1864 – Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen (Teil 3)

Wir schreiben das Jahr 1864. Dieses bringt den ersten der später so bezeichneten deutschen Einigungskriege: Nach einem von Dänemark nicht erfüllten kurzfristigen Ultimatum zur Rücknahme der Novemberverfassung greifen Preußen und Österreich das Königreich an und besiegen es innerhalb weniger Monate, wobei sie bis zur Nordspitze von Jütland vordringen. Im Frieden von Wien verliert Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, die von den Siegermächten vorläufig in Form eines Kondominiums verwaltet werden. In dieser mehrteiligen Reihe werden die Ereignisse aus Sicht des Tonderner Bürgers O. C. Hanquist wiedergegeben. Begeben wir uns auf eine spannende Reise in die Vergangenheit.

Krieg ist erschreckend und faszinierend zugleich – und der Krieg von 1864 ist keine Ausnahme.

In seinem Brief vom 29. Januar 1864 begibt sich Oluf Christian Hanquist, Kaufmann in Tondern und Ratsmitglied in den Keller seines Hauses. Was er an Ludwig schreibt, verschickt er erst am nächsten Tag. Zwei Tage später bricht der Krieg aus. Hanquist schreibt: „… ich (habe) auch hier fast keinen einzigen Menschen, mit welchem ich mich darüber aussprechen kann.“

Wieder fange ich schon einen Brief an Dich an, welchen ich erst Morgen an Dich abzusenden gedenke; ich habe das Bedürfnis mich mit Dir über unsere Tagesangelegenheiten etwas zu unterhalten, denn da ich erst am Nachmittage nach dem Keller gehe, um mit Ruhe die Zeitungen zu lesen, zu einer Zeit, wo in der Regel keiner da ist, so habe ich auch hier fast keinen einzigen Menschen, mit welchem ich mich darüber aussprechen kann.

So wie das Ganze jetzt vorliegt, so scheint die Stunde der Entscheidung immer näher zu rücken. Oesterreicher und Preußen rücken mit großer Heeresmacht vor, sie sind jetzt wohl fast alle in Hollstein eingerückt, und wenn die Zeitung nicht trügen, so sollen sie schon Morgen an der Schleswigschen Grenze concentrirt sein;

ein von dänischer Seite gemachter Vorschlag eines wöchentlichen Hinstandes, um erst mit dem Reichsrath wegen Aufhebung der Verfassung vom 18. Novb. zu verhandeln, soll verworfen worden sein, und so scheint es in diesem Augenblick, daß man erst unterhandeln will, wenn ganz Schleswig besetzt ist. 

Mitlerweile tummelt es sich gewaltig in Deutschland, die große Hollsteinische Deputation wurde in Franckfurt von dem Bundespräsidial-Gesandten mit dem Bescheid abgewiesen, daß es nicht bei dem Bundestage gebräuchlich sei, Deputationen zu empfangen, daß er aber gern bereit sei, mit einem aus ihrer Mitte sich privatim zu besprechen.

Inzwischen war die Deputation in Franckfurt mit dem Centralausschuß in großer Versammlung zusammen, da wurden denn gewaltig weitläuftige Reden von allen Seiten gehalten, welche ich kaum habe überwältigen können.

Hier­ auf reiste die große Deputation nach München, wo sie vom König von Baiern freundlich empfangen worden, von hier wollte sie nach Dresden, Baden usw. Während dieser Vorgänge scheinen die Regierungen der Mittelstaaten, einigermaßen über den Vormarsch der beiden Großmächte sich beruhigt zu haben.

So wie das Ganze jetzt vorliegt, so scheint die Stunde der Entscheidung immer näher zu rücken. Oesterreicher und Preußen rücken mit großer Hee- resmacht und soll ich Dir meine Meinung aufrichtig sagen, so ist sie die: 

daß ich die feste Ueberzeugung habe, daß Preußen diesesmal nicht ein unlaute­res Spiel mit unserem armen Schleswig treiben kann und wird, obgleich die zweite Kammer in Berlin das Budget verweigert, und als Folge davon auf­ gelöst ist; ich meine — daß Preußen einer eisernen Nothwendigkeit folgt» daß es vorsichtig vorgehen will, und Conflikte mit den anderen Großmächten so weit thunlich vermeiden will.

Dabei ist nicht ausgeschlossen, daß es kräftig zu unserem Besten wirken will, daß es auf eine Verbindung der bei­ den Herzogthümer hinarbeitet, in einer Personal-Union mit Dänemark, im Fall der Prätendent mit seinen Ansprüchen nicht durchdringen kann. Doch wer vermag, besonders ein Laie, den Vorhang der verhüllten Zukunft zulüften, wir müssen ruhig abwarten, und nur nicht den Muth verlieren, wie so viele so gerne thun, wenn es nicht gleich nach ihren vorgefaßten Ideen vorwärts geht. Daß uns manche Lasten und Kosten bevorstehen, wovon bis­ her unsere glückliche Lage uns verschont hat, darauf müssen wir gefaßt sein, und Gott gebe, daß diese nicht schwerer werden, als man sie tragen kann.

Wenn Du auch in dieser bewegten Zeit, in Deiner Ruhe bleibst, so kann ich das nur billigen, denn wenn Du auch hier kämest, und die Zeitungen durchsuchtest, auch mit vagen Gerüchten gefüttert würdest, so würdest Du doch nicht klüger bei Deiner Abreise sein. 

