Alles begann im Jahre 2020: Spezialisten des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes entdecken bei Vermessungsarbeiten zufällig auf dem Grund der Trave das Wrack eines Handelsschiffes. Es ist rund 400 Jahre alt, 20 Meter lang, acht Meter breit und liegt in rund elf Metern Tiefe. Es ist ein typisches Frachtschiff, beladen mit 170 Fässern voller Kalk. Eine polnische Fachfirma begann im März 2023 mit umfangreiche Bergungsarbeiten.
Nicht typisch für den Ostseeraum
Seit Beginn der Arbeiten wurden etwa 450 Schiffshölzer, 80 Fässer mit Branntkalk sowie Alltagsgegenstände, die Einblicke in das Leben an Bord geben, geborgen. Mit jedem Fund wird die Geschichte des Wracks deutlicher – und es zeigt sich bereits jetzt, dass die Bauweise dieses Schiffes im Ostseeraum einzigartig ist und sich von allen bisher bekannten Funden unterscheidet.
Die Bergungsarbeiten am Wrack selbst wurden seit Anfang Juni zügig durchgeführt und nähern sich nun dem Abschluss. Das letzte Wrackteil, das etwa 5,2 Meter lange Ruderblatt, konnte geborgen und die neuesten Erkenntnisse der Presse vorgestellt werden. Die verstreuten Fässer und Hölzer rund um das Wrack müssen nun noch geborgen werden.
Das Wrack könnte möglicherweise in Lübeck selbst gebaut wurden sein, was ein authentisches Beispiel für die Bedeutung der Stadt Lübeck als Hafen- und Werftstandort in Mittelalter und früher Neuzeit darstellen könnte.
Video: Versunkenes Schiff aus Hansezeit
Einzigartiges mittelalterliches Wrack in Lübeck: Ein Schatz der maritimen Geschichte
Das Schiff wiese eine bisher einmalige Bauweise im Ostseeraum auf, was es zu einem einzigartigen Zeugnis frühneuzeitlicher Schiffsbaukunst macht. Das Heck des Schiffes sei gut erhalten, während große Teile des Bugs komplett zerstört seien. Anhand der Länge des Kiels (17,2 Meter) und des längsten Deckbalkens (5,15 Meter) wurde die Schiffslänge auf etwa 21 bis 23 Meter und die Breite auf 5,5 bis 6 Meter rekonstruiert.
Besonders bemerkenswert sei die hohe Spantendichte. Darüber hinaus wurden drei Anker, zwei am Bug und einer am Heck, sowie das rund 5,2 Meter lange Ruderblatt geborgen. Die Funde zeigten, dass es sich nicht um ein flachbodiges Schiff handelte, wie zunächst angenommen, sondern dass es in Bodenbauweise errichtet wurde und einen ausgezogenen Kiel besaß.
Der Schiffsbauch wäre komplett für die Ladung vorgesehen, während Kajüten und Deckshäuser sich über der Ladung im Heck oder auf dem Achterdeck befänden. Dies würde durch Funde wie Flachglas im Heckbereich gestützt, das wahrscheinlich von den Fenstern stammte.
Es wird vermutet, dass das Schiff zwei Masten hatte, möglicherweise sogar einen dritten Mast im Bugbereich, der aufgrund der starken Zerstörung noch nicht eindeutig nachweisbar sei. Die anderen Masten befänden sich mittschiffs und im Heckbereich, wie durch die vorhandenen Mastschuhe angezeigt wird.
Basierend auf diesen Erkenntnissen könne bereits jetzt festgestellt werden, dass dieser Schiffstyp stark von den bisher bekannten Varianten im Ostseeraum abweicht. Es würde auch nicht wie die zeitgenössischen niederländischen Vorbilder für das Wattenmeer gebaut.
Die Archäologen vermuten, dass es im Lübecker Raum unter niederländischem Einfluss gebaut wurde, aber auch die Niederlande selbst und Skandinavien kommen als mögliche Bauorte in Frage.
Rekonstruierbare Ladung von bis zu 90 Tonnen
80 Fässer mit Branntkalk befänden sich noch in ihrer ursprünglichen Position auf dem Schiff. Diese würden vollständig geborgen und werden nun an Land dokumentiert. Bei den im Sediment verborgenen Fässern seien teilweise noch Reste des Fassholzes wie Dauben, Deckel oder Böden sowie Reifen erhalten.
Die Fässer hätten eine standardisierte Größe von 72 Zentimetern Länge, einem Bauchumfang von 60 cm und einem Gewicht von durchschnittlich ca. 300 Kilogramm. Das bisher schwerste Fass hätte etwa 330 Kilogramm gewogen, und das Volumen betrüge etwa 200 Liter.
Anhand der Funde ließe sich eine Ladung von mindestens 60 bis 90 Tonnen rekonstruieren. Weitere Erkenntnisse erhofften sich die Archäologen durch die Bergung von mindestens 80 weiteren Fässern, die noch in der Fahrrinne liegen.
Einblick in das Leben an Bord
Die Alltagsfunde konzentrierten sich auf den Heckbereich des Schiffes, wo sich vermutlich auch die Kajüten von Mannschaft und Kapitän befanden. Gefundene Scherben von einfachem Geschirr wie Dreibeingefäßen (sogenannte Grapen) und Jütepötte sowie verzierte Fayencegefäße (das „gute Geschirr“) gäben Einblicke in das Leben an Bord.
Nach der Bergung würden die Wrackteile sorgfältig gereinigt, gescannt und umfassend dokumentiert. Die Hölzer würden einer Alters- und Herkunftsbestimmung unterzogen, wofür Proben entnommen und von einem Dendrochronologen untersucht werden.
Das übrige Fundmaterial würde ebenfalls beprobt, um mithilfe von Spezialuntersuchungen weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Nach der Erfassung und Dokumentation erfolgt die notwendige Restaurierung der Kleinfunde.
Zukunft des Wracks ungewiss
Die zukünftige Bestimmung des Wracks ist derzeit noch ungewiss. „Es wäre wunderbar, wenn das Wrack konserviert werden könnte, um es möglicherweise später in einem Museum auszustellen“, äußert Kultursenatorin Monika Frank aus Lübeck. Allerdings würde eine solche Konservierung hohe Kosten verursachen. Daher ist es auch denkbar, die Funde sorgfältig zu verpacken und erneut zu versenken. Auf diese Weise könnte das Schiff unter Wasser erhalten bleiben und für kommende Generationen zugänglich sein.
Quellen / Weiterführende Informationen
Sehr informativ: Hanseschiff Bergungslogbuch (Quelle: Stadt Lübeck)
Video: Am 24. März 2023 fand ein Vortrag von Dr. Fritz Jürgens und Dr. Felix Rösch statt, in dem die Entdeckungsgeschichte, die bisherigen Untersuchungen und die geplanten zukünftigen Maßnahmen erläutert wurden. Dabei wurde auch der historische Kontext und die Bedeutung des ersten originalen Lübecker Hanseschiffes für den Schiffbau und die Schifffahrt der Hansezeit behandelt.
Beitragsbild: Screenshot vom Video „Versunkenes Schiff aus Hansezeit“. So wie auf dem Foto könnte das Hanseschiff ausgesehen haben.