1864 – Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen (Teil 4)

Wir schreiben das Jahr 1864. Dieses bringt den ersten der später so bezeichneten deutschen Einigungskriege: Nach einem von Dänemark nicht erfüllten kurzfristigen Ultimatum zur Rücknahme der Novemberverfassung greifen Preußen und Österreich das Königreich an und besiegen es innerhalb weniger Monate, wobei sie bis zur Nordspitze von Jütland vordringen. Im Frieden von Wien verliert Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, die von den Siegermächten vorläufig in Form eines Kondominiums verwaltet werden. In dieser mehrteiligen Reihe werden die Ereignisse aus Sicht des Tonderner Bürgers O. C. Hanquist wiedergegeben. Begeben wir uns auf eine spannende Reise in die Vergangenheit. In dieser 4. Folge kommt auch wieder der Dichter Theodor Storm vor

Wir schreiben den 9. Februar 1864, es ist ein Dienstag. “Wull shall unse Landvagt sin? Störm sull unse Landvagt sin!”,  schallt es durch die Husumer Ständeversammlung. Hans Theodor Woldsen Storm wird zum Landvogt (entspricht dem heutigen „Amtsrichter“) gewählt. Sein dänischer Amtsvorgänger hatte nach dem Einrücken der Preußen die Flucht ergriffen. Auch über den Tonderner Oluf Christian Hanquist gibt es einiges zu berichten, aus jenen bewegten, kriegerischen Tagen …

Doch zunächst zurück zu Theodor Storm. Am 15. März 1864 tritt er sein neues Amt als Kriminal- und Zivilrichter sowie Polizeichef und Obervormund in Personalunion an. Nach langen Jahren im preußischen Exil (1853-1864) kehrt er zurück in seine Heimatstadt Husum, er residiert zunächst in die Süderstraße 12.

Doch diese Machtfülle als Kriminal- und Zivilrichter sowie Polizeichef und Obervormund in einer Person währt nicht lange. Zwei Jahre später, 1866, wird die vormals zum dänischen Gesamtstaat gehörende Region preußische Provinz. Und mit Einführung der preußischen Verwaltungsstruktur wird Storm als Polizeichef und Richter enthoben und bei verminderten Bezügen zum einfachen Amtsrichter ernannt.

Die Preu­ßen (sind) gestern in Husum eingerückt .. und (wir können) sie Morgen spätestens hier erwarten“.

Kommen wir nun zu sprechen auf den Tonderner Kaufmann Oluf Christian Hanquist. Drei Tage vor Storms Wahl zum Landvogt, schreibt Hanquist am 6. Februar 1864, Mittags:

Mein lieber Ludwig! Nach Deinem Wunsch theile ich Dir heute mit was ich bis diesen Augen­ blick erfahren habe.

Heute Morgen durchlief das Gerücht die ganze Stadt, die Dannewirke sei gestern genommen worden, die Dänen sagen sie sei freiwillig geräumt, andere meinen sie sei mit Sturm genommen.

Gewiß soll sein, daß die däni­schen Beamten aus Schleswig geflüchtet sind, dasselbe behauptet man von Friedrichstadt, Tönning und Husum. Zwei Beamte aus Husum sollen heute Morgen hier durchpassiert sein. 

Heute Morgen ritt Kjær12) unserm Hause vorbei, die Dänen hier sind in einer großen Bewegung. Alles steht jetzt auf dem Siedepunkt, und ist in einer fieberhaften Spannung. Bald so scheint es mir, muß es wieder Tag für uns werden, Gott lenke es zum Besseren.

Der König kam schon am Dienstag Morgen von Gottorff nach Flensburg mit zahlreichem Gefolge zurück. Kjærs Familie soll schon seit einigen Tagen weg sein, und gestern wurde mir erzählt, daß auch die Frau Beyer nach Copen­ hagen gereist sei. 

Hier werden gewiß in diesen Tagen viele nachfolgen. Es scheint mir lieber Ludwig, daß Du gerne unter solchen Verhältnissen Deine Pferde und Wagen auf einige Tage zurückhalten kannst, was wollen sie Dir machen. Es sind ja immer Entschuldigungen beizubringen, doch mußt Du

Dich wohl auch nach Deinen Nachbarn richten. Das Dorf Missunde (Anmerkung Verfasser, hier Beitrag im Blog) soll ab­ gebrannt sein, ebenso Cosel in Schwansen. In der Gegend ist am Montag und Dienstag sehr hartnäckig gefochten worden, und man erzählte daß 100 Wagen mit Todten und Verwundeten nach Flensburg gekommen waren.

