1864 – Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen (Teil 2)

Wir schreiben das Jahr 1864. Dieses bringt den ersten der später so bezeichneten deutschen Einigungskriege: Nach einem von Dänemark nicht erfüllten kurzfristigen Ultimatum zur Rücknahme der Novemberverfassung greifen Preußen und Österreich das Königreich an und besiegen es innerhalb weniger Monate, wobei sie bis zur Nordspitze von Jütland vordringen. Im Frieden von Wien verliert Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, die von den Siegermächten vorläufig in Form eines Kondominiums verwaltet werden. In dieser mehrteiligen Reihe werden die Ereignisse aus Sicht des Tonderner Bürgers O. C. Hanquist wiedergegeben. Begeben wir uns auf eine spannende Reise in die Vergangenheit.

Bevor der Verfasser auf einen weiteren Brief des in Tondern lebenden Kaufmann Oluf Christian Hanquist an seinen Sohn Ludwig eingeht, erlaubt er, zunächst einen anderen, deutschen Zeugen aus jener Zeit vorzustellen: Hans Theodor Woldsen Storm: Jurist (Rechtsanwalt und Richter) und Schriftsteller und scharfer Beobachter. Obwohl die Politik für ihn nicht das eigentliche Interessengebiet war, bezog er unter dem Druck geschichtlicher Ereignisse Stellung zu gesellschaftlichen Fragen und war bereit, sich zu engagieren. Er schrieb auf Wunsch seines Freundes Theodor Mommsen Berichte über die Schleswig-Holsteinische Erhebung. 1864 flossen aus seiner Ader folgende Zeilen:

Theodor Storm 1864:

Die Erde dröhnt…?
Törichter Traum…! – es klingt kein deutsches Lied, kein Vorwärts schallt von deutschen Batallionen; Wohl dröhnt der Grund, wohl naht es Glied an Glied, Doch sind ́s die Reiter dänischer Schwadronen. Sie (Preußen) kommen nicht, das Londoner Papier Es wiegt zu schwer, sie wagen ́s nicht zu heben.

Theodor Storm (vor 1888)

Theodor Storm als Sprachrohr der Hoffnungen und Ängste der Schleswig-Holsteiner?

Theodor Storm 1867:

“Wir können nicht verkennen, daß wir lediglich unter Gewalt leben.

Das ist desto einschneidender, da es von denen kommt, die wir gegen die Gewalt zu Hilfe riefen und die uns jetzt, nachdem sie jene bewältigen geholfen, wie einen besiegten Stamm behandeln; indem sie die wichtigsten Einrichtungen, ohne uns zu fragen, hier über den Haufen werfen und andere dafür nach Gutdünken oktroyieren, eben

an ihr schlechtes Strafgesetzbuch, worin eine Reihe von Paragraphen – längst der juristischen wie der Moralkritik verfallen – ehrlichen Leuten gefährlicher sind als den Spitzbuben, die sie angeblich treffen sollen.

Obwohl Preußen – sowohl wegen der Art, wie sie das Land gewonnen, als auch, weil wir zum geistigen Leben der Nation ein so großes Kontingent gestellt wie nur irgendein Teil von Preußen – alle Ursachen zu bescheidenem Auftreten bei uns hat,

so kommt doch jeder Kerl von dort mit der Miene des kleinen persönlichen Eroberers und als müsse er uns erst die höhere Weisheit bringen. Die unglaublich naive Rohheit dieser Leute vertieft die Furche des Hasses, die Preußens Vorfahren tief in die Stirn der Schleswig-Holsteiner eingegraben. Auf diese Weise einigt man Deutschland nicht.”

Zur geschichtlichen Einordnung Storms: Der am  14. September 1817 in Husum (damals Herzogtum Schleswig) geborene Storm  gehört zu den bedeutendsten Vertretern des Poetischen Realismus und war vielfach talentiert: Er betätigte sich beruflich als Jurist und arbeitete unter anderem als Rechtsanwalt und Richter.

