Vor 660 Jahren: Die Grote Mandränke  

Es war wie die Sintflut: Eine gewaltige Sturmflut suchte vor über 660 Jahren auch die schleswig-holsteinische Nordseeküste heim und veränderte deren Verlauf für immer. Große Teile von Marschflächen und das sagenhafte Rungholt gingen für immer unter.

Vor 660 Jahren, am 16. Januar 1362, veränderte die „Grote Mandränke“ – die „Große Manntränke“ („großes Ertrinken“) – den Küstenverlauf im heutigen Schleswig-Holstein für immer. Diese gewaltige Sturmflut, die genau drei Tage (vom 15. bis 17. Januar 1362) dauerte, fegte wie ein riesiger Besen über die Nordseeküste. Ihre Spuren zeigten sich über die Utlande, die Außenlande vor dem Festland, über die Köge und die eingedeichten Marschgebiete. Große Teile fruchtbaren Landes zwischen Sylt und Eiderstedt in Nordfriesland gingen unter, darunter Rungholt, der damalige größte Handelsort des Nordens. Aus zusammenhängenden Landteilen wurden verstreute Inseln und Halligen. 

Folgen für die Menschen: Zwischen Elbe und Ripen (Dänemark) sollen der Überlieferung nach zehntausende Menschen ums Leben gekommen sein.

Das Aussehen der Küste veränderte sich dauerhaft. Etwa 50 Prozent mehr als die heutigen Utlande umfasste dieses Gebiet vor 1362. 16 Kirchspiele sollen „ganz und gar verschwunden“ sein, andere wurden wiedererrichtet. Etwa 1000 Quadratkilometer Kulturland gingen bei dieser Sturmflut verloren, zum Vergleich: Sylt ist etwa 100 Quadratkilometer groß. 

Die gravierendste Veränderung zeige sich bei der heutigen Insel Pellworm. Das gesamte Meeresgebiet zwischen Pellworm und Nordstrand war vor der Sturmflut Land. Zwischen dem heute dänischen Tønder und Bredstedt gab es ebenfalls große Landverluste. Sylt verlor seine westlichen Gebiete, die heutige Gestalt trat hervor.

Untergang von Rungholt

Auch die sagenhafte Stadt Rungholt, eine Art Atlantis des Nordens, das aber tatsächlich existierte, ging unter. In Rungholt selbst sollen damals etwa 2000 Menschen gelebt haben. Ein Vergleich: in Kiel lebten auch etwa 2000 Menschen und in Hamburg etwa 5000, somit ist Rungholt für damalige Zeiten ein pulsierender Wirtschaftsort gewesen sein (siehe hierzu einen weiteren Artikel im Blog).

Ursache der Katastrophe

Gleich mehrere Faktoren trugen zu ihrer verheerenden Wirkung bei: Eine Klimaveränderung, der Beginn der sogenannten Kleinen Eiszeit, in den Jahrzehnten führte vor der Flut zu schlechtere Ernten in den Küstengebieten. In der Folge waren die Bewohner weniger vermögend als noch zu Anfang des 14. Jahrhunderts.

Dann der „Schwarze Tod“, die große europäische Pandemie (meist als Pestepidemie bekannt). Dieser breitete sich auch an den Nordseeküsten aus und dezimierte die Bevölkerung zusätzlich. 1349/1350 hatte es eine verheerende Pestepidemie gegeben. Die so geschwächte Bevölkerung war nicht mehr in der Lage, die Deiche zu unterhalten (siehe Quelle). 

Die Folge: Viele Leute und Rinder starben. Und wegen des Mangels an Menschen und Brotkorn wurde der Deichbau vernachlässigt. Zu diesem Unglück kam auch noch Pech hinzu: Die passende Windrichtung zur passenden Zeit – das Wasser ist glatt über die Deiche gegangen, ein Extremereignis – mit dem keiner gerechnet hatte. (Quelle)

Husum als Profiteur der Flut

Profiteur der Verluste, hier: vor allem ob des Unterganges des Ortes Rungholt, war, wenn man das so sagt darf, die heutige Kreisstadt Husum. Die Flut öffnete einen Zugang von der offenen Nordsee zur Südwestecke des Festlands. Die Stadt wuchs in wenigen Jahrzehnten zum größten Ort Nordfrieslands heran. Ein Markt wurde errichtet und ein Hafen angelegt. Innerhalb von Jahrzehnten erblüht Husum zur geschäftigen Handelsstadt. Ohne die Katastrophe wäre deren Aufstieg nicht möglich gewesen.

Nach der Flut ist vor der Flut

Die „Grote Mandränke“ sollte nicht die letzte große Flut sein, die Mensch und Landschaft prägte. Hier die markantesten und schwersten Fluten, wo Menschenleben zu beklagen waren und die die Küste von Schleswig-Holstein betrafen:

Die erste Marcellusflut, auch Grote Mandränke (großes Ertrinken), ereignete sich am 16. Januar 1219. Benannt ist die Sturmflut nach dem Heiligen Marcellus I., an dessen Gedenktag sie sich ereignete. Sie ist die erste große Sturmflut an der Nordsee, von der ein Augenzeugenbericht existiert. Nach einem unzuverlässigen Bericht in der Sächsischen Weltchronik fielen dieser schweren Sturmflut, die fehlerhaft auf den 17. November 1218 datiert wurde, an der Nordseeküste etwa 36.000 Menschen zum Opfer. 

