Nach dem Untergang des Handelszentrums Rungholt bei der Groote Mandränke im Januar 1362 taten sich viele der heimatlos gewordenen Fischer und Bauern zusammen, um gemeinsam ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Angst und Schrecken verbreitenden sogenannten Wogemänner taten dies durch Raubzüge und Überfälle auf kleine Gehöfte und durch die Enterung kleiner Handelsschiffe, um sich auf diese Art und Weise wiederzuholen, was ihnen der Blanke Hans zuvor genommen hatte. Hierzu ließen sie sich im Ort Westerhever nieder und errichteten an einer schwer zugänglichen Stelle eine Trutzburg, die Wogemannsburg. Ihr Ende wurde 1370 besiegelt, blutig. Um diese Wagemännern bildeten sich auch Legenden, so diese:
An der Küste der Nordsee herrscht am 16. Januar des Jahres 1362 tiefster Winter. Auch an diesem Sonntag kommt die Dunkelheit früh und die Katastrophe hat sich längst angebahnt. Ein Orkan drückt das Wasser an die Kante und lässt die Flut nicht mehr ablaufen, Wellenberge türmen sich über Wellenberge. Die Balken der Häuser ächzen unter dem Druck des Windes und die Deiche unter dem des Wassers.
Es ist unheimlich, die Tiere längst unruhig. Sonne und Mond stehen ungünstig, dazu der tagelange Wind, der Orkan!, aus West mit dem Wasser. Ob die Menschen ahnen, was ihnen bevorsteht? Sturmfluten kennen sie und die Leute leben auf Warften, aufgeworfenen Wohnhügeln, auf denen sie Land Unter notfalls aussitzen.
Aber das hier? Am kommenden Vormittag, der Tag sieht schon morgens aus, als ob er längst zu Ende wäre, läuft bereits das Wasser über die Deiche und das Hochwasser kommt erst noch. Immer mehr Wasser läuft über die Deiche, nach und nach sacken sie zusammen; die Flut – sie kennt kein Halten mehr. So oder ähnlich wird es gewesen sein.
Das Weltenende. Bald branden die Wellen an die Häuserwände und fressen an der Warft. Wasser im Land und das bis zum Horizont. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Weder flaut der Orkan ab, noch läuft das Wasser ab und die nächste Flut ist mit Jähzorn längst auf dem Weg.
Das meiste Vieh wird längst ertrunken sein, und wer sich auf sein Hausdach gerettet hat, geht mit diesem unter. Wohnstatt um Wohnstatt bricht zusammen, verschwindet in tobender Flut. In einem Land, dass das ihre war, abgerungen vom Meer, und das sie doch so gut versorgt hat.
Das doch Wohlstand gebracht hat; den Bauern, den Händlern und Handwerkern, den Herren gutes Geld. Als die kommenden Tage heranbrechen, das Wasser ist noch lange nicht abgelaufen und wird vermutlich wegen des Salzes den Boden auf Jahrzehnte unbrauchbar gemacht haben, ist die Welt eine andere.
Was vom Leben übrig blieb. Diese Erste Große Mandränke, die mörderische Jahrtausendflut, hat die Küstenlinie neugeschrieben. Inseln wurden zerrissen, andere gingen gänzlich unter, ganze Landstriche sind zerstört. Komplette Kirchspiele (Verwaltungsgemeinden) von der Landkarte und aus den Steuerbüchern getilgt, Familien, Siedlungen, Gemeinschaften ausgelöscht.
Diese Katastrophe hat viele Tausend Menschen das Leben gekostet. Eine Lebensgrundlage gibt es für die Viehzüchter und Bauern erst einmal so gut wie keine mehr. Als der erste Tag danach anbrach, war die Erde wüste und leer. Und was über der See schwebte, war dieser Tage, Wochen, Monate und Jahre bisweilen ein sehr unguter Geist. Denn wer überleben wollte, musste sich was holen. Und sei es mit Gewalt.
Arme Ritter. Nach der Pest von 1350 und der verheerenden Flut von 1362 musste sich eine angebliche „Ritter“-Familie vom heutigen Nordstrand, nach Ihrer Vertreibung der nördlich von Eiderstedt gelegenen damaligen Inselwelt, eine neue Bleibe suchen – diese Leute sollen den Namen Waage oder Woge getragen haben.
Sie setzten sich mit Gewalt auf Eiderstedt fest; es heißt im heutigen Westerhever und dort bauten sie sich ihre Burganlage. Diese Sippe war eine Bedrohung für die Seefahrer und die Bevölkerung, da sie raubend und mordend über Land und Meer zogen. Der Sage nach sollen die Wogemänner auch andere gewesen sein.
