Böse Biografien: Herta Oberheuser

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Sechs Jahre später überzog das nationalsozialistische Deutschland die Welt mit Krieg und Massenmord. Die Rolle von Frauen wurde in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs nur am Rande wahrgenommen. Dabei waren sie nicht etwa passive Zeuginnen eines von Männern verübten Völkermords, sondern aktive Komplizinnen und Mörderinnen. Eine von ihnen hieß Herta Oberheuser, die von vielen als „Bestie von Ravensbrück“ bezeichnet wurde:. Die Geschichte der Herta Oberheuser ist typisch für so viele nach den grauenvollen Verbrechen der Nazis

Nur wenige Nazis mussten für ihre Taten büßen, viele blieben unbehelligt oder galten als Mitläufer oder „entlastet“. Herta Oberheuser war die einzige Frau, die im Nürnberger Ärzteprozess wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagt und verurteilt wurde. Ihr Schuldspruch am 20. September 1947 lautete: zwanzig Jahre Haft, ohne dass ihr die Zulassung als Ärztin entzogen wurde. Von den zwanzig Jahren Haft verbüßt sie nur vier. Dann wird sie wegen guter Führung entlassen, eröffnet 1952 eine Privatpraxis in Stockhausen (bei Neumünster), in Schleswig-Holstein und nimmt eine Anstellung in der katholischen Johanniter-Heilstätte in Plön an. Wie konnte eine Ärztin weiter praktizieren, die in Ravensbrück die Beine gesunder Frauen aufschnitt und Stoff und Holzsplitter hineinnähte, um zu sehen, wie der Wundverlauf ist?

Wir erinnern: Oberheuser war es, die die Frauen für die Experimente aussuchte und die Nachbetreuung der Folteropfer unternahm. Manchmal spritzte sie sie zu Tode.

Wie konnte geschehen, dass eine Verbrecherin nach dem Ende der Naziherrschaft in der jungen, demokratischen Bundesrepublik wieder praktizieren durfte? Warum hat die deutsche Nachkriegsjustiz in Teilen die Augen vor ihren Verbrechen mindestens genauso verschlossen wie vor denen ihrer männlichen Mitstreiter?

Die Entnazifizierung verschonte Frauen, die in Verbrechen verwickelt waren mehr noch als Männer. Selten stellte man ihnen unangenehme Fragen. So auch in Schleswig-Holstein. Oberheuser, die nur vier Jahre inhaftiert war, galt als „entlastet“. Auf Empfehlung des Bundesarbeitsministeriums (1) wurde sie als Spätheimkehrer anerkannt, wodurch sie eine spezielle berufliche Förderung genoss.

Die „Bestie von Ravensbrück“ vs. die „nette Frau Doktor“  

Nun startete die KZ-Ärztin aus Stocksee ihre zweite Karriere. In der kleinen Gemeinde und den umliegenden Orten erfreute sie sich schnell Beliebtheit. Sie galt als „freundlich“, „kümmerte sich um die Menschen“, erzählt noch heute eine ihrer Patientinnen (2).  

Eine andere Erinnerung hat Anne Reichel. Sie war 1955 ein kleines sieben Jahre altes Mädchen, als sie bei einer Freundin die „nette Frau Doktor“ erlebte. Sie fragte ihre Mutter, ob sie nicht auch von ihr behandelt werden dürfte. An die Antwort erinnert sie sich noch heute, denn ihre Mutter meinte: „Eher rufe sie den Tierarzt, als das eine KZ-Ärztin ihre Kinder anfassen dürfe“ (2).

Die Verschleppung des Falles löste international Empörung aus: Erst 1958 ist das Innenministerium bereit, ihr die allgemeine Zulassung als Ärztin zu praktizieren – die Approbation – zu entziehen.

Einwohner von Stocksee setzen sich für sie ein. Nach einem Rechtsstreit wird ihr 1960 wegen fehlender „Charakterfestigkeit, Menschlichkeit und sittliche(m) Bewußtsein“ die Approbation endgültig entzogen. Sie stirbt 1978 in Linz am Rhein.

Zusammenfassung & Fazit: Die Rolle von Frauen wurde in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs nur am Rande wahrgenommen. Dabei waren sie nicht etwa passive Zeuginnen eines von Männern verübten Völkermords, sondern aktive Komplizinnen und Mörderinnen.

Historiker des Instituts für Zeitgeschichte München−Berlin stellen heute unser unausgesprochenes Vorurteil über Frauen und die Gewalt zu der sie fähig sind in frage. Und es macht klar, das ein Völkermord immer das Verbrechen einer ganzen Gesellschaft ist.

Heute wissen wir, rund 500.000 Frauen waren ab 1939 in den von der Wehrmacht besetzen Gebieten aktiv – dort, wo der Holocaust in die Tat umgesetzt wurde. Über die Hälfte von ihnen meldete sich freiwillig, die anderen waren notdienstverpflichtet oder kriegshilfsdienstpflichtig. Und sie waren nicht etwa passive Zeuginnen eines von Männern verübten Völkermords, sondern unentbehrliche Mittäterinnen. (3)

Das Engagement und die Brutalität der Sekretärinnen, Krankenschwestern, KZ-Wächterinnen und Ehefrauen von SS-Männern wirft Frauen auf: Wie sind sie zu Komplizinnen, mitunter zu Mörderinnen geworden? Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir tiefer in die Erziehung und die Psychologie des Nationalsozialismus eintauchen und in frühe Kindheiten jener Zeit. Das soll Inhalt weiterer Posts sein, die in Kürze folgen. Liebe Leserinnen und Leser, bleiben Sie bei der Stange!

Quellen / Weiterführende Informationen

(1) Monika Zorn: Hitlers zweimal getötete Opfer. Westdeutsche Endlösung des Antifaschismus auf dem Gebiet der DDR. Freiburg 1994, S. 72.

(2) NDR; Die „nette Frau Doktor“ aus Stocksee

(3) ARTE-Doku „Frauen der NS-Zeit„

Beitragsbild (gemeinfrei): Herta Oberheuser als Angeklagte im Nürnberger Ärzteprozess;

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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