Frauen in der NS-Zeit: „Wenn ich den Knoten um habe, hat Hitler zu sagen und nicht du!“

Die Frauenpolitik des NS-Regimes zeichnete sich durch die breite organisatorische Erfassung und politische Integration der Frauen in den Staat aus. 1939 gehörten zwölf Millionen Frauen mindestens einem der zahlreichen NS-Verbänden an (1) und stabilisierten damit das nationalsozialistische System. Im Folgenden werden zwei Zeitzeuginnen der damaligen Zeit aus Schleswig-Holstein, porträtiert, wir beginnen mit Mariechen Margarete Kohnke (geborene Hansen), aus Ulsnis.

Mariechen Margarete Kohnke wird am 30.11.1925 in Hestoft, Gemeinde Ulsnis, Kreis Schleswig-Flensburg, geboren. Ihre Eltern waren Bauern. Die Zeiten sind hart: Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges führten auch im ländlichen Bereich zur allgemeinen Verelendung. Die Inflation der Jahre 1920-1923 und instabile politische Verhältnisse im Deutschen Reich und der Provinz Schleswig-Holstein schufen verheerende Zustände.

Die Bauern fühlten sich von den im Reichstag vertretenen Parteien nicht mehr repräsentiert, selbst in bäuerlichen Verbänden in der Provinz drohte die Entwicklung zu entgleiten. Es bildete sich die »Landvolkbewegung«, die in den Jahren 1928/29 durch Gewalttaten und Sprengstoffanschläge auf sich aufmerksam machte.

Da auch dieser Bewegung kein Erfolg beschieden war, suchte man mehr und mehr den Anschluss an eine Partei, die ihrerseits dem Weimarer System abgewandt war. Gleichzeitig hatte die NSDAP ihre Chance erkannt, fortan die Interessen der Bauern zu vertreten.

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Sie strich sämtliche sozialistischen Zielsetzungen und begann ihr Parteiprogramm bewusst auf die Forderungen der Landwirte hin zu ändern. Zunächst im westlichen Teil des Landes, in Dithmarschen, später in der ganzen Provinz Schleswig-Holstein wurde die NSDAP 1932 stärkste Partei.

Am 30. Januar 1933 kommen die Nazis unter ihrem Führer Adolf Hitler an die Macht. Zwei Jahre später, am 8.4.1932 wird Mariechen Margarete in Ulsnis eingeschult, sie berichtet:

„(…) Seit 1933 war Adolf Hitler an der Regierung, es gab dann die Hitlerjugend. Die Mädchen gingen zum B.D.M. (Bund Deutscher Mädchen). Zweimal in der Woche mussten wir zum Dienst. Wir trugen eine Uniform, weiße Bluse, schwarzer Rock und um den Hals ein schwarzes Tuch mit braunem Lederknoten.

Eines Nachmittags musste ich wieder zum Dienst, doch meine Großmutter sagte:

»Du bleibst hier um Heu auf der Wiese zu harken.« Ich antwortete:

»Wenn ich den Knoten um habe, hat Hitler zu sagen und nicht du!«

Ich bekam eine Ohrfeige, musste mich umziehen und aufs Feld gehen. In den letzten beiden Schuljahren mussten wir uns die Rede von Hitler im Radio anhören.“

»Die schneiden euch die Zunge ab«

Mariechens Lehrer war zugleich Ortsgruppenleiter der SA. 1939, es ist Kriegsanfang, kamen die ersten Kriegsgefangenen aus Polen. Auf dem Gebiet des „Großdeutschen Reiches“ waren Ende 1944 knapp acht Millionen ausländische Arbeiter und Kriegsgefangene als „im Arbeitseinsatz“ gemeldet tätig.

Nicht eingerechnet waren diejenigen, die freiwillig und zeitweilig im „Reichseinsatz“ waren und Hunderttausende von in Konzentrationslagern internierten Menschen. Von den knapp 8 Millionen ausländischen Arbeitern und Kriegsgefangenen entstammten ca. 2,8 Millionen Menschen den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – sie wurden auch als „Ostarbeiter“ bezeichnet.

Etwa 1,7 Millionen kamen aus Polen, wobei die 300.000 polnischen Kriegsgefangenen ab Frühsommer 1940 nahezu vollständig in den Zivilarbeiterstatus überführt wurden.

Die Behandlung von Polen und »Ostarbeitern« war durch Erlasse geregelt, den „Polenerlass“ vom 8.3.1940 und den „Ostarbeitererlass“ von Februar 1942.

