Sagen und Legenden in Schleswig-Holstein: Pidder Lüng

Über das Land zwischen Nord- und Ostsee ranken sich zahlreiche Sagen und Legenden. Besonders die Halligen, Inseln, Seeleute -und nicht zuletzt das Meer- bieten Stoff für zahlreiche Geschichten, die bis heute jedes Kind in Schleswig-Holstein kennt.

Pidder Lüng (auch „Lyng“ geschrieben) ist eine Ballade des deutschen Dichters Detlev von Liliencron (1844–1909). Das vor allem an der deutschen Nordseeküste bekannte Gedicht (1) beschreibt historisierend den Widerstand der mittelalterlichen friesischen Bevölkerung. Dieser personalisiert sich in der Figur des Sylter Fischers Pidder Lüng. Lehnt er sich doch auf gegen die dänische Herrschaft, für die Henning Pogwisch, der Amtmann von Tondern, steht.

Die Sage wird wie folgt erzählt: Pidder Lyng war ein armer Inselfischer; seine Fänge reichten kaum zum Leben. Aber er war ein freier und stolzer Mann. Als eines Tages der Amtmann von Tondern (damals gehörten die Nordfriesischen Inseln zum Königreich Dänemark) mit seinen Söldnern kam, um die Steuern zu erheben, traf er Pidder Lyng gerade beim kargen Mahl mit seiner Familie und den Fischergesellen an. 

Der Amtmann forderte die sofortige Zahlung der fälligen Steuern und, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, spuckte er in Pidder Lyngs Kohlgericht. Darauf hin wurde Pidder so zornig, dass er den Amtmann ergriff und ihn mit seinem Gesicht im heißen Kohltopf erstickte.

Dabei rief er: “Lewwer duad üs Slaav!” Die Söldner des Amtmanns erschlugen Pidder Lyng und die Seinen. Pidder Lüng musste fliehen, wurde Seeräuber und nahm kein gutes Ende: Er wurde auf dem Galgenhügel bei Munkmarsch hingerichtet.

Doch sein Freiheitsruf: “Lieber tot als Sklave sein!” hat sich bis heute erhalten und ist Sinnbild und Vorbild für das nordfriesische Nationalbewusstsein.

1846 schrieb der Inselchronist Christian Peter Hansen Lyngs Heldentat nieder.

(1) Fünfzig Jahre später veredelte Liliencron den Mord in besagter Ballade zu einem Fanal der friesischen Freiheit, indem er jede Strophe auf den Spruch „Lewwer duad üs Slaav“ enden ließ.

Frii es de Feskfang,
frii es de Jaght,
frii es de Strönthgang,
frii es de Naght,
frii es de See, de wilde See
en de Hornemmer Rhee.

Frei ist der Fischfang,
frei ist die Jagd,
frei ist der Strandgang,
frei ist die Nacht,
frei ist die See, die wilde See
an der Hörnumer Reede (2).

Nun der Clou: Diese Geschichte um hört sich stimmig an, sie ist jedoch komplett erfunden. Der Heimatforscher Christian Peter Hansen hat sie sich einfallen lassen. Fakt ist aber, dass es in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der Hochzeit des Nationalismus, heftige Auseinandersetzungen und zwei Kriege um die politische Zukunft der Herzogtümer Schleswig und Holstein gab.

(siehe hierzu auch im Blog: 1864 – Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen)

Beide Herzogtümer wurden vom dänischen König regiert, gehörten aber nominell zum Deutschen Bund. Die deutschsprachige Mehrheit widersetzte sich den Versuchen der dänischen Krone, diese Herzogtümer enger an Dänemark zu binden. *

Erfunden aber ist der Tod durch das Kohlgericht: Der Heimatforscher Christian Peter Hansen erfand die Figur des mit Grütze tötenden Pidder Lüng, um zu zeigen, wie sich die Sylter schon immer gegen die „Fremdherrschaft“ der Dänen aufgelehnt hatten.

(2) Hörnumer Rhee ist ein kleiner wattseitiger Hafen bzw. Ankerplatz an der Südspitze Sylts.

Beitragsbild: Leitspruch „Lewwer duad üs Slaav“ unter Darstellung des Wappens der Nordfriesen. Die Farben Gold-Rot-Blau, wie auch das Wappen der Nordfriesen, haben durch das Friesisch-Gesetz offiziellen Status erhalten. Das Wappen ist nicht identisch mit jenem des Kreises Nordfriesland.

*NACHTRAG: „Der Amtmann von Tondern war Vertreter des Herzogs von Gottorf, nicht des dänischen Königs.(Darauf deutet schon der plattdeutsche Name Pogwisch(Froschwiese) hin. Der dänische herrschte nur in einem kleineren Teil Nordfrieslands. Das Herzogtum Schleswig gehörte nicht zum deutschen Reich oder zum Deutschen Bund., geriet aber weitgehend unter unter holsteinische Herrschaft. Zunächst der Schauenburger Grafen, später der Herzöge von Gottorf und wurde so allmählich eingedeutscht.“ Danke an Erk Petersen (Autor, Philosoph, Lebenskünstler, Naturwissenschaftler und Mythologe)!

Text am 30.1.23, 20.30 Uhr aktualisiert

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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