Eine Reportage. An diesem Tag hat sich das Wasser, wie an zwei Tagen im Monat üblich, sehr weit zurückgezogen. Weite Flächen sind trockengefallen und die Südspitze von Sylt erstreckt sich unter dem Horizont. Vom Watt aus ist hier und heute ein seltenes Bild zu sehen:
das Tetrapodenwerk (1), dahinter die Reetdächer der Kersigsiedlung, die Spitze des Hörnumer Leuchtturmes im Hintergrund, die Dünenkette bis in den Südosten. Sandbänke liegen mächtig und in weiten, langgestreckten Bögen auf dem Meeresboden. Kniehoch sind die Sandverwerfungen und zeugen von der Dynamik an der Südspitze von Sylt, von der Kraft der Strömung.
Davon, dass alles im Wandel ist. „Im Jahr 2019 wurden vor Sylt rund 1,2 Millionen Kubikmeter Sand aufgespült“ bilanziert Ole Martens vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein in Husum.
Wie seit 1972 erstmalig, und seit 1984 regelmäßig, wurden Strandbereiche vor Sylt künstlich wiederhergestellt. Die aufgespülte Menge entspricht ungefähr derjenigen, die von der Nordsee bei Herbst- und Winterstürmen und, vor allem, durch die ständige Brandungseinwirkung fortgespült wird. Ein paar Stellen, an denen die Nordsee besonders nagt, sind stets dieselben: vor Kampen und Westerland, kurz vor dem Ellenbogen in List – und unten in Hörnum.
Trotz allem Aufwand: Wer vom Tetrapodenwerk in Hörnum nach Südost geht, trifft unmittelbar südlich der vierfüßigen Betonelemente auf eine Bucht, die immer größer und tiefer wird – und betritt die Sylter Südspitze, die immer weniger wird.

„Sie ist seit Ende der 1960er Jahre stetig kleiner geworden„, sagt Dennis Schaper, Stationsleiter der Schutzstation Wattenmeer in Hörnum, die regelmäßig Führungen um die Odde anbietet. Dauerte die Tour um die Hörnum-Odde vor dreißig Jahren noch zwei bis drei Stunden, so ist es heute kaum mehr die Hälfte.
Die Ortslage von Hörnum selbst, die Häuser in der „Kersigsiedlung“ und ähnliches Menschenwerk sind noch nicht bedroht. Allein die erst vor rund 200 Jahren entstandene Odde, seit 1972 ein Naturschutzgebiet, wird kleiner und kleiner. Nach dem Landeswassergesetz sind nur besiedelte Orte zu schützen, und dazu gehört die Odde selbst eben nicht.
Ende der 1960er Jahre wurden am Weststrand von Hörnum mit hunderten Tetrapoden Bollwerke geschaffen, die der Abtragung ein Ende bereiten sollten. Das funktionierte aber nur auf Kosten der Hörnum Odde. „Es gibt nur wenige Stellen an der deutschen Nordseeküste, an denen das Meer mit so großer Gewalt auf die Küste trifft wie auf Sylt„, sagt der Geophysiker Arfst Hinrichsen vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein,
„durch die Brandung kann die Strandlinie alljährlich ein bis vier Meter zurückgehen. Die Strömung verlagert den Sand parallel zur Küste nach Nord und Süd, dadurch verliert die Insel pro Jahr rund eine Million Kubikmeter Sand.“ Und weiter sagt Hinrichsen: „Die Sandaufspülungen haben sich als wirksamste Methode zur Stabilisierung der Küste herausgestellt. Es sind übrigens weniger die spektakulären Sturmfluten, die der Insel zusetzen, es sind Wellen und Strömungen. Nur nach Sturmfluten wird das Problem der Erosion für jeden offensichtlich.“
Die Hörnum Odde ist ein wertvolles Naturschutzgebiet, auch das lernt man während der geführten Wanderung; sie ist Rast- und Rückzugsgebiet, natürlich auch ein (saisonaler) Lebensraum für eine Vielzahl an Vögeln, zum Beispiel für Sandregenpfeifer oder Küstenseeschwalbe. Seltene Pflanzen, beispielsweise die Stranddistel, wachsen hier. Sie ist aber auch ein Lebensraum im Vergehen.
Die Wege werden kürzer; schneller als gedacht ist die Südspitze erreicht. „Gehen Sie am besten bei Niedrigwasser um die Südspitze, über die Odde selbst dürfen sie nicht gehen – sie ist Naturschutzgebiet„, sagt Dennis Schaper. Es ist noch immer eine wildromantische Gegend und den Elementen ausgesetzt. So faszinierend vielleicht auch deshalb.
Weiterführende Informationen / Quellen
Die Schutzstation Wattenmeer bietet mehrmals wöchentlich Wanderungen um die Hörnum Odde an, die sich speziell mit der Erosion dieser Landspitze, ihrer Ursachen und Folgen befassen. Weitere Informationen und Termine unter www.schutzstation-wattenmeer.de sowie Tickets unter www.hoernum.de/veranstaltungen und www.sylt.de/veranstaltungen
Quelle: Sylt Marketing GmbH | Stephanstraße 6 | 25980 Westerland/Sylt
(1) Tetrapoden (griechisch τετραπόδης tetrapódēs, deutsch ‚vierfüßig‘) sind Betonblocksteine, die in Küstenschutzbauwerken Verwendung finden. Die „Arme“ der etwa sechs Tonnen schweren Steine sind auf die Ecken eines imaginären Tetraeders ausgerichtet. Tetrapoden werden an der Küstenlinie, an Dämmen oder Hafenmolen aneinander gereiht oder in mehreren Reihen aufeinander geschichtet.
Sie dienen primär als Wellenbrecher und sollen die Kraft der Wasserwellen, die gegen das Ufer schlagen, mindern. Die Erfindung der Tetrapoden geht auf das französische Laboratorium Établissements Neyrpic in Grenoble zurück. Ab 1950 wurden die Tetrapoden in vielen Ländern für Neyrpic patentiert. (Quelle)
Beitrags-Foto: Sylt von oben / Copyright Sylt Marketing l Martin Elsen; Bildrechte: Martin Elsen, luftbild.fotograf.de
Ein Gedanke zu „Wahre Sehnsuchtsorte: Rund um die Sylter Odde“