Unmissverständlich wurde den polnischen Arbeitern klar gemacht, dass Verstöße gegen die Vorschriften mit Einlieferung in ein Straf-, Arbeitserziehungs- oder Konzentrationslager und geschlechtlicher Kontakt mit Deutschen mit der Todesstrafe geahndet wurden.

Der „Ostarbeitererlass“ entsprach dem Polenerlass, er war in einigen Punkten jedoch noch schärfer formuliert.

140 Zwangsarbeiter in der Gemeinde Ulsnis

Laut Meldelisten des Amtes Süderbrarup und bekannten Unterlagen des Landesarchivs in Schleswig waren im heutigen Bereich der Gemeinde Ulsnis ca. 140 Zwangsarbeiter im Einsatz.

Sie waren überwiegend in der Landwirtschaft tätig und stammten in der Mehrzahl aus Polen, aber auch aus Russland, der Ukraine, der Slowakei, aus Jugoslawien, Litauen und Lettland, sowie aus Belgien.

Zurück zu Mariechen Margarete Kohnke, es kommt zu einem einschneiden Erlebnis: Mit einem Wachmann wurden die polnischen Zwangsarbeiter zu Bauern gebracht. Mariechens Lehrer hätte zu den Mädchen gesagt: »Die (hier: die Polen »schneiden euch die Zunge ab.«. Sie berichtet:

„Wir hatten Angst und sind über die Felder nach Hause gegangen. Die Gefangenen mussten ein gelbes Abzeichen mit einem P. tragen, damit man sie erkennen konnte.“

Am 1. Mai 1941 kam Mariechen zum Bauern Tollgaard nach Ulsnis zur Arbeit. Dort lernte sie ihren späteren Mann Jan Kohnke kennen – ein Kriegsgefangener aus Polen. Sie begeben sich unter Lebensgefahr. Mariechen schreibt:

„Wir durften nicht zusammen gesehen werden, es sei denn bei der Arbeit. Deutsche Mädchen durften sich nicht mit einem Ausländer treffen. Wir taten es heimlich.“

Kriegsgefangene Pole aufgehängt – Bürgermeister rettet Leben

1943 mussten alle Ausländer der Umgebung nach Süderbrarup. Dort wurde, wie Mariechen berichtet, einer ihrer Kameraden aufgehängt, weil er mit einem deutschen Mädchen befreundet war.

Das Mädchen kam auf einen Mistwagen und wurde durch die Straßen gefahren und ausgepeitscht. Danach kam sie ins Konzentrationslager nach Oranienburg bei Berlin. Mariechen:

„Danach hatten wir besonders große Angst, dass uns jemand sehen würde. Vier Wochen vor Kriegsende wurden wir dann doch noch angezeigt, doch der Bürgermeister hat die Anzeige nicht weitergeleitet. Das rettete uns das Leben.“

Nach Kriegsende: der schwere Weg ins Leben zurück

Am 17.10.1945 heirate Mariechen ihren Jan. Ihr weiterer Lebensweg gestaltete sich wie bei so vielen Menschen aus der Zeit mit Vertreibung, Suchen und dem nackten Überleben. Die Kohnkes kommen zunächst in ein Lager in Eckernförde unter.

Dann geht es zu den Großeltern nach Hestoft. Ihr Sohn Herbert wird geboren, man lebt in Armut, es gibt keine Arbeit. 1949 wandern sie nach Frankreich aus, „da wurde es auch nicht besser„, schreibt sie. 1950 geht es zurück nach Deutschland. Über Münster landen sie in Augustdorf in einem Lager. Schließlich bekamen die Kohnkes in Bielefeld eine Wohnung

Von nun an geht langsam bergauf. Jan findet Arbeit, 1958 wird Tochter Ursula geboren, sie führen fortan ein zufriedenes Leben. Mariechen schließt mit diesen Worten:

Mein Mann und ich waren fast 50 Jahre verheiratet, doch 3 Monate vorher starb Jan. Jetzt bin ich alleine, habe aber meine Kinder und Enkelkinder. Jan ist der Jüngste!“

Irma Dreyer: „Es wurde von Anfang an militärisch gedrillt“

Aufmarsch der Deutschen Jungmädel für die Erhaltung des deutschen Volkstums im „Grenzland“, Transparent „Grenzlandnot ist Volksnot“, Worms, 1933; Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 133-237 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de

Die Mädchen traten dem BDM aus unterschiedlichen Gründen bei: Viele lockte die attraktive Freizeitgestaltung in den BDM. Zudem wurde der BDM gerade von Töchtern bürgerlicher Familien als eine Möglichkeit wahrgenommen, sich den starren Konventionen des Elternhauses zu entziehen. Wie Mariechen Margarete Kohnke die Zeit im BDM erlebte, geht nicht aus ihren Aufzeichnungen hervor.

