Wir schreiben den 9. April 1940. Nazi-Deutschland überfällt Dänemark. Innerhalb weniger Stunden besetzen die Deutschen Truppen die wichtigsten Hafenstädte. Bis zum Abend des 9. April wird Dänemark vollständig besetzt. Die deutschen Truppen stoßen auf keine nennenswerte militärische Gegenwehr. Angesichts der Deutschen Übermacht erklärt die dänische Armee am nächsten Tag (10. April 1940) ihre Kapitulation. Die deutschen Besetzung dauert bis zum 5. Mai 1945. Zwei Dänen sollten in jener Zeit eine besondere Rolle spielen: Hans Mathiesen Lunding ( 25. Februar 1899 – 5. April 1984) und Svend Paludan-Müller (30. Oktober 1885 – 26. Mai 1944).
Wir beginnen mit Hans Mathiesen Lunding (siehe Bild). Dieser war dänischer Offizier, Vielseitigkeitsreiter*, Widerstandskämpfer und Leiter des militärischen Geheimdienstes in Dänemark.
Lunding trat 1922 in die dänische Armee ein und machte schnell Karriere. Er stieg zum Rittmeister (1) auf und wechselt in den Generalstab. Dort wird er als stellvertretender Abteilungsleiter in der Nachrichtenabteilung tätig.
*Besonderheit: 1936, also vier Jahre vor den deutschen Überfall, hatte Lunding bei den Olympischen Sommerspielen in Berlin 1936 am Vielseitigkeitswettbewerb (damals Military genannt) teilgenommen. Mit dem Pferd „Janus“ gewann er die Bronzemedaille (Quelle).
25. März 1940 – Lindings Berichte werden ignoriert
Ab dem 25. März 1940, also wenige Tage vor dem deutschen Überfall, wird Lunding im deutsch-dänischen Grenzgebiet stationiert. Am dänischen Grenzübergang Schusterkate / Skomagerhus (siehe Beitragsbild) beobachtet Lunding durch seinen Feldstecher, wie sich deutsches Militär vor der Grenze zusammen zog. Er schickt Berichte über die deutschen Truppenbewegungen, alarmiert seine Vorgesetzten und die Regierung in Kopenhagen.
Doch die dänische Regierung wagt es aber nicht, Gegenmaßnahmen zu ergreifen (2). Lunding und der Dänische Geheimdienst können fernerhin nicht verhindern, was sich in jenen Wochen vor dem deutschen Überfall ereignete. Der deutsche Überfall auf Dänemark wird akribisch geplant und geschieht am 9. April 1940.
9. April 1940, 4.00 Uhr: Drei Grenzgendarmen in Padborg (DK) getötet
Zur Vorbereitung werden drei zivile Agentengruppen (zu je drei Mann) über die Grenze nach Dänemark eingeschleust. Die Agenten sollen verhindern, dass die Bahnverbindung nach Padborg gesprengt würde.
Am 9. April 1940, um 4.00 Uhr, also 15 Minuten vor dem Überfall, ereignet sich dieses: Drei dänische Soldaten (Oberst Albertsen, Oberst Birk und Oberst Hansen) sind auf dem Weg von Padborg nach Bov. Oberst Birk und Oberst Hansen stehen vor der Bahnunterführung, als Oberst Birk mit einem Auto vorfährt. Er hält an, um mit ihnen zu sprechen.
Während sie sich auf der Straße unterhalten, kommen drei junge Männer auf sie zu. Die Gendarmen fragen sie, wohin sie um diese Zeit gehen würden, und sie antworteten auf Deutsch, dass sie zum Bahnhof gehen würden.
Unmittelbar danach ziehen sie ihre Revolver, schießen auf kurze Distanz und verschwinden im Dickicht des Viadukts. Oberst Birk wird in den Unterleib und in das Herz getroffen und stirbt auf der Stelle. Oberst Hansen wird in die Brust geschossen, rettet sich in sein nahe gelegenes Haus.
