Wir schreiben den 29. Oktober 1938: Der damals 15-jährige Siegfried Jaffe erinnert sich: „Wir durften nur das allernotwendigste mitnehmen und wurden unterstaendiger [sic!] Bewachung zum Bahnhof gebracht, dieses Gefuehl [sic!] zu schildern ist fast unmoeglich [sic!], aber dieser Moment verfolgt mich bis zum heutigen Tage. An diesem Tag verloren wir alles was wir gehabt haben, unser altes Leben, unser Heim und unsere Familie.“ (1) Dieses Schicksal des Jungen und seiner Familie wurde Ende Oktober 1938 von tausenden polnischen Juden geteilt. Es war ein Verbrechen und nannte sich „Polenaktion„. Es war Präludium des Holocaust.
Ende Oktober 1938 wurden in einer Massenaktion rund 17.000 Menschen aus dem Deutschen Reich nach Polen ausgewiesen. Verfolgt wurden sie als Jüdinnen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit. Diese sogenannte „Polenaktion“ ist bis heute in der Erinnerung wenig präsent.
Die meisten der Betroffenen kamen in der polnischen Kleinstadt Zbąszyń (Bentschen) an. Dort wurden sie in improvisierten Notunterkünften untergebracht und mussten unter katastrophalen Bedingungen leben. Viele von ihnen starben an Hunger, Kälte und Krankheiten.
Die „Polenaktion“ war die erste von den Nazis minuziös geplante und koordinierte Massendeportation der Juden aus dem Dritten Reich. Sie war ein Präludium des Holocaust, der kurz darauf in Gang gesetzt wurde.
„Polenaktion“ in Schleswig-Holstein
In Schleswig-Holstein waren insgesamt 160 Menschen von der „Polenaktion“ betroffen. Sie kamen aus folgenden Orten:
- Flensburg: 31
- Kiel: 27
- Lübeck: 20
- Neumünster: 12
- Rendsburg: 9
- Eutin: 5
- Schleswig: 5
- Husum: 4
- Itzehoe: 3
- Bad Segeberg: 2
- Neustadt in Holstein: 2
- Heide: 1
- Plön: 1
Beispiel Rendsburg
Die meisten Betroffenen waren in Flensburg und Kiel ansässig. In Rendsburg wurden neun Erwachsenen und zwei Kinder in das Gefängnis in der Rendsburger Straße gebracht. Sie wurden dort mehrere Tage festgehalten, bevor sie am 30. Oktober 1938 nach Zbąszyń deportiert wurden.
Die Betroffenen waren:
- Familie Abraham und Regina Goldstein mit den Kindern Hedwig und Simon
- Familie Bernhard und Klara Goldstein mit den Kindern Selma und Ernst
- Familie David und Anna Goldstein mit den Kindern Abraham und Sarah
- Familie Elias und Rosa Goldstein mit den Kindern Esther und Josef
- Familie Jacob und Amalie Goldstein mit den Kindern Hermann und Salomon
- Familie Michael und Johanna Goldstein mit den Kindern Martha und Arthur
Die »Polenaktion« ist bisher weder systematisch recherchiert noch rekonstruiert worden. Das soll sich nun ändern.
„Ausgewiesen! 28.10.1938“ – Die Geschichte der „Polenaktion“
Wanderausstellung des Aktiven Museums Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. v. 31.10. – 31.12.2023
Die Stadt Rendsburg und das Jüdische Museum in der Stiftung SH Landesmuseen gedenken dem 85. Jahrestag der „Polenaktion“.
Die Ausstellung erzählt erstmals die Geschichte der Deportation im Oktober 1938. Biografische Tafeln erzählen Lebenswege und Schicksale von Ausgewiesenen aus verschiedenen Städten und Orten in Deutschland, Kontexttafeln erläutern die Hintergründe.
Die Wanderausstellung basiert auf einer vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin und dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. gemeinsam mit Studierenden erarbeiteten Ausstellung zur Geschichte der „Polenaktion“ in Berlin. Seit 2018 wurde sie u.a. in Berlin, Warschau, Frankfurt am Main und Dortmund gezeigt.
Weitere Informationen unter diesem Link Jüdisches Museum Rendsburg.
Die „Polenaktion“ war ein dunkles Kapitel der Geschichte Schleswig-Holsteins. Es ist wichtig, sich an diese Ereignisse zu erinnern und sie zu bekämpfen.
Quellen / Weiterführende Informationen
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(1) K. Dressel, N. Wegt, An diesem Tag verloren wir alles, was wir gehabt haben, [in:] Ausgewiesen! Berlin, 28.10.1938. Die Geschichte der „Polenaktion“, herausgegeben von Alina Bothe und Gertrud Pickhan, Berlin 2018, S.185.
Porta Polonica – Dokumentationsstelle zur Kultur und Geschichte der Polinnen und Polen in Deutschland; Link „Polenaktion“ 1938
Link Landesmuseen Schleswig-Holstein
Link Jüdisches Museum Rendsburg
Beitragsbild: Max Ring vor der Bustür, umringt von Polizei und Feuerwehr © Slg. Uwe Jäckel via Stadt Rendsburg (Pressemitteilung)
Nachtrag: Beitrag am 31.10.23 aktualisiert