Eine andere Zeugin aus jener Zeit, Irma Dreyer, wird konkret. Sie sei freiwillig in die Organisation gegangen. In Horst (Kreis Steinburg) leitete sie eine BDM-Gruppe – bis zum Ende des Krieges und des Unterganges der Naziherrschaft, 1945. Die Mädels der Horster Gruppe, die sie beaufsichtigte, waren kaum älter als sie selbst.

Die weibliche Jugend sollte von klein auf zu Trägerinnen der NS-Ideologie und zu Tugenden wie Gehorsam, Pflichterfüllung, Disziplin, Opferbereitschaft und Körperbeherrschung erzogen werden.

Es wurde von „Anfang an militärisch gedrillt“. Auch für die Mädchen hieß es: antreten und marschieren. Jeden Monat habe es einen „Gebietsbefehl“ gegeben, zweimal pro Woche traten die Mädchen zum Dienst an. Sport war dabei ein wichtiges Element, außerdem wurde gespielt und gewandert.

Die Welt von damals sei eine völlig andere gewesen. Vor allem gedanklich.“ Alles sei „von oben“ gelenkt worden.

„Von Demokratie hatten wir keine Ahnung – und auch keinen Zugang dazu.“

Wer Leistung im Sinne der NS-Oberen zeigte, wurde mit Auszeichnungen belohnt. Irma Dreyer ging auch auf die Schulbildung ihrer Jugend ein. „Wir wussten sehr wenig“. Der Geschichtsunterricht habe 1871 mit der Deutschen Einigung geendet. Erster Weltkrieg und Weimarer Republik „kamen bei uns nicht vor“.

Als die Engländer 1945 in Horst einmarschierten, ging für Irma Dreyer „eine Welt unter“.  Quelle: shz

Quellen / Weiterführende Informationen

Die Lebensgeschichte von Mariechen Kohnke; Chronik Gemeinde Ulsnis

Von Anfang an „militärisch“ gedrillt; shz

LeMO Lernen, Stiftung Deutsches Historisches Museum (Link)

Hingewiesen sei ausdrücklich auf die Sendung „Frauen der NS-Zeit“, die vor Kurzem bei ARTE im TV lief, sie kann in der Mediathek noch bis zum 31.03.23 nachgeguckt werden. Inhalt: „Sie hießen Herta, Liesel, Liselotte und Hildegard: Hunderttausende von Frauen, darunter Sekretärinnen, Krankenschwestern, Hausfrauen und KZ-Wächterinnen, stellten sich ab 1939 in den von Deutschland besetzten Gebieten in den Dienst der Nazi-Ideologie. Die Frauen waren nicht etwa passive Zeuginnen eines von Männern verübten Völkermords, sondern aktive Komplizinnen und Mörderinnen.“ Link.

.(1) Der Bund Deutscher Mädel (BDM) war in der Zeit des Nationalsozialismus der weibliche Zweig der Hitlerjugend (HJ). Darin waren im Sinne der totalitären Ziele des NS-Regimes die Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren organisiert.

Außerdem gab es in der Hitlerjugend den Jungmädelbund (JM) für 10- bis 14-jährige Mädchen, diese Gruppen wurden im einfachen Sprachgebrauch auch „Kükengruppen“ genannt

(2) Die Sturmabteilung (SA) war die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP während der Weimarer Republik und spielte als Ordnertruppe eine entscheidende Rolle beim Aufstieg der Nationalsozialisten, indem sie deren Versammlungen vor Gruppen politischer Gegner mit Gewalt abschirmte oder gegnerische Veranstaltungen behinderte.

Aufgrund ihrer Uniformierung mit braunen Hemden ab 1924 wurde die Truppe auch „Braunhemden“ genannt. Im Vorfeld der Machtergreifung 1933 widmete sich die Organisation, neben der Propaganda, intensiv dem Straßenkampf und Überfällen auf Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden. Dabei wurden Konflikte mit der Staatsmacht sorgfältig vermieden.

Nachdem Mitte 1934 SS-Einheiten die Führungsspitze der SA beim sogenannten Röhm-Putsch ermordet hatten, verlor sie in der restlichen Zeit des Nationalsozialismus stark an Bedeutung. Nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 wurde die SA wie auch die NSDAP und SS verboten und aufgelöst.

Beitragsbild: Zwangsarbeiter in Kius 1940; Kius (dänisch: Kjus) ist ein Dorf in der Gemeinde Ulsnis im Kreis Schleswig-Flensburg. Quelle

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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