Zeitgeschichte: Honecker und der Pastor – Film über Ex-DDR-Staatschef-Asyl

Nach 32 Jahren kommt ein besonderes Kapitel deutscher Geschichte ins Fernsehen – das Asyl des gescheiterten DDR-Staatschefs Erich Honecker (1912–1994) bei Pastor Uwe Holmer in Lobetal (Barnim). Der Film „Honecker und der Pastor“ wird Ende März im ZDF ausgestrahlt.

Januar 1990: Nachdem sie entmachtet worden sind und die Mauer gefallen ist, sind Erich und Margot Honecker praktisch obdachlos, denn die Regierungssiedlung in Wandlitz wurde aufgelöst. Die Modrow-Regierung bietet dem ehemaligen Diktatorenpaar keinen Schutz. Einzig beim evangelischen Pastor Uwe Holmer* und seiner Familie, die, wie viele andere, unter dem DDR-Regime gelitten haben, finden die Honeckers Zuflucht …

Vor dem Pfarrhaus kommt es zu heftigen Demonstrationen, so dass Pastor Holmer und seine Frau sich persönlich den gewaltbereiten Demonstranten in den Weg stellen müssen. Der halbherzige Versuch der Regierung Modrow, das Ehepaar Honecker im März 1990 in einem staatlichen Ferienheim in Lindow unterzubringen, scheitert an massiven politischen Protesten und tätlichen Angriffen auf die Wagenkolonne.

Wieder nehmen die Holmers das Ehepaar auf. Insgesamt zehn Wochen leben die überzeugten Sozialisten und die tiefgläubigen Christen im Pfarrhaus unter einem Dach in Lobetal (= Ortsteil der Stadt Bernau bei Berlin im Landkreis Barnim in Brandenburg).

Termine: ZDF: Montag, 21. März 2022, 20.15 Uhr
ZDFmediathek: ab 14. März 2022 für ein Jahr
ARTE: Freitag, 18. März 2022, 20.15 Uhr

„Auf zum letzten Gefecht“ Stellungnahme von Regisseur Jan Josef Liefer zum Film:

Die Geschichte von den Honeckers und den Holmers verfolgt mich, seit ich das erste Mal von ihr hörte. Das ehemalige Staatsoberhaupt und seine Frau, die einstige Volksbildungsministerin, werden nach ihrem tiefen Fall zu obdachlosen Bittstellern, die keiner will. Sämtlicher Privilegien wie auch des Personenschutzes beraubt, stehen sie quasi auf der Straße.

Nur zwei eilig gepackte Koffer sind vom alten Leben geblieben. In der ausweglosen Situation ist es ausgerechnet ein Pastor, der sein Haus für das Diktatorenpärchen öffnet, und so ziehen Erich und Margot in die Kinderzimmer des Pfarrhauses. Kirche und Staat – die Enden der Parabel kreuzen sich. Das Undenkbare passiert.

Es klingt wie ein Märchen. Und wie im Märchen hielt sich in der DDR die Vorstellung, die da oben müssten nur einmal die Wahrheit über das marode Land erfahren, dann würde alles besser. In der Tat sind Oberhäupter diktatorischer Systeme oft schlecht informiert, weil der Untergebene dem Vorgesetzten keine unerwünschten Nachrichten überbringen möchte, die ihm selbst als Versagen ausgelegt werden könnten.

So setzt sich die Beschönigung fort, je weiter sie in der Nomenklatura aufsteigen, bis schließlich ganz oben alles nur noch großartig ist. Meine Mutter hatte den immer wiederkehrenden Traum, dass sie Honecker zufällig in einem Restaurant begegnet, ohne seine Entourage, und ihm die ganze Wahrheit über das Leben in der DDR sagt. Dieser Traum wird wahr, unser Film erzählt davon.

ZDF und Conny Klein
Honecker (Edgar Selge, l.) und Holmer (Hans-Uwe Bauer, r.) spazieren am See entlang. Quelle: (c)  ZDF/Conny Klein

Was wie ein Kammerspiel aussieht, ist in Wahrheit ein Thriller. Eingebunkert und in nahezu völliger Isolation von den Dingen des Lebens wird die Außenwelt von den Honeckers nur durch den Blick in den Fernseher oder durch die Gardinen an den Fenstern ihrer Zimmer wahrgenommen.

In ihren Köpfen aber tobt ein Krieg, da geht es auf zum letzten Gefecht. Auch diese imaginären Bilder werden hie und da Gestalt annehmen und für den Zuschauer sichtbar.

Zusätzlich zum Film „Honecker und der Pastor“ strahlt das ZDF noch eine Dokumentation von Fred Breinersdorfer aus:

Inhalt: Erich Honecker, einst mächtigster Mann der DDR, ist obdachlos und findet Zuflucht ausgerechnet in einem Pfarrhaus. Jan Josef Liefers geht der Geschichte auf den Grund. Das Fernsehspiel, das aus diesen Recherchen entstand, zeigt das ZDF am Montag, 21. März 2022, um 20.15 Uhr.

Die Dokumentation dazu begleitet den bekannten Regisseur und Schauspieler bei seinen Nachforschungen. So besucht Liefers Pastor Uwe Holmer und seine Familie, die Erich und Margot Honecker im Januar 1990 aufnahmen.

Aber auch Bürgerinnen und Bürger von Lobetal kommen zu Wort. Der kleine Ort bei Berlin war in DDR-Zeiten bekannt für seine Einrichtungen für geistig und körperlich Behinderte. Eine kirchliche Heimat für Menschen, für die es im öffentlichen Erscheinungsbild der sozialistischen DDR keinen Platz gab.

