Vor 30 Jahren:  Brandanschläge in Mölln

„Das Gedenken an Bahide Arslan, Yeliz Arslan und Ayşe Yilmaz ist nicht abgeschlossen. Und der Auftrag an uns als Gesellschaft ist es auch nicht.“

Rassismus tötet. Lars Harms, Politiker (SSW) und Abgeordneter im Landtag von Schleswig-Holstein sagte heute (23.11.2022) in Gedenken an die Brandanschläge in Mölln vor 30 Jahren:

Wir gedenken heute der Brandanschläge in Mölln vor 30 Jahren. Am 23. November 1992 warfen dort zwei Neonazis Brandsätze in zwei Häuser. Bei diesen Brandanschlägen kamen drei Menschen ums Leben und neun wurden schwer verletzt. Bahide Arslan, Yeliz Arslan und Ayşe Yilmaz starben. Yeliz und Ayşe waren noch Kinder. Ihre Großmutter starb, als sie versuchte, sie zu retten. 

Die Neonazis, die in dieser Nacht mordeten, haben sich noch in der Nacht der Anschläge zu ihren Taten bekannt. Sie selbst haben bei der Polizei und Feuerwehr angerufen und ihre Nachrichten mit Heil Hitler! beendet. Und trotzdem berichten die Hinterbliebenen, die Überlebenden der Anschläge, dass die Hintergründe dieses Verbrechens mal hinter vorgehaltener Hand, mal offenkundig in Zweifel gezogen werden.

Wir kennen es auch aus den Ermittlungen des NSU, dass im Umfeld der Familie ermittelt wurde. Sie kennen die Worte des Überlebenden Ibrahim Arslan. Er beschreibt das als den zweiten Anschlag. Ein zweiter Anschlag, der die Überlebenden nach den Morden ein zweites Mal traumatisiert.

Dann, wenn eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet, wenn Familienmitglieder der Ermordeten sich auf einmal verteidigen und erklären müssen. Dann, wenn das Erinnern in Frage gestellt wird und es auch mal gut sein soll. Aber es wird nicht gut. Die Trauer hört nicht auf und deswegen darf auch das Erinnern nicht aufhören.

Ibrahim Arslan war sieben Jahre alt, als seine Schwester, seine Cousine und seine Großmutter umgebracht wurden. Er sagt: Nichts ist abgeschlossen. Und er hat recht. Deswegen stehen wir heute hier und erinnern gemeinsam an die Opfer der Anschläge. Die Anschläge von Mölln sind eines der prägendsten Ereignisse unserer Landesgeschichte.

Sie waren der erste rassistische Anschlag im wiedervereinten Deutschland, bei dem Menschen getötet wurden. Und sie mahnen, dass Nazis morden, wenn man sich ihnen nicht in den Weg stellt. Sie mahnen, dass Rassismus tötet. 

Ich bin und ich denke wir alle sind sehr dankbar für die Erinnerungsarbeit, die die Familie Arslan leistet. Es ist gut und richtig, dass der Landtag hier ein Zeichen setzt. Vor allem auch, wenn wir nicht nur Mitgefühl versichern, sondern auch von politischer Seite immer wieder klar machen müssen, dass wir als wehrhafte Demokratie mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen Rechtsextremismus und Rassismus kämpfen müssen.

Immer und immer wieder. Und deswegen ist es an uns, Rechtsradikalismus im Kleinen wie im Großen zu bekämpfen. Das wird immer eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft bleiben. Wir als gewählte Politikerinnen und Politiker haben eine politische Verantwortung.

Wir müssen Aufklärungsarbeit ermöglichen, Behörden schulen, Erinnerungsorte aufrechterhalten und aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung arbeiten.

Wir als SSW stehen weiterhin auch hinter dem Landesaktionsplan gegen Rassismus und hinter den guten Initiativen der letzten Jahre, die die demokratischen Parteien gemeinsam beschlossen haben. Für Demokratie und gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Terror. Aber es ist einfach etwas anderes, das als Familienmitglied zu tun. Als Überlebende und Hinterbliebene. 