Als Weihnachtsflut wird die Sturmflut an der kontinentaleuropäischen Nordseeküste vom 24. Dezember auf den 25. Dezember 1717 bezeichnet. Sie wurde von einem plötzlich einsetzenden Nordweststurm verursacht. Von Tondern im nördlichen Herzogtum Schleswig bis zum ostfriesischen Emden ertranken etwa 9000 Menschen; auch in den Niederlanden starben 2500 Personen. Eine erneute Sturmflut ereignete sich in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1718. Foto: Darstellung der Weihnachtsflut von 1717; Autor: unbekannt.

Die Februarflut von 1825, in Deutschland auch Große Halligflut wütete vom 3. bis 5. Februar 1825 an der gesamten deutschen, dänischen und niederländischen Nordseeküste sowie im unteren Weser- und Elbegebiet und deren Nebenflüssen, bei der etwa 800 Menschen ertranken und sehr schwere Schäden entstanden. 

Am schwersten betroffen waren die Halligen sowie Pellworm, das vollständig überflutet wurde. Hier war es schon bei den Sturmfluten im Herbst 1824 zu schweren Schäden gekommen. Schwere Schäden gab es auch auf Sylt, wo es nicht nur bei Rantum zu schweren Dünenabbrüchen kam, sondern das auch von der Wattseite her vollständig überflutet wurde.

Ein im Jahre 1821 erbauter Seedeich bei Westerland wurde restlos zerstört. Im besonders schwer von der Flut betroffenen Rantum drang das Wasser in 100 Häuser ein, 15 davon wurden zerstört. Die Bevölkerung rettete sich in die angrenzenden Dünen. Ähnlich schwere Schäden entstanden auf Amrum. Auf Föhr brach der Deich an insgesamt 5 Stellen, was zu einer vollständigen Überflutung der Insel führte. Dabei kamen 2 Menschen ums Leben, es gab sehr hohe Viehverluste und schwere Sachschäden.

Am schwersten betroffen waren jedoch die Halligen. Auf Grund unzureichend hoher Wurten und des außergewöhnlich hohen Wasserstandes gerieten hier die Häuser rasch in den Brandungsbereich. Von insgesamt 339 Häusern auf den Halligen wurden 79 durch Wellenschlag völlig zerstört und 233 unbewohnbar. Auf Hooge kamen 28 Menschen ums Leben, auf Nordmarsch und Langeneß 30, sowie auf Gröde 10. Auf Südfall wurden alle 5 Häuser zerstört und alle 12 Bewohner getötet. Quelle: Carl Peter Hansen: Chronik der friesischen Uthlande. Altona 1856, S. 245.

Sturmflut 1962: Mit einem Wasserstand von 5,70 Meter über Normalnull ist die Sturmflut die Flutkatastrophe mit den schlimmsten Auswirkungen für Hamburg im 20. Jahrhundert. Ein lang andauernder Sturm über der nördlichen Nordsee und ein Windfeld über der Deutschen Bucht mit mittlerer Windstärke aus Westnordwest bilden damals die Basis der Katastrophe. Hinzu kommt der Einfluss einer Fernwelle aus dem Atlantik, der bei Cuxhaven fast einen Meter ausmacht. An der Elbe in Hamburg brechen zahlreiche Deiche. 315 Menschen kommen im Stadtgebiet ums Leben.

Der Capella-Orkan am 3. Januar 1976 war ein Orkan, der über Mitteleuropa hinwegzog und zu den stärksten Orkanen des 20. Jahrhunderts gehörte. Er richtete große Schäden an und kostete 82 Menschenleben.

Bei der durch den Orkan ausgelösten Sturmflut wurden an der deutschen Nordseeküste teilweise die Extremwerte der Sturmflut von 1962 deutlich überschritten.Starke Schäden entstanden – unter anderen auch – an den Deichen der Nordstrander Bucht sowie im Nordosten von Nordstrand.

Auf Nordstrand wurde der noch nicht erhöhte Deich des Elisabeth-Sophien-Koogs durch überlaufende Wellen stark beschädigt. Westlich und östlich des Norderhafens auf Nordstrand wurde das den Deich schützende Deckwerk bis auf den Sandkern zerstört.Bei Husum wurde der noch nicht verstärkte Deich des Porrenkoogs durch überlaufende Wellen beschädigt, ebenso die Deichabschnitte bei Westerhever und bei Süderhöft südlich von Sankt Peter-Ording.

Fotos: Sturmflutpfähle Nordstrand (Nordfriesland), Holmer Siel und Husum (Nordfriesland) , Hafenspitze. Nordstrand: 8 Meter hoher Sturmflutpfahl. Vor dem Aufgang zum Deich ist der Sturmflutpfahl zu sehen. Die auf dem Metallschildern zu sehenden Ziffern zeigen das Datum der Sturmfluten weiter oben die Höhe des Wasserstandes.

Zunahme der Sturmfluten durch den Klimawandel?

Bisher hat sich der vom Menschen verursachte Klimawandel kaum auf die Nordseesturmfluten ausgewirkt. Künftig können sie jedoch höher auflaufen. Bis 2030 sei der derzeitige Küstenschutz an der Nordsee fast genauso wirksam wie heute. Bis Ende des Jahrhunderts könnte jedoch Handlungsbedarf entstehen, denn bis dahin können Sturmfluten drei bis elf Dezimeter höher auflaufen als heute. (Quelle)

Bleibt die Hoffnung, das der Mensch seriös handelt und uns nicht noch einmal eine Naturkatastrophe wie vor 660 Jahren widerfährt.

Beitragsfoto: Rekonstruierter Küstenverlauf um 1240 (vor der Sturmflut 1362) auf der 1649 herausgegebenen Nordfriesland-Karte von Johannes Mejer. Die roten Linien geben den heutigen Küstenverlauf an.

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

2 Kommentare zu „Vor 660 Jahren: Die Grote Mandränke  “

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