Mit der Hilfe seiner Frau ging er ins Bett. Albertsen treffen Schüsse in Schulter und Brust. Er wird zu Dr. Due in Padborg gebracht. Die beiden Verwundeten versterben kurz darauf an ihren inneren Blutungen.
Malheur eines deutschen Soldaten
Der deutsche Soldat (Feldwebel oder Stabsfeldwebel) Wolfgang Prieme soll, wie erst später bekannt wurde, aktiv an der Vorplanung des Angriffs am 9. April beteiligt gewesen sein. Und er stand an der Spitze des Angriffs. Diesem unterlief ein schweres Malheur. Er hinterließ unwiderlegbare Beweise für den Angriff der deutschen Wehrmacht am Vorabend der Besetzung.
Am 17. April 1940 schrieb Prieme einen Bericht. In dem protokollierte er, wie die drei Morde an den Gendarmen abliefen. Prieme ging zu einem Geschäftsmann in Randers und verlangte Kohlepapier, Papier und eine Schreibmaschine.
Er gab ausdrücklich an, dass er einen Bericht über den deutschen Grenzübergang zwei Tage zuvor schreiben müsse. Prieme erhielt ein Blatt unbenutztes Kohlepapier und schrieb seinen Bericht. Versehentlich vergaß er, das Kohlepapier beizulegen.
Geschichtliche & juristische Einordnung der deutschen Gräueltat
Die dunklen Vögel flogen
Otto Gelsted
im Morgengrauen mit Motorenlärm
in Schwärmen über die Dächer der Stadt.
Dann sahen und verstanden wir –
es ging uns bis zur Wurzel des Herzens –
dass wir das bittere Brot der Knechtschaft schmeckten.
Otto Gelsted
Die deutsche Gräueltat an der dänischen Grenze am 9. April ist relativ unbekannt. Sie sei, so der dänische Widerstandskämpfer Frede Klitgård in der antifaschistischen Zeitschrift Håndslag, auch nicht zufriedenstellend aufgeklärt. Wenn es in den zahlreichen Werken über die Besatzungszeit überhaupt erwähnt wird, dann nur sehr summarisch und kurz.
Auch in den vielen Büchern über die Besatzungszeit würde die Nazi-Gräueltat allmählich zum Tabuthema.
Schuld und Sühne?
Die dänischen Agenten der Deutschen – d. h. dänische Staatsbürger im Dienste einer ausländischen nationalsozialistischen Militärmacht – kamen in den meisten Fällen ungeschoren davon. Obwohl sie durch ihre „Arbeit“ direkt an den drei Morden beteiligt waren und diese begangen hatten.
Nach dem Krieg wurden nur sechs „dänische“ Agenten strafrechtlich verfolgt. Sie kamen durch die Justizmaschinerie glimpflich davon und erhielten nur kurze Haftstrafen. Die Milde wurde damit begründet, dass es „schwierig“ gewesen sei, ausreichende Beweise gegen sie zu erbringen, obwohl sie zugaben, dass sie unter anderem mündliche Spionageberichte an die deutsche Spionagezentrale in Flensburg gegeben hatten.
Einige der Verurteilten hätten illegale Korrespondenz und andere Kontakte mit ihren deutschen Arbeitgebern gehabt. Auch die Bedeutung ihrer Spionagetätigkeit wurde heruntergespielt, obwohl aus ihren Berichten und ihren Decknamen hervorgeht, dass sie für die deutsche Kriegsmaschinerie als wichtig angesehen wurden.
So wurden mehrere von ihnen über den bevorstehenden deutschen Angriff auf Dänemark informiert, und mehrere von ihnen nahmen direkt an der Besetzung teil, zum Beispiel als Wegweiser. Der Agent, dessen Berichte zu den Morden führten, wurde für diese Straftat nicht belangt. (3)
Heute steht nahe des Tatortes ein Gedenkstein. Er erinnert an die ermordeten Gendarmen.
