13. November 1872: Ostseesturmhochwasser – Ausstellung „Landunter“

In der Nacht vom 12. auf den 13. November 1872 überraschte ein Sturmhochwasser von bis dahin unbekanntem Ausmaß die Anwohnerinnen und Anwohner der westlichen Ostseeküste von Dänemark, Schleswig-Holstein bis Mecklenburg und Vorpommern. 271 Menschen starben, Tausende wurden obdachlos. Die Naturkatastrophe verursachte ungeheure Schäden an unseren Küsten. Schauen wir auf die Schäden in Schleswig-Holstein in den jeweiligen – heutigen – Landkreisen und kreisfreien Städten direkt an der Ostsee:

Stadt Flensburg & Kreis Schleswig-Flensburg

In Flensburg stand das Hafenviertel unter Wasser. Ein Mann ertrank, die materiellen Schäden waren indessen begrenzt. Die an der Flensburger Förde liegenden Dörfer waren dagegen stärker betroffen.

Die 10 Häuser des Fischerdorfes Wenningbund (Dänemark) wurden durch die Flut fortgespült, ein Mann kam durch die Fluten um. Die Halbinsel Habernis (Kreis Schleswig-Flensburg) am südlichen Eingang der Flensburger Förde wurde kurzzeitig zu einer Insel (Quelle).

Foto: Am Vorderhaus des Flensburger Kompagnietores sind Hochwassermarken früherer Überschwemmungen, u. a. auch des Ostseesturmhochwassers vom 12. auf den 13. November 1872 zu sehen. Aufnahme vom 29.05.2022, Flensburg, Hafen (West); Foto: (c) Willi Schewski

Kreis Rendsburg-Eckernförde

Von allen deutschen Küstenorten trug Eckernförde (Kreis Rendsburg-Eckernförde) aufgrund seiner Lage an der weit nach Nordosten geöffneten Eckernförder Bucht die schwersten Schäden davon. Das gesamte Stadtgebiet wurde bei einer Fluthöhe von 3,76 m über NN überflutet, 87 Häuser wurden zerstört, 137 beschädigt und 112 Familien wurden obdachlos. Menschenleben waren dagegen nicht zu beklagen.

Der Damm, der den Binnensee Windebyer Noor bei Eckernförde von der Ostsee trennt wurde innerhalb von 1 ½ Stunden zerstört, ein gewaltiger Ostseestrom ergoss sich durch die Bruchstelle und riss Fischerboote und andere Gegenstände mit sich. Die Stadt war damit von der Außenwelt abgeschnitten.

Kreis Plön / Stadt Kiel

Die Küstenorte an der Kieler Bucht, Laboe, Schönberg, Wendtorf, Stein und Strande (Kreis Plön) wurden von der Sturmflut schwer getroffen, fast alle Häuser wurden zerstört, drei Menschen ertranken. Durch die eng nach Süden verlaufende Kieler Förde waren Kiel und der Hafen vor der Sturmflut weitgehend geschützt.

Kreis Ostholstein / Stadt Lübeck

Die Insel Fehmarn wurde zu einem Drittel ihrer Fläche – vor allem die Südostküste – überschwemmt, 53 Wohnhäuser und zahlreiche Stallungen und Scheunen wurden zerstört, 366 Häuser wurden beschädigt. Fünf Menschen kamen auf der Insel ums Leben. Am anderen Ufer des Fehmarnsunds, in Heiligenhafen, wurden etwa 40 Häuser zerstört, Menschenleben waren nicht zu beklagen.

Die Sperrwerke des Oldenburger Grabens zu beiden Enden des Kanals, bei Weissenhaus an der Hohwachter Bucht und bei Dahme an der Lübecker Bucht, sowie die anschließenden Deiche wurden durch die Sturmflut zerstört. Auf der Westseite drang die Flut bis Oldenburg vor und beschädigte 20 Häuser, ein Mann kam ums Leben. Auf der Ostseite drang die Flut bis nach Grube vor und zerstörte 9 Häuser, 69 wurden schwer beschädigt. Ein Mensch kam ums Leben, 61 Familien mit 216 Personen wurden obdachlos.

Bei Dahme brach der Deich, woraufhin der südliche Teil des Ortes in nur wenigen Minuten bis zu zwei Meter unter Wasser stand. 20 Häuser wurden vollständig zerstört, 50 weitere schwer beschädigt. 10 Menschen kamen in den Fluten um, 300 wurden obdachlos.

