Filmtipp ZDF-History: Das dunkle Erbe

Viele Traditionsvereine haben sich lange Zeit schwer damit getan, ihre braune Vergangenheit aufzuarbeiten; einige haben noch heute Nachholbedarf, wie Rainer Fromm und Udo Frank in der Dokumentation „ZDF-History. Das dunkle Erbe“ zeigen. Der Film sorgt für einige Denkmalstürze von Funktionären, aber auch von Spielern, die in ihren Clubs bis heute verehrt werden. Die meisten waren Überzeugungstäter, die nie ein Zeichen der Reue gezeigt haben. Leider zeigt das ZDF die Doku – im Gegensatz zur sonstigen Fußball-Berichterstattung – nicht zur besten Sendezeit.

Kaum ein Sportereignis hat die Deutschen so bewegt wie das „Wunder von Bern“, der WM-Titel 1954. Doch auf dem Erfolg lastet ein dunkles Erbe: der Schatten der NS-Zeit.

Eine „Stunde null“ hat es nach 1945 im deutschen Fußball nie gegeben. Beim Deutschen Fußballbund und seinen Vereinen wirkten auch Jahre nach dem Krieg noch immer ehemalige Nazi-Sportfunktionäre, frühere SS-Leute und NSDAP-Parteikader, oft in führenden Positionen.

Wie Peco Bauwens, der erste Nachkriegspräsident des DFB. Auf der Siegesfeier nach dem WM-Triumph 1954 führt er den Titel in nationalistischem Überschwang auf die Wahrung des „Führerprinzips“ zurück.

An seiner Seite hat er noch immer DFB-Funktionäre mit NSDAP-Vergangenheit, er fördert ihre Karrieren und hält auch nach 1945 alte Beziehungen aufrecht. 

ZDF-Recherchen decken jetzt auf, wie Bauwens auch persönlich in verbrecherische Abgründe des NS-Regimes geriet. Als Mitinhaber eines Baugeschäfts in Köln profitierte er von der Ausbeutung von KZ-Häftlingen, die unterirdische Anlagen für die deutsche Rüstungswirtschaft errichten mussten.  

Andere Fußballidole bereicherten sich an jüdischem Eigentum, wie Fritz Szepan von Schalke 04 oder Rudolf Gramlich von Eintracht Frankfurt. Beide konnten ihre Karrieren nach dem Krieg nahtlos fortsetzen, wirkten als hochgeachtete Vereinsfunktionäre.

In Gelsenkirchen spricht man bis heute voller Ehrfurcht vom „Schalker Kreisel“. In den Dreißigerjahren pflegte das Team rund um Legenden wie Fritz Szepan und Ernst Kuzorra seine Gegner mit perfektem Kurzpassspiel zu zerlegen; zwischen 1934 und 1942 wurden die Schalker sechsmal Deutscher Meister.

Dass Szepan damals zu einem Spottpreis ein jüdisches Kaufhaus erworben hat – die Besitzer wurden deportiert und ermordet –, war nach dem Krieg, als er erst Trainer und dann Präsident des Clubs wurde, allenfalls ein Randthema. Seine Wiedergutmachungszahlung in Höhe von tausend Mark muss der Familie wie eine Verhöhnung vorgekommen sein.

Der spätere Eintracht-Frankfurt-Präsident Rudolf Gramlich, der maßgeblich an der Gründung der Bundesliga beteiligt war, gehörte zu der für ihre Gräueltaten berüchtigten Totenkopfeinheit der Waffen-SS. 2002 hat ihm der Verein posthum die Ehrenpräsidentschaft aberkannt.

Das Fußball-Idol vom Hamburger SV „Tull“ Harder verdingte sich sogar als Wachmann im KZ Neuengamme und leitete später ein „Außenlager“ in Hannover-Ahlem. Er wurde 1947 als Kriegsverbrecher zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach seiner vorzeitigen Entlassung 1951 war er beim HSV ein gern gesehener Gast; kein Geringerer als Bauwens lobte ihn als „Vorbild für die Jugend“.

Neue Erkenntnisse zeigen, dass auch beim deutschen Rekordmeister FC Bayern München braune Flecken auf der scheinbar weißen Weste zu finden sind. Selbstdarstellungen des Vereins, die von einem „Judenklub“ sprechen, der von den Nazis geschmäht und angeblich verfolgt wurde, entpuppen sich als Legende. Der Aufstieg des Klubs in den 1960er-Jahren ist auch Männern mit NS-Vergangenheit zu verdanken. 

Der von den Ultras verehrte erste Nachkriegspräsident Kurt Landauer, ein Jude, war im KZ Dachau. Tatsächlich hat der Verein seine jüdischen Mitglieder ab 1935 genauso ausgeschlossen wie alle anderen deutschen Clubs.

Präsident Wilhelm Neudecker, in dessen Ära 1962 bis 1979 die Bayern ihre ersten großen Erfolge feierten, war SS-Mitglied, sein Geschäftsführer Walter Fembeck war bei der Waffen-SS.

Fromm und Frank haben mit Hilfe von Historikerinnen und Historikern sowie Sportjournalisten und Sportbuchautoren wie Hartmut Scherzer und Dietrich Schulze-Marmeling noch weitere Fälle dieser Art aufgetan.

Die meisten waren Überzeugungstäter, die nie ein Zeichen der Reue gezeigt haben. Umso wichtiger wäre es, dass die Vereine wie auch der DFB ihr dunkles Erbe gründlich aufarbeiten.

„ZDF History: Das dunkle Erbe“. 28. November, ZDF, 0.35 Uhr; Video verfügbar ab 27.11.2021, 23:45 in der Mediathek.

Foto: Im deutschen Fußball dominierte nach dem Ende des „Dritten Reichs“ personelle und politische Kontinuität – beim Deutschen Fußballbund (DFB) und seinen Vereinen. Bis heute sind diese dunklen Verstrickungen nicht umfassend aufgearbeitet. © ZDF/Wolfgang Morell

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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