Obwohl die Politik für ihn nicht das eigentliche Interessengebiet war, bezog er unter dem Druck geschichtlicher Ereignisse Stellung zu gesellschaftlichen Fragen und war bereit, sich zu engagieren. So war er Mitbegründer eines patriotischen Hilfsvereins und schrieb auf Wunsch seines Freundes Theodor Mommsen Berichte über die Schleswig-Holsteinische Erhebung. 

Storm engagierte sich während der Schleswig-Holsteinischen Erhebung ab 1848 gegen die dänische Herrschaft. Auch nach dem Friedensschluss von 1850 zwischen Dänemark und Preußen nahm Storm eine unversöhnliche Haltung gegenüber Dänemark ein. 

Deshalb entzog ihm 1852 der dänische Schleswigminister Friedrich Ferdinand Tillisch die Advokatur. Storm blieb daraufhin keine andere Wahl, er zog 1853 nach Potsdam, um am dortigen Kreisgericht zu arbeiten.

1856 siedelte er nach Heiligenstadt im katholischen Eichsfeld über, kehrte 1864 nach Husum zurück und übernahm das Amt des Landvogts. 1880 verließ er seine Heimatstadt und verbrachte die letzten Lebensjahre in Hademarschen (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Dort entstand mit dem Schimmelreiter seine letzte und umfangreichste Novelle.

Der Krieg gegen Dänemark fand nur bedingt den Beifall Storms

Zwischen den beiden oben stehenden Versen von Storm, liegt gerade einmal eine Spanne von drei Jahren. In diesem verhältnismäßig kurzen Zeitraum ist ganz offensichtlich die Wahrnehmung des großen preußischen Nachbarn einer erheblichen Veränderung unterworfen gewesen.

Nun war Theodor Storm, trotz oder vielleicht besser wegen seiner intimen Kenntnisse Preußens aus der Zeit seines Exils in Potsdam und Heiligenstadt, sicher nie ein ausgesprochener Bewunderer preußischer Kultur und Lebensart, aber die Wut und die Empörung, die aus den Zeilen des Jahres 1867 hervorgeht, steht doch in scharfen Kontrast zu der angedeuteten Hoffnung auf Beistand durch die deutsche Großmacht, die sich aus dem Kurzgedicht von 1864 her- auslesen läßt.(2) 

Schon der Krieg gegen Dänemark fand nur bedingt den Beifall Storms. Zwar hatte er wie die meisten seiner Landsleute auf das Eingreifen der deutschen Großmächte zugunsten der deutschen Schleswig-Holsteiner gehofft, aber bereits früher als andere geahnt, daß der Kampf nicht für Schleswig-Holsteins Selbständigkeit geführt worden war, sondern schlicht ein Eroberungskrieg war.

Diese Erkenntnis fand ihren Niederschlag unter anderem im Briefwechsel zwischen ihm und Theodor Fontane, seinem Vertrauten aus Zeiten des Exils, der damals bereits seit einigen Jahren in der Redaktion der Ultrakonservativen Kreuzzeitung tätig war.

Für letzteren schien die Sache klar: „Die Herzogthümer waren deutsch, frei“.(3) Daß man in diesem Punkt auch durchaus anderer Ansicht sein konnte, verdeutlichte Storm, als er über ein Gedicht, das Fontane aus Anlaß des preußischen Sieges geschrieben hatte, äußerte, daß dieses „lediglich die militärische Bravour“ hervorhebe, „von einem sittlichen Gehalt der Tat“ aber wisse es nichts, „sie hat auch diesmal keinen.“4) 

Storms böse Vorahnungen sollten sich erfüllen. Der preußische Ministerpräsident hatte nie die Absicht gehabt, preußische Soldaten vor Düppel verbluten zu lassen 5), um die “Husumerei” Storms und seiner Landsleute, die ihm nichts anderes war, als die schleswig-holsteinische Spielart des Partikularismus, ans Ziel ihrer Wünsche zubringen

Das Ergebnis ist bekannt. Im Frühjahr 1867 unterzeichnete König Wilhelm I. das Annexionspatent. Die Herzogtümer blieben von diesem Zeitpunkt an Teil des preußischen Staatsgebietes bis zu dessen Auflösung durch die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Herausragende an diesem Vorgang war die Tatsache, daß es sich eben nicht um die Annexion eines im Krieg bezwungenen Gegners, sondern um die Über- nahme eines nominell befreundeten Nachbarlandes wider dessen aus- drücklichen Willen handelte.