Die Zusammenrottung. Nun verbreiten Raubzüge Angst und Schrecken. Heimatlose Bauern und Fischer ohne Zukunft und ohne Mittel tun sich zusammen. Zuerst, um sich zurückzuholen, was sie verloren haben.
Bald, um sich vielleicht ein bisschen mehr zu holen. Die Banden überfallen Gehöfte, das bisschen, was noch übrig war oder neu aufgebaut wurde und wer zur See fahren konnte, der enterte wohl manches Schiff. Und sie begingen weitere Verbrechen, raubten Mädchen und Frauen.
Das sagt die Sage, so soll es auf Eiderstedt gewesen sein. Heute eine Halbinsel, damals noch nicht zusammenhängend, getrennt von Sümpfen und Wasserläufen. Acht Jahre nach der Flut litten die rechtschaffenen Menschen noch immer und nun wohl am schlimmsten unter den mörderischen Banden, die man Wogemänner nannte.
Im Jahre 1370 war das Maß voll. Im Auftrag des Herzogs und unter der Führung des Stallers (dem Amtmann) Ove Hering oder nach anderen Quellen: Owe Herings, bildete sich eine Bürgerwehr und ging zum Angriff über.
Das Ende des Schreckens. Die Wogemänner hatten ihre Burg dort, wo heute die Kirche und das ehemalige Pfarrhaus von Westerhever stehen, ganz im Nordwesten der heutigen Halbinsel Eiderstedt.
Herings und seine Männer zogen los als kleine Streitmacht und schließlich stürmten sie die Burg. Geholfen sollen ihnen dabei die geraubten Jungfrauen haben, verschleppt und gefangen gehalten in der Burg der Bösen – sie öffneten ihren Befreiern das Tor und ließen die Zugbrücke runter.
Für die Wogemänner gab es einen kurzen Prozess: 60 von ihnen führte man an die Prielkante und schlug ihnen mit dem Schwert den Kopf ab, warf die Leichen in das ablaufende Wasser eines mächtigen Gezeitenlaufs, der heute Heverstrom heißt. Und die Jungfrauen? Sie wurden vom Thing, der Zusammenkunft leitender und maßgeblicher Leute, rehabilitiert und bekamen ihre Ehre offiziell zurück.
Die Burg der Bösen. Natürlich haben die tapferen Eiderstedter Bauern die Burg der Wogemänner geschliffen und zerstört, sie Stück für Stück und Stein für Stein abgetragen. Baumaterial konnte man schließlich immer gebrauchen.
Und sie bauten eine neue Kirche; eine Wehrkirche, wo sie Schutz fanden vor Flut und Verbrechern, an fast dieser Stelle – St. Stephanus zu Westerhever und für die Setzung des Turmes und die Fundamente des Kirchenschiffs nahmen sie Steine aus der Wogemannsburg.
Dort, wo die Burg gestanden haben soll, wurde drei Jahrhunderte später ein Haubarg errichtet, ein Bauernhof, und schließlich stand das Pfarrhaus drauf, heute ist es privat. Natürlich erinnert an diese Geschichte nicht mehr als die Sage und von der Burg der Bösen gibt es rein gar nichts zu sehen.
Die Legende aber, die erzählen sich die Leute auf Eiderstedt von Jahr zu Jahr, von Generation zu Generation. Vielleicht ist ja doch was dran an der Geschichte der Wogemänner, vielleicht sogar an ihrem Goldschatz. Denn auch der ist bis heute nicht gefunden.
Unterwegs im Land der Legende. Wenn man sagt, dass am Ende eines Regenbogens ein Schatz verborgen ist, dann stehen die Chancen, auch einen zu finden, hier und heute gut. Über die gelbgoldenen Rietflächen und über den Binnensee bei Everschopsiel spannen gleich zwei prächtige Regenbögen und es ist ein Bild wie gemalt.
Östlich dieser Stelle ging 1362 Land unter und vermutlich bildete sich die, heute nicht mehr existente Nordereider. Der erste Herbststurm hat die schweren Wolken über Land gefegt und gen Osten fortgeschoben.
Eine späte Nachmittagssonne setzt den Norden der Halbinsel Eiderstedt in Szene – einzelne Höfe unter stattlichen Eschen, Weiden mit knorrigen und windverbogenen Bäumen drauf – und warmes Licht flutet übers Land, Regenschleppen fallen aus tief hängenden Wolken wie seltsame Gardinen.