Das weitere Schicksal von Hans Mathiesen Lunding
Kommen wir zurück auf Hans Mathiesen Lunding. Dieser setzte trotz der deutschen Invasion seine Tätigkeit im Nachrichtendienst fort. Doch dann kam es zum 29. August 1943:
Lunding wird er von den Deutschen im Generalstab verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, er sei mehrere Male illegal nach Stockholm gefahren, um mit britischen und polnischen Geheimdienstoffizieren Verbindung aufzunehmen – was der Wahrheit entsprach. Er wird verhört und nach Berlin im Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße inhaftiert.
Todesurteil – nicht ausgeführt
Gestapochef Heinrich Müller (1900-1945) teilte ihm mit, er sei zum Tode verurteilt. Heinrich Himmler (1900-1945) solle dann höchst persönlich über Art und Zeitpunkt der Hinrichtung entscheiden. Ausgerechnet jener Himmler (unter den Nazis Reichsführer SS, Chef der deutschen Polizei sowie Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, später auch Reichsinnenminister und Befehlshaber des Ersatzheeres), einer der Hauptverantwortlichen des Holocaust, sollte über Lundings Schicksal entscheiden. Es kam nicht dazu.
Zellennachbar Wilhelm Franz Canaris
Lunding verbringt fast ein Jahr im Gestapo-Gefängnis in Berlin. Dann wird er ins Gefängnis des KZ Flossenbürg überführt. Dort wird er für einige Zeit Zellennachbar des inhaftierten Chefs der Abwehr, Wilhelm Canaris. Die beiden konnten sich durch Klopfzeichen verständigen. Somit stand Lunding als Letzter mit Canaris vor dessen Hinrichtung am 9. April 1945 in Verbindung.
Anschließend wird er in das Konzentrationslager Flossenbürg in Ostbayern verlegt, später nach Dachau und von dort in ein Lager an der italienischen Grenze verlegt. Hier wird er am 7. Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit und kehrte am 15. Juli 1945 nach Hause zurück.
Bis zu seiner Pensionierung 1963 mittlerweile zum Oberst befördert, blieb er erster Leiter der vereinigten Heeres- und Marinenachrichtendienste in Dänemark.
Am 5. April 1984 stirbt Hans Mathiesen Lunding 85-jährig in Aarhus.
So weit sind wir am Ende unserer ersten Geschichte zum Hauptthema „Nazi-Deutschland überfällt Dänemark“ angelangt. Wir belichteten die Hintergründe der Ermordung von drei Grenzgendarmen in Padborg und zeigten die Rolle von Hans Mathiesen Lunding in dem Kontext auf.
In unserem zweiten Teil geht es nun um das heldenhafte (?) Schicksal des dänischen Offiziers und Angehörigen des dänischen Widerstands, Svend Paludan-Müller. Hier ein kleiner Vorblick:
„Mich bekommen die nicht lebend, und ich werde mein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Die letzte Kugel hebe ich für mich selbst auf – unser Herrgott möge mir meine Sünde vergeben. Aber ich bitte Sie inständig, sich meiner Frau und meiner Tochter anzunehmen.„
Quellen / Weiterführende Informationen
(1) Rittmeister, in Dänemark „ritmester„, ist eine historische Dienstgradbezeichnung für Offiziere der Kavallerie und anderer berittener Einheiten in Deutschland und in Österreich. Der Dienstgrad entsprach dem des Hauptmanns bei den Fußtruppen.
(2) Vilhelm la Cour u. a.: Danmark under Besættelsen. Band I-III, Kopenhagen 1945, S. 102.
(3) Frede Klitgård, Håndslag Nr. 3/2002; weitere Informationen hierzu unter „9. april 1940: De tre »glemte« mord“ (Link)
Ein Gedanke zu „9. April 1940: Nazi-Deutschland überfällt Dänemark (Teil1)“