Dieser unfreundliche Akt beendete den Weg Schleswig-Holsteins durch die Geschichte, welcher an Irrungen und Wirrungen, überraschenden Wendungen und auf den ersten Blick paradoxen Entwicklungen ohnehin nicht arm war, mit einem Schlag, und führte das Land in die Zukunft als eine, sieht man von der maritimen Lage einmal ab, nicht einmal besonders wichtige preußische Provinz.

Nach 1848/51 rückten die Herzogtümer noch einmal in den Mittelpunkt des Interesses der deutschen und europäischen Diplomatie, und diesmal, sieht man von der Abstimmung in Schleswig 1920 einmal ab, unwiderruflich zum letzten Mal. So sehr man diesen Verlust einer eigenständigen Geschichte bedauern mag, um so weniger kann man sich der Einsicht verschließen, daß der Eintritt des Landes in die Moderne in vielerlei Hinsicht mit der Annexion durch den preußischen Staat zusammenfällt.

Tondern, Dänemark – Teichansicht mit Kirchturm, um 1900

Kommen wir nun zurück auf das Jahr 1864 und unseren Zeitzeugen Oluf Christian Hanquist, Kaufmann in Tondern und Ratsmitglied. Dieser schreibt am Freitag, 22. Januar 1864, an seinen Sohn Ludwig wie folgt:

Nachdem vorgestern Johann und Cathrina um 10 Uhr Vormittags uns verlassen hatten, werden sie unbezweifelt glücklich um die Mittagszeit bei Euch eingetroffen sein, und von ihnen werdet Ihr von uns, und den übrigen Tagesbegebenheiten, umständlichen Bericht erhalten haben.

Was ich seitdem aus den Hamburger Nachrichten ersehen habe, ist kürzlich folgendes. An­fangs schienen die Mittelstaaten über das eigenmächtige Vorgehen der beiden Großmächte, sehr empört zu sein, seitdem scheint namentlich Preußen am Bunde beruhigende Erklärungen gemacht zu haben, und nach den gestrigen Zeitungen, schienen namentlich Sachsen und Hannover über die Besetzung Schleswigs durch die Großmächte mehr beruhigt wieder zu sein. 

In der Erb­folgefrage scheinen die Mittel und kleineren Staaten sehr eifrig auf einen endlichen Beschluß zu dringen. Inzwischen scheint es daß die Groß­mächte mit großer Stärke sich der Hollsteinischen Grenze zu nähern, namentlich Preußen, welches soviel ich gestern herauslesen konnte, gegen zwei Armeecorps in Marsch gesetzt hat, wie viele Oesterreicher kommen, daraus konnte ich noch nicht recht klug werden.

Gegen Ende dieses Monaths scheint diese große Macht an Schleswigs Grenze stehen zu wollen. Selbst der Kronprinz von Preußen scheint das Commando über 4 preußische Garde-Cavallerie-Regimenter übernommen zu haben.

Die übrigen Truppen commandirt ein Preußischer Prinz Friedrich Carl. Wrangels Namen konnte ich in der gestrigen Zeitung nicht finden. Wenn diese große Heeresmacht an Schleswigs Grenze steht, was dann. Wird sie gleich mit Gewalt den Uebergang erzwingen, oder soll dann noch ein Ultimatum erfolgen.