Ich habe mir einmal die Debatte durchgelesen, die am 27. November 1992 im schleswig-holsteinischen Landtag geführt wurde. Damals standen die demokratischen Parteien zusammen gegen die DVU. Aber es ist noch nicht lange her, dass auch in diesem Parlament wieder Rechtsradikale, diesmal die AfD, saßen.

Ich möchte an die damaligen Worte von Karl Otto Meyer erinnern. Er beschrieb, dass auch in dunklen, angstvollen und trostlosen Momenten das Licht wieder entflammt, dass Wärme wieder emporsteigt. Das habe man spüren können durch die Solidarität der Bevölkerung, die vielen Initiativen aus der Jugend, aber auch aus Kreisen der Älteren, aus allen Schichten der Bevölkerung.

Meine Hoffnung ist, dass die Überlebenden der Anschläge das auch heute spüren. Dass sie spüren, dass sich überall im Land Menschen hinter ihnen versammeln, wenn Mahnwachen gehalten werden, öffentliche Gespräche stattfinden und auch über Verantwortlichkeiten geredet wird. Das Gedenken an Bahide Arslan, Yeliz Arslan und Ayşe Yilmaz ist nicht abgeschlossen. Und der Auftrag an uns als Gesellschaft ist es auch nicht. “ Quelle: SSW Landtagsfraktion, Pressestelle

Weitere Hintergründe

Verurteilung

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht verurteilte die Täter am 8. Dezember 1993 wegen dreifachen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord an sieben Menschen im Falle des 19-jährigen Haupttäters Lars Christiansen zu zehn Jahren Haft nach dem Jugendstrafrecht. Im Falle des 25-jährigen Mittäters Michael Peters wurde eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Die Brandstifter sind inzwischen beide wieder auf freiem Fuß. Lars Christiansen wurde nach siebeneinhalb Jahren entlassen, Michael Peters kam im November 2007 frei – fast auf den Tag genau 15 Jahre nach den Brandanschlägen von Mölln. Lars Christiansen bestreitet seine Beteiligung an der Tat.[Quelle]

Öffentliche Reaktionen

Helmut Kohl, Dieter Vogel und der „Beileidstourismus“

Bei der Trauerfeier für die Opfer von Mölln in Hamburg wurde die Bundesregierung durch Außenminister Klaus Kinkel und Arbeitsminister Norbert Blüm vertreten. Bundeskanzler Helmut Kohl nahm zu dieser Zeit am Landesparteitag der Berliner CDU teil. Als in der Bundespressekonferenz am 27. November 1992 gefragt wurde, warum der Bundeskanzler nicht bei der Trauerfeier anwesend war, erklärte Kohls Sprecher Dieter Vogel unter anderem, die Bundesregierung wolle nicht in einen „Beileidstourismus“ verfallen. Diese vielfach kritisierte Äußerung gab Anlass zu einer Kleinen Anfrage der Gruppe der PDS/Linke Liste im Bundestag an die Bundesregierung;[Quelle][Quelle] der Begriff „Beileidstourismus“ war Kandidat zum Unwort des Jahres 1992 der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) und kam in die engere Auswahl.[Quelle]

Gedenken

Bereits am 22. März 1993 erhielt im Kölner Stadtteil Bickendorf eine Straße in der Nähe des Westfriedhofs den Namen Bahide-Arslan-Straße.[1] Seit 1997 gibt es im Kieler Stadtteil Gaarden-Ostden Bahide-Arslan-Platz.[Quelle] Und 2014 wurde in Mölln ein schmaler Gang, der unmittelbar neben dem damaligen Wohnhaus von Bahide Arslan vorbei zum Kurpark führt, in Bahide-Arslan-Gang umbenannt.