Und ausgerechnet hier finden der einst mächtigste Mann des SED-Regimes und seine Frau in den Umbrüchen der „Wendezeit“ für mehrere Wochen Asyl. Für Pfarrer Uwe Holmer eine Gewissensentscheidung, eine Frage der Glaubwürdigkeit als Christ.

Mittlerweile 93 Jahre alt, steht er – mit seinem Sohn und anderen damals am Geschehen Beteiligten – dem Regisseur und Schauspieler Liefers Rede und Antwort. Daraus entstand ein sehr persönlicher Film, der auch über Liefers Erfahrungen zu DDR-Zeiten einiges aussagt. 

Sendetermin: Sonntag, 20. März 2022, 23.45 Uhr
In der ZDFmediathek voraussichtlich ab Sonntag, 13. März 2022

Zeittafel

Erich Honecker wird am 3. Mai 1971 als Nachfolger Walter Ulbrichts Erster Sekretär (ab 1976 Generalsekretär) des Zentralkomitees der SED – und damit zum mächtigsten Mann der DDR.

Seine Frau Margot Honecker ist seit 1963 Ministerin für Volksbildung in der DDR.

1989 finden in den Städten der DDR wiederholt Demonstrationen für Reise- und Meinungsfreiheit und das Ende der SED-Herrschaft statt. Die Zahl der DDR-Flüchtlinge über die bundesdeutschen Botschaften in Prag und Budapest und über die Grenzen der sozialistischen Bruderstaaten nimmt stetig zu.

Am 7. Oktober 1989 finden die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR statt. Erich und Margot Honecker feiern mit Michail Gorbatschow, das Volk jubelt ihnen vermeintlich begeistert zu. Doch gleichzeitig werden die Demonstrationen immer größer.

Am 17. Oktober 1989 wird Honecker von seinen eigenen Genossen zum Rücktritt gezwungen. Öffentlich heißt es am nächsten Tag, Erich Honecker tritt auf eigenen Wunsch aus gesundheitlichen Gründen aus allen Ämtern zurück.

Margot Honecker muss am 20. Oktober 1989 alle Ämter abgeben.

Am 9. November 1989 fällt die Mauer.

Am 19. Januar 1990 wird Erich Honecker nach einer Nieren-OP aus der Charité entlassen und direkt verhaftet.

Am 20. Januar 1990 wird er wegen Haftunfähigkeit aus Rummelburg entlassen. Die Regierungssiedlung in Wandlitz ist geschlossen. Die Honeckers sind obdachlos.

Vom 30. Januar 1990 bis 3. April 1990 leben sie bei Pastor Uwe Holmer und seiner Familie in Lobetal.

Im Anschluss werden sie im sowjetischen Militärhospital bei Beelitz untergebracht. Von dort werden die Honeckers am 13. März 1991 durch den sowjetischen Staatspräsidenten Gorbatschow nach Moskau ausgeflogen.

Um einer Abschiebung in die Bundesrepublik zu entgehen, flüchten die Honeckers am 11. Dezember 1991 in die chilenische Botschaft in Moskau. Am 29. Juli 1992 wird Erich Honecker nach Deutschland ausgeflogen und kommt in Berlin-Moabit in Untersuchungshaft. Seine Frau Margot fliegt von Moskau direkt nach Chile zu Tochter Sonja. Erich Honecker muss sich unter anderem wegen des Schießbefehls an der Mauer verantworten.

Im Januar 1993 werden die Anklage und der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. Honeckers Krebserkrankung ist zu diesem Zeitpunkt bereits so weit fortgeschritten, dass er eine Urteilsverkündung nicht mehr erleben würde.

Erich Honecker fliegt nach Chile zu seiner Familie, wo er die letzten Monate seines Lebens verbringt und am 29. Mai 1994 stirbt.

Margot Honecker lebt bis zu ihrem Tod am 6. Mai 2016 in Santiago de Chile. Textquelle bis hier: ZDF

*Über Uwe Holmer

Uwe Holmer (2000)

Uwe Holmer (i. B. Fotograf: Paul Peplow – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=21853293) wurde am 6. Februar 1929 in Wismar geboren. Er gewährte vom 30. Januar bis zum 3. April 1990 Margot und Erich Honecker Asyl in seinem Haus. Rechtsanwalt Wolfgang Vogel hatte bei der Kirchenleitung Brandenburg um eine Bleibe für den am 18. Oktober abgesetzten Partei- und Staatschef gebeten.

Man habe damals befürchtet, dass wütende DDR-Bürger das Leben der Honeckers bedrohten. Tatsächlich wurde das Haus des Pfarrers von Einwohnern und Journalisten umlagert. Der Pfarrer und seine Frau, die aus Nächstenliebe gehandelt haben, waren Anfeindungen ausgesetzt. (1. + 2.).

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands gehörte er zum Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz und war stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Evangelistenkonferenz. Im Ruhestand ging Holmer nach Mecklenburg zurück und arbeitete in der Rehaklinik für Suchtkranke in Serrahn (= Ortsteil der Gemeinde Kuchelmiß im Landkreis Rostock in Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland).

Quellen: 1. Tobias Kurfer: WG mit Honecker – Der Feind in meinem Haus. In: Tagesspiegel, 18. Oktober 2009; abgerufen am 27. September 2012

2. Ellen Nieswiodek-Martin (Interview): Den Weg der Verständigung suchen. (PDF; 27 MB) In: pro-medienmagazin 4|2012, S. 31

Beitragsfoto: Honecker und der Pastor“: Von links: Margot HoneckerR (Barbara Schnitzler), Erich Honecker (Edgar Selge), Uwe Holmer (Hans-Uwe Bauer), Sigrid Holmer (Steffi Kühnert) Rechtehinweis: © ZDF/Conny Klein.

  

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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