Der liebe Gott mag es wissen, so viel scheint mir ziemlich klar zu sein, daß eine Entschei­dung wohl nicht lange auf sich warten lassen wird. Und wir müssen uns der höheren Obhut geduldig ergeben.

Morgen soll hier Seecession sein, auf welcher dann auch der arme Vetter Nicolai4) aus Kloster sich stellen muß; gestern überraschte mich nicht angenehm die Nachricht, daß auch mein Käufer Grandt5) sich auf derselben stellen muß. Wie es diesen armen Leuten auf derselben ergehen wird, darüber kann ich Dir hoffentlich Morgen noch hierin Nachricht geben. 

Auch für Grandt, der eben so gut im Gange ist, wäre es sehr hart, wenn der Haus und Hof verlassen müßte, denn sind sie einmal weg, dann weiß man ja nicht, wann sie wieder zurückkommen. — Ueber die Augen der guten Miene6) wird Johann Dir Nachricht gegeben haben.

Ist auch die alte Sehkraft noch nicht völlig wieder da, und muß sie sich bis weiter des Nähens und namentlich Lesens enthalten, so ist es ja doch so viel besser gewor­den. daß sie die übrigen häuslichen Geschäfte ungestört verrichten kann, und so müssen wir, wie Tanck sagt, nur einige Geduld haben, er meint daß -mildere Witterung das Beste dabei thun soll.

Für das uns gesandte Fuder Torf danken wir vorläufig sehr; Miene ist so zufrieden mit denselben, denn sie brennen und heitzen so gut, und es ist viel mehr Verschlag darin, wie in unsern anderen.

4) Johann Nicolai Hanquist, geboren Lügumkloster 15. 1. 1841 als Sohn eines jüngeren Bruders des Briefschreibers, wurde Kaufmann und starb in Flensburg 9. 9. 1876.

5) Jacob Petersen Grandt, der aus Bredebro stammte und am 25. 5. 1858 als Kaufmann in Tondern den Bürgereid ablegte.

c) Marina Hanquist, einzige Tochter des Briefschreibers, geboren Tondern 5. 5. 1829 und ebendort fast erblindet gestorben 26. 2. 1902, unverheiratet.

Quellen / Weiterführende Informationen

1. Theodor Storm 1864. Zitiert nach Christian Degn, Schleswig-Holstein eine Lan- desgeschichte. (Neumünster 1994) S. 241; Theodor Storm 1867. Zitiert nach einer Zeitungsnotiz vom 11.04.1993 aus dem Rostocker Blitz. Hier wird eine interessanten Analogie konstatiert. Die Berechtigung der Gefühle mancher Ostdeutscher, man werde seit der Wiedervereinigung vom Westen bevormundet, sei indes an dieser Stelle nur angemerkt, ohne dies weiter zu thematisieren.

2. Vgl. dazu u.a. Theodor Storm, Sämtliche Werke. Neu hrsg. von Jens Petersen (Mundus Verlag 1999) S. 24 ff.
3. S. Theodor Fontane; Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahre 1864. Reprint Hrsg. von Helmut Nürnberger (Flensburg 1999) S. 373.

4. Zitiert nach Sven -Aage Jørgensen im V orwort zum Reprint: Theodor Fontane a.a.O. S. X.
5. Vgl. dazu u.a. Klaus Malettke (Hrsg.), Die Schleswig-Holsteinische Frage 1862-66 (Göttingen 1969) S. 36 Theodor Storm als Sprachrohr der Hoffnungen und Ängste der Schleswig-Holsteiner.

Beitragsbild: Flensburg, Schleswig-Holstein Grabstätte eines im Jahre 1864 gefallenen dänischen Soldaten. Alter Friedhof Flensburg, ältester erhaltener Friedhof der Stadt Flensburg, der gleichzeitig als einer der ältesten kommunalen Begräbnisplätze in ganz Nordeuropa gilt. Der Alte Friedhof gehört zum städtischen Museumskomplex. Aufnahme vom 14.06.2022, Flensburg, 

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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