Ein Hamburger, welcher in diesen Tagen bei Jürgensen auf der Schiffbrücke war, konte nicht genugsam davon erzählen, wie prächtig das Preußische Militair und die Ungarischen Husaren waren, welche Masse großer schwerer Kanonen die Truppen mit sich führ­ten, die Oesterreicher kamen auch mit mehreren, mit 8 Pferden bespannten Wagen, auf denen große Brücken gelaagert waren. Alles dieses kann doch nicht umsonst geschehen. 

General Wrangel hat bis jetzt sein Hauptquartier in Hotel d’Europe in Hamburg, Prinz Albrecht in Streits Hotel, Prinz Fried­rich Carl soll bereits in Kiel sein, er commandirt den rechten Flügel der Armee. Für heute nichts mehr von der Politik, ich werde nun sehen, ob ich Morgen ein Weiteres beifügen kann.

Mit den Augen unserer guten Miene, geht es, Gott laß es zur guten Stunde gesagt sein, immer etwas besser, jedesmal so wie sie eine Verbesse­rung spürt, sagt sie es mir, denn sie weiß, wie sie mich damit erfreut; sie ist jetzt auch so glücklich darüber.

Gott sei ewig gedankt, die spanischen Fliegen hinter den Ohren, welche sie noch fortwährend immer offen erhält, scheinen sehr günstig zu wirken. Am vorigen Sonntag war hier bei Loh­mann7) auf der Bleiche, in Veranlassung eines Concerts und Balls in der Nacht ein großer Scandal. 

30 bis 40 anwesende Seminaristen wurden von den jungen Leuten ausgeworfen, theilweise in die Stachelbeerbüsche, theils in die Gräben geworfen, dabei sollen sich insonderheit Herr Janne Johann­sen8) Hans Bornholdt9) und mehrere ausgezeichnet haben.

Vorgestern undgestern fing deshalb eine Untersuchung auf dem Rathhause an, wie es den dabei Betheiligten ergangen, konnte ich noch gestern nicht erfahren, viel­ leicht kann ich es Dir noch am Schluß melden. Es thut mir der alten Bornholds wegen leid, denn Hans könnte sich auch solcher Eccesse enthalten, besonders in dieser aufgeregten Zeit.

Den 30. Januar Vormittags. Gestern Nachmittag las ich wie gewöhnlich die Zeitungen, ich war aber bei dem besten Willen nicht im Stande, etwas Besonderes Neues darin zu finden. Die Preußischen und Oesterreichischen Truppen rücken unaufhaltsam vor, und stehen schon heute wahrscheinlich an der Schleswigschen Grenze.

Also nun muß sich doch in den nächsten Tagen die Sache auf die eine oder andere Weise entscheiden. Die Ungewiß­ heit, in welcher wir bisher gelebt haben, ist auch peinigend. Wenn Du Lust hast lieber Ludwig kannst Du ja gerne in nächster Woche hierher kommen, ich sehne mich nachgrade Dich zu sprechen, und zu hören wie Du über die Sachen denkst.

Gestern Abend waren Miene und ich unten beim Gold­schmidt Carstensen10), mit seinen Eltern und Popsens zusammen. Hemsen sah aber noch kümmerlich aus; seit gestern hat sich der Frost wieder ein­gestellt. Gestern konnte ich noch nichts Näheres wegen des Scandals auf der Bleiche erfahren, wahrscheinlich ist noch kein Urtheil in dieser Sache gefallen.

Sei nun mein geliebter Ludwig mit Deiner guten Doris von uns aufs innigste gegrüßt.

Stets Euer Euch innigliebender Vater O. C. Hanquist. Der bisherige Litzenbruder Damke1 11) ist hier vor einigen Tagen gestorben. Einliegend sende ich Dir noch einige kleine Rechnungen, welche bei mir für Dich eingelaufen sind. Sie sind gottlob nicht groß, und können gelegent­lich einmal von Dir berichtigt werden.

7) Otto Lohmann, Gastwirt in Tondern, aus Neuenfelde im Hannoverschen.

8) Janne Hinrich Johannsen, aus dem Kleiseer Kooge stammend, leistete in Tondern als Kaufmann am 28. 10. 1861 den Bürgereid.

9) Buchbinderfamilie in Tondern.

10) Christian Matthiä Carstensen, Goldschmied in Tondern, als solcher leistete er 19. 9. 1859 den Bürgereid (Andresen, Bürgerbuch S. 105 verzeich­net ihn irrtümlich als Christensen).

11) Paul Detlef Dahmke, aus Schönkirchen stammend, starb in Tondern am 26. 1. 1864 im Alter von 50 Jahren und 7 Monaten, er war beim Tode Postbote.

Familiengeschichtliche Mitteilungen aus Nordschleswig. 1. und 2. / 3. und 4. Folge in einem Band. – Beilage: Max Raasch – Die Stadt Tondern und die Ereignisse des Jahres 1864. Unveröffentlichte Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen ( O. C. Hanquist ) ## Ende ##

Teil 4 der Blog-Reihe „Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen“ folgt am 6. Februar.

Beitragsbild: Kreuze am Alten Friedhof (Flensburg), dort sind Dänen begraben, in der Zeit vor dem 2. Deutsch-Dänischen-Krieg verstorben. Als Alter Friedhof (dänisch Den Gamle Kirkegaard) bezeichnet man den ältesten erhaltenen Friedhof der Stadt Flensburg, der gleichzeitig als einer der ältesten kommunalen Begräbnisplätze in ganz Nordeuropa gilt. Der Alte Friedhof gehört zum städtischen Museumskomplex.

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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