1864 – Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen (Teil 6)

Wir schreiben das Jahr 1864. Dieses bringt den ersten der später so bezeichneten deutschen Einigungskriege: Nach einem von Dänemark nicht erfüllten kurzfristigen Ultimatum zur Rücknahme der Novemberverfassung greifen Preußen und Österreich das Königreich an und besiegen es innerhalb weniger Monate, wobei sie bis zur Nordspitze von Jütland vordringen. Im Frieden von Wien verliert Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, die von den Siegermächten vorläufig in Form eines Kondominiums verwaltet werden. In dieser mehrteiligen Reihe werden die Ereignisse aus Sicht des Tonderner Bürgers O. C. Hanquist wiedergegeben. Begeben wir uns auf eine spannende Reise in die Vergangenheit. In dieser 6. und letzten Folge schildert Hanquist seine Gefühle ob des Falles von Düppel

„Die Schüsse dröhnten unaufhörlich … „Angst“ (1). Im April 1864 tritt der Deutsch-Dänische Krieg in die entscheidende Phase. Die Entscheidung fällt bei der Düppeler Schlacht am 18. April 1864. Nach der über einen Monat anhaltenden Belagerung preußisch-österreichischer Truppen vor den Düppeler Schanzen kommt es zur Entscheidungsschlacht. Beide Seiten erleiden schwere Verluste. Der Tonderner Bürgers O. C. Hanquist schreibt an seinen Sohn Ludwig: „Mein geliebter! Heute Morgen bringt der Mercur endlich die Nachricht von dem Fall von Düppel; 

was sie unter den neuesten Nachrichten mittheilt, bedarf wohl noch der Bestätigung, denn hier sind noch manche, die nicht daran glauben wollen, daß die Preußen auch schon auf Alsen sind, obschon ich nicht zu denen gehöre, und der Meinung bin, daß Alsen auch schon wenigstens theilweise, von den Preußen genommen ist, oder sonst doch jedenfalls in kurzer Zeit besetzt werden wird

Vorläufig ist das was wir schon wissen, ein glänzender Sieg, mit welchem Preußen der Conferenz, welche heute in London eröffnet wird, gegenüber treten kann. Ich hoffe zu Gott, daß Schleswig nun ruhig das Ende dieser Conferenz erwarten darf. 

Schon gestern Morgen verbreitete sich hier wie ein Lauffeuer die Nachricht von dem Fall Düppels, und wenige Augenblicke danach flatterten die Fahnen von den Häusern aller deutschgesinnten Einwohner. Möglich, daß dieses Ereignis Dir schon bekannt ist, bevor diese Zeilen Dich erreichen, und vielleicht noch mehr wie wir bis diesen Augenblick wissen.

So eben kömmt mein Hauswirth 10) aus der Stadt, und berichtet daß sie noch nicht nach Alsen hinüber waren; ferner, daß bei dem Sturm auf Düppel 2 Preußische Generäle, 600 Mann gefallen wären, daß gestern Abend 5000 Mann verwundete Preußen und Dänen nach Flensburg gekommen wären, und ebenso 5000 Mann dänische Gefangene gemacht wären

Die Richtigkeit dieser Angaben müssen wir erwartend bleiben. Jedenfalls soll nach Augenzeugen, die von Düppel hier schon angelangt sind, das Blutbad schaudererregend gewesen sein.

„Der Kampf vor Düppel am 28. März 1864“;Kommentiertes und koloriertes Schlachtenbild (Einblattdruck), Oehmigke & Riemschneider „No. 5004“; Sammlung Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek

Augenzeugenbericht: Pastor Feilberg aus Store Vi, der früh am Morgen des 18. April 1864 aufgebrochen war, um nach Flensburg zu fahren, schreibt:

„Die Schüsse dröhnten unaufhörlich. (…) Um 10 Uhr hörte das Schießen plötzlich auf. Bei Dybbøl schwärmten in diesem Augenblick die preußischen Sturmtruppen aus den Schützengräben aus. Die Stunde hatte geschlagen. Der dänische Oberpräsident, Kammerherr von Rosen in Flensburg, der vorläufig noch unter preußischer Aufsicht arbeitete, schrieb ein Wort in seine Notizen: „Angst!“

Pastor Graae notiert in seinem Tagebuch am 8. April 1864:

„Von den Schanzen am Dybbølbjerg aus sahen wir deutlich den Blitz; ein Mann, der mit einem ausgezeichneten Fernglas neben uns stand, rief: Jetzt stürmen sie! Seht, wie sie ausschwärmen!

In einem Brief vom 9. Mai 1864 an Bischof Daugaard in Ribe beschrieb der dänische Pastor Graae die Zustände:

„Nach dem 18. April sind etwa 300 dänische Verwundete hierher gebracht worden, aber ich habe 1/6 von ihnen begraben. Es gibt hier so viele Krankenhäuser, dass man sich, um etwas zu erreichen, auf einige wenige beschränken muss.

