Sylt: „Hindenburgdamm“ – oder wie?

Die häufig bestrittene offizielle Namensgebung lässt sich aus zeitgenössischen Dokumenten genau rekonstruieren. Grund genug uns im folgenden Blogbeitrag näher mit dem Thema zu beschäftigen, tauchen wir also ab in die Geschichte …

Der sogenannte Hindenburgdamm ist die allgemein gebräuchliche Bezeichnung für einen Eisenbahndamm, im höchsten nordwestlichen Zipfel Deutschlands, nahe der Deutsch-Dänischen-Grenze. Er bindet die nordfriesische Insel Sylt an das Festland der Kimbrischen Halbinsel (1) an. Die Bezeichnung Hindenburgdamm wird häufig diskutiert, so auch aktuell.

„Hindenburgdamm“ – oder wie? Jedes Kind in Deutschland hat im Geschichtsunterricht schon mal den Namen Paul von Hindenburg (2. Oktober 1847 –  2. August 1934) gehört. Und jedes Kind kennt auch die  Streckenkilometer 217 bis 226 durchs Wattenmeer nach Sylt und was damit in Verbindung steht: der im Volksmund so bezeichnete Hindenburgdamm. Dieser Name triggert regelmäßig die Gefühle Mancher, die sich über dem Damm und den Namen Gedanken machen, nimmt er doch auf den Reichspräsidenten und die Nazis Bezug.

Wie kommt es zu dem Namen?

„Frii es de Feskfang,
Frii es de Jaght,
Frii es de Strönthgang,
Frii es de Naght,
Frii es de See, de wilde See
En de Hörnemmer Rhee.“

Frei ist der Fischfang,
Frei ist die Jagd,
Frei ist der Strandgang,
Frei ist die Nacht,
Frei ist die See, die wilde See,
An der Hörnumer Reede*

Frei ist die See„, so lautet das alte friesische Lied, dass die Sylter sangen, als am 1. Juni 1927 die Eisenbahnverbindung Klanxbüll / Sylt eröffnet wurde und Hindenburg mit viel Schickimicki eingeweiht wurde. „`Die wilde See` ist bezwungen, bezwungen im zähen Kampf von dem Ingenieurgeist unserer Zeit mit Hilfe modernster Mittel“, lesen wir in der „Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen“, 67. Jahrgang, Nr. 23 (9. Juni 1927), S. 633–635.

Nach der Fertigstellung des Dammes hatte der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg am 1. Juni 1927 die Eisenbahnverbindung eröffnet. Er fuhr als einer der ersten Passagiere im Eröffnungszug vom Festlandbahnhof Klanxbüll nach Westerland auf Sylt.

In Klanxbüll, dem letzten Bahnhof auf dem Festland, dankte er „im Namen des Reiches allen, die mit Kopf und Hand an der Schaffung dieses großen Seedammes gearbeitet haben“, und erklärte die Eisenbahnstrecke nach Sylt für eröffnet. (Quelle)

Um 11.10 Uhr soll der Zug in Westerland eingerollt sein. Es folgte viel Tamtam. Beim anschließenden Frühstück im Kurhaus (es gab u.a. Froschschenkel und Sekt) von Westerland hielt u.a. Dr. Julius Dorpmüller, der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, eine Rede und einen Ausspruch und einen Namen, der bis heute Gültigkeit hat. Dr. Dorpmüller selbst ist eine dubiose Figur:

Er wurde nach der Machtübernahme Hitlers NS-Verkehrsminister, organisierte den Nachschub der Wehrmacht an allen Fronten des 2. Weltkrieges und diente kurzzeitig im Mai 1945 als Reichspostminister. Und: Dr. Dorpmüller beteiligte sich an der Organisation des Transportes der Opfer des Holocaust in die Vernichtungslager (3).

Doch zurück zur Eröffnung am 1. Juni 1927: Dr. Dorpmüller huldigte zur Eröffnung Hindenburg und befand:

„Wie dieser Damm so hat auch das deutsche Volk schwere Stürme über sich ergehen lassen müssen. Doch auch das deutsche Volk hat in der Kriegszeit seinen schützenden Damm gehabt, und dieser Damm war verkörpert in der Person unseres allverehrten Herrn Reichspräsidenten, der damals mit seinem Schwert die deutschen Lande freihielt von feindlicher Zerstörung.

