Von „Husumerei“ und „absoluter Weltwürde der Dichtung“

„Theodor Storm: ein vergeistigter Schifferkopf, etwas schräg gehalten, Wetterfältchen in den Winkeln der zugleich träumerischen und spähenden blauen Augen, die Bitternis hochbedürftiger und skrupulöser Anstrengung um den Mund…“ Thomas Mann (1875-1955) über Theodor Storm (1817-1888)

Die Reihe „Was ist eigentlich …?“ möchte Leserinnen und Lesern Fach-Begriffe und Phänomene erklären, die in Schleswig-Holstein gebräuchlich sind. Wer hat schon mal den Begriff „Husumerei“ gehört? Der Verfasser, selbst im „Metropölchen“ am grauen Meer geboren und aufgewachsen, kannte ihn nicht. Man lernt ja nie aus.

Over de stillen Straten, geit klar de Kloggenslag; god Nacht! / Din Hart will slapen, un morgen is og en Dag. Theodor Storm (1)

Den Begriff „Husumerei“ hat ursprünglich Theodor Fontane etwas abfällig über Theodor Storm und sein Tun in Husum geprägt. Mit dem „Schimmelreiter“, die Geschichte vom Kampf auf Leben und Tod, schuf er ein Werk, dass in die Weltliteratur einging.

Es war übrigens sein letztes Werk, das er, von einer Krebserkrankung gezeichnet und geschwächt, vollendete. Diesen Kampf gewann er. Das Erscheinen des Werks erlebte er nicht, er starb am 4. Juli 1888.

Husumerei – oder: die Flucht aufs Land, dahin wo die Welt noch in Ordnung ist

Theodor Storm (Foto aus einer öffenltich aufgestellten Infotafel)

Schon vor zwei Jahrhunderten kritisierten zwei Dichter und Denker die naive Flucht aufs Land: Theodor Storm, der als bedeutendster Vertretern des Poetischen Realismus galt und Wilhelm Heinrich Wackenroder, einer der Mitbegründer der deutschen Romantik.

Ihnen waren die angebliche Idylle der Orte und Kleinstädte suspekt, nachdem Städter angeekelt von  Dreck, Lärm, Gewalt, Industrialisierung „reif für die Insel“ wurden spricht, aufs Land flohen – wo doch alles so in Ordnung schien.

Würde Storm als „moderner“ Mensch von heute, ausgestattet mit Mobiltelefon, Instagram-App und E-Zigarette im Mundwinkel sagen:

„Mensch – wenn das mit Berlin so weitergeht bin ich bald reif für Husum“

Fontane würde entgegnen:

„Lass doch die blöde “Husumerei“, da wärst du auch nur eine ethnische Minderheit‘

Und es war ausgerechnet der preußische Lokalpatriot und Freund Storms, Theodor Fontane, der ihm abfällig “Husumerei“ und „Provinzsimpelei“ vorwarf.

Fontanes Spott zielte jedoch weniger auf den Schriftsteller, als vielmehr auf den Menschen, dessen von Wehmut und Erdverbundenheit getragene „Heimatliebe“ in der Emigration (1853-1864) besonders dann auftrat, wenn es „weihnachtete“.

Fontane reflektierte am 25. Juli 1853:

„Für alles das aber hatte der von mir als Mensch und Dichter, als Dichter nun schon ganz gewiß, so sehr geliebte Storm nicht das geringste Verständnis, und daß er dies Einsehen nicht hatte, lag nicht an »Potsdam und seinen geschniegelten Parks«,

das lag an seiner das richtige Maß überschreitenden, lokalpatriotischen Husumerei, die sich durch seine ganze Produktion – auch selbst seine schönsten politischen Gedichte nicht ausgeschlossen – hindurchzieht. Er hatte für die Dänen dieselbe Geringschätzung wie für die Preußen.

Theodor Fantane: „Von Zwanzig bis Dreißig“

„Er ist ein Meister, er bleibt.“

Tatsächlich hat Storm die Landschaften und Lebenswelten seiner norddeutschen Heimat gestaltet. Doch ein provinzieller Heimatdichter war er nicht.

Und so war es der Weltliterat Thomas Mann selbst, der 1930 in seinem bekannten Storm-Essay vom „vollkommenen Unsterblichkeitscharakter“ und „absoluter Weltwürde der Dichtung“ der Werke sprach. Und er zog dieses Fazit:

„Das hohe und innerlich vielerfahrende Künstlertum Storms hat nichts zu schaffen mit Simpelei und Winkeldumpfigkeit, nichts mit dem, was man wohl eine Zeitlang ‚Heimatkunst‘ nannte“.

Er ist ein Meister, er bleibt.“ (Quelle)

Quellen / Weiterführende Informationen

(1) Stroms plattdeutsche Texte machten ihn nur zum „halben Friesen … In Theodors Elternhaus wird hochdeutsch gesprochen, ab und an plattdeutsch, doch kein Wort friesisch.“ Quelle

Autor: Willi Schewski

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