Hier oben am Siel ist das Land zu Ende, hinter dem Deich liegt das Watt, noch weiter im Norden glitzert das Wasser des Heverstroms. Davor eine einsame, nun schon verlassene Badestelle, die von den Freuden des vergangenen Sommers kündet.
Auf den Wegen der Wogemänner. Es ist ruhig geworden und Zeit, dem Wind zuzuhören und ihn sich um die Nase pusten zulassen. Noch ist das Wetter angenehm genug, um auf das Rad zu steigen und dorthin zu fahren, wo einst vielleicht die Wogemänner hausten.
Auf nach Westen und an den Büschen prangen Beeren, sommersatt und saftig, an den Bäumen erstes buntes Laub. Auch sie erzählen vom Herbst, wenn die Stürme wieder mächtiger übers Land fegen und die Fluten an die Deiche drücken. Künden von der Zeit, als Legenden vielleicht lebendig waren, bringen sie nahe.
Es ist eine einsame Gegend und die Türme der Kirchen in den Dörfern weisen den Weg, Eiderstedt ist auch das Land der Kirchen und Kirchtürme. Denn was die Menschen einst dem Meer abrangen – und in Fluten oft genug wieder verloren – war bei aller Unbill schon vor langer Zeit ein reiches Land.
Man möge sich Muße nehmen und in die Kirchen schauen, sich die Bilder ansehen, die auch von dieser Zeit erzählen. Dann und auf den weltenfernen Wegen – unter Bäumen oder weitem Himmel –, fühlt man sich in der Zeit zurückversetzt.
Die Suche nach dem Schatz. Deiche sind Geschichtslinien. Immer wieder wird man alte Deichlinien queren, die scheinbar verloren und ohne Sinn mitten in der Landschaft stehen. Oder oben auf ihnen radeln wie westlich von Osterhever. Auf dem alten Deich scheint man über die Landschaft zu fliegen, so weit weg von allem, so losgelöst, so obendrüber.
Hier auf der Grenze zwischen Altaugustenkoog und Neu-Augustenkoog und man ahnt, warum Deiche auch im Hinterland stehen – sie zeigen an, wo einst das Land aufhörte. Hier war es einst zu Ende, das Land. Dies war die Grenze, die es zu verteidigen galt. Und je niedriger sie sind, bisweilen: Je enger um die Dörfer sie gezogen sind, desto älter sind sie.
Einst war Eiderstedt nicht wie heute eine durchgehende Halbinsel, Utholm und Evershop wurden 1362 zu Inseln und die Nordereider trennte nach ihrer Entstehung diese Gegend vom Festland. Dort zogen sie einst vielleicht über Land, schritten durch Sümpfe zwischen den Warften, den Inseln oder stakten Boote durch Wasserläufe, die das Land noch heute durchziehen.
Und suchten neues Glück nach katastrophaler Flut, die in dieser Urgewalt noch mal im 17. Jahrhundert zuschlug; die Zweite Große Mandränke. Wer den Goldschatz der Wogemänner finden will, der muss ihn hier suchen, auf dem alten Eiderstedter Land.
Am Ende des Regenbogens. Im Westen baut sich eine dunkle Wolkenwand auf, umso kräftiger strahlt das Laub der Silberpappeln, umso knalliger leuchten Beeren. Die flirrenden Blätter geben der Szene irgendwo kurz vor Westerhever etwas unpassend Heiteres, etwas Verspieltes in diesem herben Land am Meer am Vorabend eines Sturmtiefs.
Denn längst braut sich wieder was zusammen, da draußen auf See. Man spürt sie längst deutlich, die Nordsee, man fühlt das Meer. Und auch deshalb ist man der Legende um die Wogemänner und ihrer stürmischen Zeit ein Stück nähergekommen.
Denn nun radelt man wieder auf einen Hügel, das ist eine Warft, und man ist in Westerhever angekommen. Sicher, man wird genauer hinschauen; das alte Pfarrhaus, die Kirche, der alte Platz der sagenhaften Burg gegenüber des Gasthauses. Dort irgendwo. Der Regenbogen aber, der wurde zuerst unscharf und dann löste er sich auf.
Mehr Geschichte und weitere Informationen zu historisches über Landschaft und Bevölkerung und Legenden und Sagen Eiderstedts, erfahren Sie in den Museen »Museum Landschaft Eiderstedt« (www.museum-landschaft-eiderstedt.de) in St. Peter-Ording sowie im »Nordfriesland Museum Nissenhaus« in Husum (www.museumsverbund-nordfriesland.de)