(…) Ich habe mehrmals Gottesdienste in einigen der Krankenhäuser gehalten, wo übrigens Dänen und Preußen sehr freundschaftlich nebeneinander liegen, was im Grunde genommen einen guten Eindruck macht, gerade um des Kontrastes willen in dieser Kriegszeit.“

Quelle: Flensborg under krigen i 1864 – oplevet af byens danske
Studieafdelingen og Arkivet ved Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig René Rasmussen, arkivar

Zurück zu Hanquist:

Gestern Abend kam ein neuer Probst, ein Pastor Valentiner 20) hier an. Nun werden gewiß bald alle unsere Schulen wieder eröffnet werden. Es ist eine bedeutungsvolle Zeit in welcher wir leben, und mit jedem Tage können wir ja Neues erwarten.

Am Sonntag erwarte ich Dich hier, lieber Ludwig, ob Du Deine gute Frau mitnehmen kannst, was uns natürlich lieb sein wird, erfahren wir vielleicht am nächsten Sonnabend durch ein paar Reihen von Dir. Ein Mehreres kann ich Dir für heute, Mittags 1 Uhr nicht mittheilen, und so schließe ich mit den innigsten Grüßen an Dich und Deine gute Doris von uns.

Stets Dein treuer Vater, O. C. Hanquist“. ## Ende ##

Wie es weiterging:

Am 21. April 1864 besucht König Wilhelm I. von Preußen (* 22. März 1797 in Berlin; † 9. März 1888 ebenda) Flensburg. Es werden Fahnen gehisst, weiß gekleidete Mädchen empfangen seine Hoheit und die Kirchenglocken geläutet. Doch im Mittelpunkt des Besuchs steht die siegreiche preußische Armee. Am Abend fährt Oberpräsident von Rosen durch die Stadt in Richtung Norden. Die Straßen seien sehr ruhig gewesen, sagt er:

Wilhelm I. auf einem Porträt des Hoffotografen Wilhelm Kuntzemüller (1884)

Pastor Feilberg schreibt:

„Kaum Fahnen, im ganzen Norden nur ein paar, drei oder vier Fahnen. Die Stimmung hier ist leicht zu verstehen und hat sich nie deutlicher gezeigt als heute. Es wurde ‚Hurra‘ gerufen“.

„aber das Volk hat sich wohl kaum beteiligt. Zu Ehren des Königs wurden abends Lichter angezündet und Fensterscheiben beim Metzger Hillebrandt, beim Pfarrer Ewaldsen, bei Frau Rasch … und einigen anderen eingeschlagen“.

Quelle: Flensborg under krigen i 1864 – oplevet af byens danske
Studieafdelingen og Arkivet ved Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig René Rasmussen, arkivar

Dänemark muss nach der Niederlage das Herzogtum Schleswig an Preußen und das Herzogtum Holstein an Österreich abtreten. 1866 besetzten preußische Truppen auch Holstein und machten beide Herzogtümer zu einer Provinz des Königreichs Preußen.

Schleswig-Holstein als eigenständigen deutschen Bundesstaat lehnte Preußen ab. Der Verwaltungssitz der Provinz war Schleswig. 1876 wurde die Provinz um das Herzogtum Lauenburg erweitert.

Als Folge des Versailler Vertrags entschied sich der nördliche Teil der Bevölkerung Schleswigs in einer Volksabstimmung 1920 für die Vereinigung mit Dänemark.

In der südlichen Zone sprachen sich 80 Prozent der Bevölkerung für den Verbleib beim Deutschen Reich aus. Seither bildet die Grenze zwischen beiden Abstimmungsgebieten die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Dänemark, mit nationalen Minderheiten beiderseits der Grenze.

Quellen / Weiterführende Informationen / Fußzeilen

25) Christian Balthaser Friedrich Keisig, Sohn eines aus Jütland zugewanderten Tischlers Jürgen Christian Keisig (gestorben Tondern 20. 3. 1828) und dessen ebenfalls aus Jütland stammenden Ehefrau Metta Maria, geb. Sörenstochter (gestorben Tondern 8. 1. 1821), der anscheinend unter dem dänischen Regiment einen Stadtdiener abgegeben hat.

20) Christian August Valentiner, geb. Flensburg 28. 7. 1815, als Pastor in Tyrstrup entlassen 1850, war dann vorübergehend Seminardirektor und Pastor in Bernburg (Anhalt) und Propst in Coswig a. d. Elbe, wurde 1864 als Pastor und Propst in Tondern konstituiert, aber noch im gleichen Jahre Pastor und Propst an der Set. Nicolai-Kirche in Flensburg, bis er 1865 wieder in sein Amt in Tyrstrup eingesetzt wurde. (Arends.) Valentiner fehlt in der Liste der Pröpste Tonderns in Andresens Bürgerbuch.

20) Ludwig Graf von Brockenhuus-Schack, Amtmann vom 1. 6. 1860 an.

10) Christian Matthiä Carstensen, Goldschmied in Tondern, als solcher
leistete er 19. 9. 1859 den Bürgereid.

Beitragsbild: Preußische Soldaten nach der Schlacht auf den Schanzen (1864). Autor/-in unbekannt – Dänisches Nationalmuseum. Selbst fotografiert

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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