In der Flensburger Zeitung las ich gestern, daß 30 Todte in der Kappelle am Kirchhof ausgelegt seien. Heute schreibe ich auch mit der Post an Johann, aber gebe ihm kaum solche specielle Nachrichten wie Dir. 

Gestern Abend um 9 Uhr wie ich eben mein Bett bestiegen, kam der Goldschmidt Carsten­sen zu mir mit der Nachricht, daß viele Dänen in der Nacht abreisen wür­den. Das bestätigte sich indeß nicht heute Morgen, ich konnte aber vor Auf­ regung darüber vor Mitternacht nicht schlafen.

Nun, geliebter Ludwig, zu Deinem morgenden Geburtstage von Miene und mir die innigsten Glückwünsche. Gott seegne Dich, Deine Frau und Dein Haus, in diesen wenigen Worten welche aus meinem Herzen fließen, ist mein Glückwunsch enthalten!

An Dich und Deine gute Doris von uns viele innige Grüße. Stets Dein Dich innigliebender Vater O. C. Hanquist.

In diesem Augenblick wie ich schon meinen Brief an Dich gesiegelt hatte, kömmt Goldschmidt Carstensen und erzählt mir als bestimmt, daß die Preu­ßen gestern in Husum eingerückt sind und daß wir sie Morgen spätestens hier erwarten können.

Viele Dänen sind gefangengenommen worden, unter andern das ganze 10. Bataillon, in welchem fast nur Schleswiger, und dar­ unter viele aus Stadt und Umgegend. Ferner erzählte er mir, daß die Dänen hier Order erhalten hätten, noch heute die Stadt zu verlassen. Ob dieses alles nun so wahr ist, dafür kann ich nicht einstehen.

Fußzeilen:

10) Christian Matthiä Carstensen, Goldschmied in Tondern, als solcher leistete er 19. 9. 1859 den Bürgereid (Andresen, Bürgerbuch S. 105 verzeich­net ihn irrtümlich als Christensen).

11) Paul Detlef Dahmke, aus Schönkirchen stammend, starb in Tondern am 26. 1. 1864 im Alter von 50 Jahren und 7 Monaten, er war beim Tode Postbote.

12) Christian Albert Kjær, gebürtiger Kopenhagener, wurde als junger Appellationssekretär zur Zeit des dänischen Regiments Bürgermeister in Tondern vom 8. 2. 1851 bis 28. 4. 1853, danach Hardesvogt der Tondern und Hoyer Harde bis 1864. Später ist er zunächst Bürgermeister in Ribe, dann in Næstved gewesen und starb dort am 30. 12. 1877. (Nach Mitteilung von Hr. Archivar Hvidtfeldt, Apenrade.)

Am 12. Februar 1864 wurden 58 gefallene Männer aus Sankelmark bei klirrender Kälte auf dem Flensburger Friedhof beigesetzt. Dänen, Preußen und Österreicher wurden immer zusammen in einem Grab beigesetzt. Deshalb war Pastor Graae fast immer anwesend und nahm die Beerdigung zusammen mit einem deutschen Geistlichen, einem evangelischen oder katholischen, vor.

Der deutsche Pfarrer sprach auf Deutsch, Pfarrer Graae auf Dänisch. Wie er selbst später schrieb: „Ich sprach Dänisch mit dem Dannebrog-Kreuz auf dem Priestergewand, wenigstens zur Erbauung der treuen dänischen Bürger des Flens, die es nicht versäumten, dem tapferen Jenses die letzte Ehre zu erweisen.“ Quelle

Beitragsbild: Dänische Infanteristen auf dem Rückzug von Dannevirke in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1864. Gemalt von Erik Henningsen anlässlich des 50. Jahrestages des Krieges von 1864 im Jahr 1914. Mehr Fotos: https://www.berlingske.dk/kultur/her-er-malerierne-der-skildrer-1864#slide-1

Nachtrag: Reihe wird fortgesetzt

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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