Flensburg: Stolperstein Holm 39, (Holmpassage)

Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, sogenannten Stolpersteinen, soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus (NS-Zeit) verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die quadratischen Messingtafeln mit abgerundeten Ecken und Kanten sind mit von Hand mittels Hammer und Schlagbuchstaben eingeschlagenen Lettern beschriftet und werden von einem angegossenen Betonwürfel mit einer Kantenlänge von 96 × 96 und einer Höhe von 100 Millimetern getragen. Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster bzw. den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen.

Gustav Schreiber wurde 1904 in Elmshorn geboren, besuchte die Volksschule und lernte einen kaufmännischen Beruf, in dem er viele Jahre arbeitete. 1935 übernahm ihn die Stadtverwaltung Elmshorn. Die entließ ihn 1937, weil er wegen fortgesetzter Unzucht mit Männern zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde.

Erst 1939 bekam er wieder Arbeit als kaufmännischer Angestellter bei einer Baufirma, zunächst in Kiel, dann in Hamburg und ab März 1943 schließlich in Flensburg.

Hier wohnte er von April bis August 1943 im Holm 39; es blieb seine letzte deutsche Anschrift.

Für seine Firma arbeitet er dann in Bergen in Norwegen anscheinend in der Organisation Todt (OT), erhielt den Dienstgrad OT-Mann und fiel unter Militärrecht.

In Bergen fand er im Oktober 1943 einen 28-jährigen intimen Freund, dem er eine Stelle in seinem Büro verschaffte und in seine Wohnung aufnahm. Das Ende dieser kurzen Beziehung war brutal. Am 15. März 1944 wurde er verhaftet. 
Folgendes schrieb er in seinem Lebenslauf: 

„Durch Anzeige wurde meine Straftat, die mit meiner krankhaften Veranlagung zusammenhängt, aufgedeckt und durch eigenes Geständnis zugegeben. Meine sonstigen Charaktereigenschaften sind gut. Leider neige ich sehr zur Melancholie und Sentimentalität, was wohl hauptsächlich mit meiner homosexuellen Veranlagung in Verbindung zu bringen ist. Ein Zeichen der Schwermut ist auch vorhanden. Meine Lebensauffassung ist sehr ernst. Meine krankhafte Veranlagung hat mir schon viel Kummer und Sorgen gebracht, sodass ich oftmals lieber hätte tot sein mögen… Ich bin ledig und werde mich aufgrund meiner Veranlagung nie verheiraten.“

Aus dem Lebenslauf wird mehr als nur eine Demutsgeste gegenüber seinen Peinigern erkennbar. Deutlich wird, dass er die üblichen Vorurteile verinnerlicht hatte. Dies verband sich mit depressiven Tendenzen und sogar Todessehnsucht.

Bereits acht Tage nach der Verhaftung wurde er durch das Feldkriegsgericht Bergen als Hangtäter wegen Unzucht zwischen Männern zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Mitangeklagter war sein Freund, der zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde.

Zunächst kam er in die Strafanstalt Neumünster. 
Im Juni 1944 wurde er in das Emslandlager Börgermoor transportiert. 
Seine letzte Beurteilung im November 1944: 

„Älterer Mensch, schlappes, undiszipliniertes Auftreten, 2mal wegen Unzucht mit Männern bestraft. Seine Führung im Lager schlecht, sein Arbeitsfleiß nicht zufriedenstellend. Für die Wehrmacht nicht tragbar. „

Am 10. Januar 1945 verstarb Gustav Schreiber 40-jährig in Börgermoor rund zehn Monate nach seiner Verhaftung. In der Todesbescheinigung wurden als angebliche Todesursache eine Sepsis (Blutvergiftung), Mangelerscheinung und Ödeme (Wassereinlagerungen im Gewebe) angegeben.

Tatsächlich dürften aber Hungerödeme aufgrund schlechter Versorgung sowie typisch depressive Appetitlosigkeit zur Sepsis geführt haben. Gustav Schreiber hatte sich wahrscheinlich seinen Tod auch gewünscht.

Ein Stolperstein vor der heutigen Holmpassage, Holm 39, erinnert an ihn.

Quellen: 
Ausgebürgert. Ausgegrenzt. Ausgesondert. Flensburger Beiträge zur Zeitgeschichte Band 3; Beitrag: Unzucht zwischen Männern, Ulli Poppe/Björn Marnau; Hrsg. Stadtarchiv Flensburg, S. 156 – 189.

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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