Er war es, der unerschütterlich blieb in Zeiten des Aufruhrs und der Wirrsal, unbekümmert seinen Pflichten nachging im Dienste des Vaterlandes, und, als das deutsche Volk ihn zum Reichspräsidenten erwählte, war er es, der immer wieder, und noch in diesen Tagen darauf hinwies, dass nur die Einigkeit der deutschen Stämme für die Befreiung von Bruderhass und und Parteizwist einen Schutzdamm bilden könnte gegen fremde Anmaßung und innerer Wirren. Auf dessen Namen wollen wir den neuen Damm taufen – er heiße

Hindenburgdamm.

Der in so schwerer Zeit im Kampfe gegen das Meer entstandene Damm und im Unglück erprobter, stehst unerschütterlicher Pate soll uns mahnen, dass wir nun dann ein Anrecht auf unserer stolze Volkshymne haben, wenn wir stets zu Schutz und Trutz brüderlich zusammenhalten. Deutschland, Deutschland, über alles!“

Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, 67. Jahrgang, Nr. 23 (9. Juni 1927), S. 633–635. Die Rede wird dokumentiert und kommentiert in: Arno Bammé und Thomas Steensen: Nachwort. In: Margarete Boie: Dammbau. Ein Sylter Roman. (Nordfriesland im Roman, Bd. 6), Husum Druck- und Verlagsgesellschaft 2012, S. 285–336, ISBN 978-3-89876-610-4., Quelle

Hindenburg – der Diktatormacher

Der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg gilt heute als höchst umstritten. Er sei der „Steigbügelhalter Hitlers“ gewesen, meint Historiker Nils Hinrichsen vom Nordfriesischen Institut. Hindenburg habe Naziführer Adolf Hitler geholfen, indem er ihn zum Reichskanzler ernannte und damit die Diktatur in Deutschland erst ermöglichte. 

Zur Erinnerung: Hindenburg wurde 1925 zum zweiten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt. Er wurde bei der Reichspräsidentenwahl 1932 wiedergewählt und blieb bis zu seinem Tod (2. August 1934) im Amt. 

Im Mai 1932 ernannte er Franz von Papen zum Reichskanzler. Ein halbes Jahr später wurde Kurt von Schleicher Reichskanzler. 1933 entzog er ihm das Vertrauen. Am 30. Januar 1933 berief Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Papen wurde Vizekanzler des konservativ-nationalsozalistischen Koalitionskabinetts. 

Am 28. Februar 1933 ebnete Hindenburg mit der Unterzeichnung der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ (Ermächtigungsgesetz) den Weg zur nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland.

„Zeichnet Kriegsanleihe / Die Zeit ist hart, aber der Sieg ist sicher“. Werbeplakat zur Zeichnung von Kriegsanleihen. Druck: Hollerbaum amp Schmidt, Berlin, 1917, Lithographie 140,5 x 96 cm © Deutsches Historisches Museum, Berlin Inv.-Nr.: 1987/395. Das Plakat nutzt die ungebrochen hohe Popularität Paul von Hindenburgs. Sein Ausdruck ist ernst, doch seine Autorität lässt keinen Zweifel am deutschen Sieg aufkommen.

Statt Hindenburgdamm – was?

Es gibt viele gute Gründe für eine Namensgegnerschaft. Auch in anderen deutschen Städten ist dieser Streit über die posthume Bewertung des Soldaten und späteren Politikers Hindenburg geführt worden. So wurde in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel bereits vor Jahren das Hindenburgufer zur Kiellinie.

Es gab zahlreiche Initiativen, eine andere Bezeichnung für den Damm zu finden. Vorschläge wie „Sylt-Damm“, „Friedens-Damm“ und „Nordfriesland-Damm“ konnten sich jedoch bisher nicht durchsetzen. Landtagsabgeordnete von Grünen und SPD hatten sich in der Vergangenheit bereits für diesen Namen stark gemacht.

Die Deutsche Bahn führt das Bauwerk intern unter der Nummer 2010. Nach Angaben der Deutschen Bahn seien Tunnel die „einzigen Eisenbahnbauwerke, die offiziell getauft werden.