Bei den Nachbarorten Kellenhusen und Grömitz brachen auch die Deiche, die trockengelegten Weideländer wurden überflutet, Menschen und Gebäude kamen nicht zu Schaden. Ähnlich verhielt es sich bei Neustadt, das mit dem Binnenwasser über eine große Polderfläche verfügt und damit der Flut die Zerstörungskraft nahm.

Die Küstenorte der Lübecker Bucht, Sierksdorf, Haffkrug, Scharbeutz und Niendorf lagen dagegen im Zentrum der Katastrophe. Die Orte, die noch über keinen Küstenschutz verfügten, wurden zum größten Teil überschwemmt. Hier starben 9 Menschen, davon allein 5 Menschen in Scharbeutz. In Haffkrug und Sierksdorf wurden etwa 20 Häuser, weitere schwer beschädigt.

Das Fischerdorf Niendorf, das auf einer flachen Nehrung zwischen der Ostsee und dem Hemmelsdorfer See liegt, wurde weitgehend überschwemmt. Vier Menschen ertranken, 12 Wohnhäuser wurden zerstört, weitere 14 wurden schwer beschädigt, etwa 38 Familien mit 138 Personen wurden obdachlos.

In Travemünde wurden am ungeschützten Küstenbereich mehrere Gebäude zerstört. 14 Schiffe, die zum Schutz vor dem Orkan den Hafen anliefen, strandeten vor Travemünde oder auf dem Priwall. Das Sturmhochwasser breitete sich über die Trave bis nach Lübeck aus, wodurch alle Straßenzüge der Unter- und Obertrave und an der Wakenitz einen Meter hoch unter Wasser standen.

Einordnung

Dieses Sturmhochwasser ist statistisch als Jahrtausendereignis zu werten. Ein Sturmhochwasser ähnlichen Ausmaßes würde heute wesentlich größere Schäden anrichten, da die Küstengebiete damals noch nicht so dicht besiedelt waren wie heute.

Da das Sturmhochwasser von 1872 den mit Abstand höchsten jemals gemessenen Wasserstand in der deutschen Ostsee mit sich brachte, wird dieser Wasserstand, abgesehen von einigen Boddengebieten, als Bemessungsgrundlage für Küstenschutzbauwerke verwendet.

Was folgt aus der Katastrophe?

Ausstellung „Landunter: Klima, Wetter, und viel Wasser“ im Schifffahrtsmuseum – ab 13. November

150 Jahre später: Was ist von dieser Katastrophe geblieben? Die Ausstellung „Landunter: Klima, Wetter, und viel Wasser“ beschäftigt sich mit dem Thema und versucht Antworten zu finden: Wie ist es überhaupt zu der Katastrophe gekommen? Und was haben wir daraus gelernt oder können daraus lernen?

Denn seit Jahren hat der von Menschen gemachte Klimawandel Auswirkungen auf den Meeresspiegel, auf die nicht nur der Küstenschutz reagieren muss: Wir alle sind gefragt, unser Handeln und Konsumverhalten zu verändern.

Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Flensburger Schifffahrtsmuseums, des Naturwissenschaftlichen Museums Flensburg, des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der Firma gwf Ausstellungen, Hamburg. Sie steht unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck.

Quellen / Weiterführende Informationen

Begleitend zur Ausstellung findet ein umfangreiches Rahmenprogramm statt. Siehe www.schifffahrtsmuseum-flensburg.de

04. Juni: Lesung aus dem Roman „Stürme“ von Georg Asmussen mit Klaus Guhl im Schifffahrtsmuseum

Vor 150 Jahren, in der Nacht vom 12. auf den 13. November 1872 überraschte ein Sturmhochwasser von bis dahin unbekanntem Ausmaß die Anwohner*innen der westlichen Ostseeküste. 271 Menschen verloren ihr Leben, Tausende wurden obdachlos.

Das Flensburger Schifffahrtsmuseum nahm dies zum Anlass für die Ausstellung „Landunter“. Im Rahmen dieser Ausstellung ist die Lesung aus Georg Asmussens Buch „Stürme“ (1906). Es stürmt gewaltig in dem Roman.

Wann: Sonntag, 04.06. um 15:00 Uhr. Wo: Schifffahrtsmuseum Flensburg, Schiffsbrücke 39

Sehr sehenswert: Video mit historischen Aufnahmen und Erklärung

Beitragsbild: Der verwüstete Flensburger Hafen nach dem Ostseesturmhochwasser am 13. November 1872

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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