

Dazu ergötzten wir uns zum ersten Male an dem kriegerischen Aussehen der anwesenden bärtigen Marssöhne, die in einigen wahrhaft riesigen Exemplaren mit rasselndem Korbschleppsäbel und hoher Reiterstiefel vorhanden waren.

Am andern Morgen, nach erquicklicher Ruhe im nationalen weichem Daunenbett, besahen wir uns zunächst die Stadt mit ihrer lang gestreckten Hauptstraße, ihren alterthümlichern Giebelhäusern, dem stattlichen Hafen, an dem wir, in langen Zügen die frische Luft athmend, auf und nieder wandelten. 

Dann machten wir dem Fürsten von Hohenzollern unsere Aufwartung, der uns mit gewohnter Liebenswürdigkeit empfing, zur vorläufigen Orientirung mit höchst beachtungswerthen Notizen versah und uns Mittags zu einem soldatischen Gabelfrühstück einlud. 

Bis dahin besuchten wir den hoch über der Stadt gelegenen Kirchhof mit seinen Denkwürdigkeiten, den Gräbern der 1850 bei Idstädt gefallenen Dänen, den kürzlich zerstörten Fundamenten des berüchtigten Bronze-Löwen und die köstliche Aussicht auf den Hafen und die ferne tiefblaue See.Quelle

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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