Es gibt nur ein Problem: Es gibt kein offizielles Namensschild an der Strecke, das einfach ersetzt werden könnte – und eine offizielle Bezeichnung gibt es auch nicht. Die Grünen im Amt Südtondern wollen nun einen klugen Weg gehen. Sie wollen eine Resolution in den Kreistag Nordfriesland einbringen. Im Amt Südtondern liegt die Stadt Niebüll, in der die Autozüge nach Sylt starten.

Stephan Wiese vom Ortsverband der Partei der Grünen erwartet, dass vonseiten der öffentlichen Träger der Begriff „Hindenburgdamm“ nicht mehr benutzt wird. Seine Hoffnung sei, dass sich das auch auf den Volksmund übertragen ließe. 

Ok, schauen wir aufs Volkes Maul, da kursieren diverse Namensvorschläge: „Meerdamm“, „Friedens-Damm“, „Nordfriesland-Damm“, „Friesen-Damm“, „Pidder-Lyng-Damm“, „Lornsen-Damm“ (so lautete in den 1980ern ein friesischer Vorschlag), „Harro-Harring-Damm“ … ok, nun harren wir der weiteren Entwicklung und schauen ob und was draus wird.

Quellen / Weiterführende Informationen

(1) Die Kimbrische Halbinsel (lat. chersonesus cimbrica, dän. kimbriske halvø), oder auch Cimbrische Halbinsel bzw. Jütische Halbinsel, ist eine Halbinsel zwischen Ostsee und Nordsee (dort früher Westsee), die sich von der Elbmündung im Süden über eine Länge von ca. 450 km bis Grenen in Vendsyssel im Norden erstreckt. Sie umfasst Jütland (dän. Jylland), den kontinentaleuropäischen Teil Dänemarks, den Großteil des deutschen Landes Schleswig-Holstein und den nördlich der Elbe gelegenen Teil Hamburgs.

(2) Die Einweihung des Sylter Bahndammes. In: Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, 67. Jahrgang, Nr. 23 (9. Juni 1927), S. 633–635. Die Rede wird dokumentiert und kommentiert in: Arno Bammé und Thomas Steensen: Nachwort. In: Margarete Boie: Dammbau. Ein Sylter Roman. (Nordfriesland im Roman, Bd. 6), Husum Druck- und Verlagsgesellschaft 2012, S. 285–336, ISBN 978-3-89876-610-4.

(3) Unter seiner Führung erreichte die Reichsbahn die größten Beförderungs- und Transportleistungen ihrer Geschichte. Zugleich sicherte sie unter Dorpmüller auch den Nachschub der Wehrmacht an allen Fronten des Krieges und war am Transport der Opfer des Holocaust in die Vernichtungslager beteiligt. Die westlichen Alliierten sahen den Reichsverkehrsminister eingedenk seines guten Rufs aus Vorkriegszeiten zunächst für die Leitung des Wiederaufbaus der Reichsbahn vor. Der bereits schwer kranke Dorpmüller starb aber kurz nach Kriegsende.

Die Vorstände der Deutschen Bundesbahn und viele Eisenbahner sahen in Dorpmüller noch Jahre nach dem Krieg vor allem den vorbildlichen Fachmann, dessen Andenken in Ehren gehalten wurde. Erst in den 1980er Jahren, als die Rolle der Reichsbahn und ihres Generaldirektors im Dritten Reich bei der Deportation von Juden aus Deutschland von Historikern zunehmend thematisiert und aufbereitet wurde, distanzierte sich die Bundesbahn von ihm.

*Detlev von Liliencron aus der Ballade Pidder Lüng 

Beitragsbild: Klanxbüll, Eröffnung Eisenbahndamm Sylt Die feierliche Eröffnung des 11 km-langen Sylter Eisenbahndammes von Klanxbüll nach Westerland! Am 1. Juni fand die feierliche Eröffnung des neuen Eisenbahndammes durch den Reichspräsidenten von Hindenburg und den Generaldirektor der Reichsbahn Dr. Dorpmüller statt.

Unter großem Jubel der Bevölkerung passierte der erste Zug den Sylter Damm. Die Baukosten des Dammes betrugen ca. 25 Millionen Mark. Der Einweihung wohnten außerdem die Reichsminister Herght, Koch und Dr. Gessler bei. Der erste Zug, festlich mit Girlanden geschmückt, wird freudig begrüßt bei seiner Ankunft in Klanxbüll.

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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