Der Sänger Wolfgang Petry nahm 1993 zusammen mit weiteren Künstlern (u. a. Wencke Myhre, Karel Gott, Bernhard Brink und Kristina Bach) nach dem Vorbild von Band Aid unter dem Namen Mut zur Menschlichkeit den Titel Wer die Augen schließt (wird nie die Wahrheit seh’n) auf, der sich inhaltlich gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus richtet. Der Erlös aus dem Verkauf der Tonträger ging vollständig an Opfer rechtsextremer Gewalt.

In dem Song Das bisschen Totschlag (1994) verarbeitet die Band Die Goldenen Zitronen die rechtsextremen Ausschreitungen der Jahre 1992/93 und stellt dar, wie die deutsche Bevölkerung und Regierung darauf reagierten.

In Mölln findet jährlich am Jahrestag des Anschlags eine von der Stadt organisierte Gedenkveranstaltung statt. An dieser Form des Gedenkens wird allerdings auch Kritik geäußert. Ibrahim Arslan, der als Siebenjähriger den Anschlag überlebte, weil seine Großmutter Bahide Arslan ihn in dem brennenden Haus mit feuchten Tüchern umwickelte, kritisiert, er und seine Familie seien nur Gäste bei diesem Gedenken und stünden als direkt Betroffene nicht im Zentrum.

Er habe sich bei diesen Veranstaltungen eher als Statist gefühlt.[Quelle] 

Für ein selbstbestimmtes Gedenken initiierte er gemeinsam mit dem Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992 unter dem Motto reclaim and remember die „Möllner Rede im Exil“. Diese ist nicht Bestandteil der offiziellen Gedenkfeiern und findet seit 2013 um den Jahrestag des Anschlags in unterschiedlichen Städten statt. Ziel ist es, aktuellen Rassismus und Neonazismus zu thematisieren.[Quelle] 

„Gedenken kann nicht an den Interessen der Überlebenden vorbei gestaltet werden. Wir sind die Hauptzeugen des Geschehenen. Auch 21 Jahre nach dem rassistischen Brandanschlag von Mölln gilt: Die Erinnerung zurück zu erkämpfen. Reclaim and remember. Jetzt erst recht“ , sagte Ibrahim Arslan bei der ersten Möllner Rede im Exil. Später hielt er auch Vorträge in Schulen und nahm Kontakt zu Angehörigen von Opfern anderer rassistischer Morde auf, um die Aufklärungs- und Beratungsarbeit auszubauen.

Beileidsbekundungen

Nach dem Bekanntwerden der Tat gab es zahlreiche briefliche Beileidsbekundungen für die Familie Arslan. Rund 300 dieser Briefe, die an die Adresse der Teestube in der Möllner Seestraße geschickt wurden, wurden von dort an die Stadt Mölln weitergeleitet. Dort gingen sie zunächst ans Ordnungs- und Sozialamt und von dort ans Stadtarchiv.

1993 erstellte die Stadtverwaltung daraus eine Zusammenstellung für die Presse. In der Folgezeit kamen noch etwa 500 weitere Briefe bei der Teestube an, die ebenfalls bei der Stadt landeten. Laut einem Artikel der taz aus dem Jahr 2020 seien die Briefe zwar öffentlich einsehbar gewesen, aber nicht an die Familie Arslan weitergeleitet worden.

Einzig Beileidsbekundungen seien, sofern dies im Brief ausdrücklich gewünscht wurde, der Familie übermittelt worden. So habe die Familie erst 2019 durch einen Zufall von der Existenz dieser Briefe erfahren: Eine Studentin sei im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit durch einen Archivar auf die Briefe aufmerksam gemacht worden und habe daraufhin Ibrahim Arslan informiert. Erst auf die anschließende Anfrage durch Ibrahim Arslan hin händigte die Stadt die Briefe an ihn aus.(Quelle)

Quellen:

(1)  Rüdiger Schünemann-Steffen: Kölner Straßennamen-Lexikon. 3. Auflage 2016, S. 86.

Beitragsfoto: Symbol

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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