1864 – Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen (Teil 1)

„Bald, so scheint es mir,
muß es wieder Tag für uns werden“

Wir schreiben das Jahr 1864. Dieses bringt den ersten der später so bezeichneten deutschen Einigungskriege: Nach einem von Dänemark nicht erfüllten kurzfristigen Ultimatum zur Rücknahme der Novemberverfassung greifen Preußen und Österreich das Königreich an und besiegen es innerhalb weniger Monate, wobei sie bis zur Nordspitze von Jütland vordringen. Im Frieden von Wien verliert Dänemark die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, die von den Siegermächten vorläufig in Form eines Kondominiums verwaltet werden. In dieser mehrteiligen Reihe werden die Ereignisse aus Sicht des Tonderner Bürgers O. C. Hanquist wiedergegeben. Begeben wir uns auf eine spannende Reise in die Vergangenheit.

Erzähler in dieser Geschichte ist Oluf Christian Hanquist. Dieser war ein Kaufmann in Tondern und Ratsmitglied. Über diesen wird berichtet, dass er unter den deutschgesinnten Ratsverwandten der Stadt Tondern gehörte, die am 23. April des Jahres 1851 ihren Abschied erhielten – nachdem sich durch den unglücklichen Verlauf der Ereignisse ein neues dänisches Polizeiregiment im Schleswigschen hatte breitmachen können.

Seit dem September des Jahres 1847 gehörte er zu den Stadtvätern und führte damit die Tradition der Familie nach dem Vater weiter fort. Doch schon in mehreren Jahren vorher hatte er seiner Vater­stadt als Stadtkassierer treue Dienste geleistet.

Die Familie Hanquist war ein alteingesessenes Kauf­mannsgeschlecht in Tondern. Sie zeichneten einen weitspannenden kaufmännischen Einsatz und ihre besondere Bedeutung für den Vertrieb der Klöppelspitzen (1) aus. Ihre Nachkommenschaft ist auch bis heute weitverzweigt.

Das Rathaus am Markt in der 700jährigen Stadt Tondern. Nach einer alten Photographie aus den Anfängen der preußischen Zeit

In dieser mehrteilig Reihe werden eine kleine Sammlung von Briefen aus der Feder des Senators Oluf Christian Hanquist aufgeführt. In diesen Briefen ist ein Vermächtnis niedergelegt. Sie atmen „ein deutsches nationales Fühlen nicht nur im Banne einer von außen herangetragenen Werbung, sondern gerade auch aus der Treue zum eigen­sten Wesen, das in langer Geschlechterfolge sich hier gebildet hat“, berichte Ludwig Andresen, in dem Bürger- und Einwohnerbuch der Stadt Tondern (bis 1869, Kiel 1937, Seite 26).

Mit solchen Worten kennzeichnete einst der verstorbene Dr. Ludwig Andresen, selber ein Sohn der Wiedaustadt Tondern, das Zeugnis alter Akten, Briefe und Tage­buchblätter.

Die waren ihm aus der Zeit des nationalen Erwachens im schleswigschen Lande zu Gesicht gekommen. Und diese Worte behalten auch im Fortschreiten der Ereignisse auf die überlieferten Zeugnisse aus dem Schicksalsjahre 1864 ihre Gültigkeit.

Die kaufmännischen Traditionen des alten Tonderner Handelshauses gingen mit Oluf Christian Hanquist zu Ende, nachdem sich mit der mer­kantilen (2) Verlagerung die Absatzmöglichkeiten für die wertvollen Tonderner Klöppelspitzen immer mehr verengt hatten.

Und beide Söhne des letzten Senators Hanquist in Tondern wurden daher — vielleicht in weiser Voraus­sicht —Bauer auf eigener nordschleswigscher Scholle.

An den jüngsten die­ser Söhne, der in Alslebenwraa bei Osterhoist einen bäuerlichen Besitz an­ getreten hatte (der älteste Sohn Johann, der auch öfters in den Briefen genannt wird, besaß einen Hof in Wellerup im Kirchspiel Aggerschau), sind die Briefe des Vaters gerichtet.

Jeder Leser dieser alten Briefe wird sich gern von der trauten Klein­stadtstimmung einfangen lassen, die aus ihnen uns entgegenströmt. 

Man begleitet den alternden Senator auf seinem täglichen Spaziergang zum „Keller“, dem Ratsweinkeller im Rathause, dem gleichen Rathause, das noch heute mit schlichter Front den Marktplatz grüßt.

Der Ratsweinkeller, der die Bürger zum Gedankenaustausch in früheren Jahren oft beisammen gesehen hat, ist freilich verschwunden.

Aber mit jeder Seite, die wir in diesen Briefen aufschlagen, lesen wir zugleich auch von dem sich gestaltenden Schicksal der Heimat. Und in dem leidenschaftlichen Miterleben der Ereignisse, das sich dem Sohne mitteilen muß, 

formt sich ohne jede Überschwänglichkeit das Wahrheitszeugnis von dem Schicksalsvollzuge, den wir sonst rückschauend in den Büchern zur Heimatgeschichte nachlesen.

Der schleswigsche Mensch ist seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts immer von neuem Spannungen ausgesetzt, die ihn zu einer klaren Entscheidung drängen.

Die vorliegenden Briefe zeugen davon, daß er, nachdem sein Traum von schleswig-holsteinischer Selbständigkeit und sein Kampf um eine solche im Endziele unerfüllt geblieben sind, am Vor­abend vor der preußischen Inbesitznahme sich auch zu dieser Lösung beken­nen konnte: weil er durch sie hindurch Deutschland sah.

Wir beginnen am Samstag, 2. Januar 1864:

Mein lieber Ludwig !

Heute muß ich Dir anzeigen, daß der Altonaer Mercur so wie ebenfalls die Itzehoer Nachrichten von der Regierung im Herzogthum Schleswig ver­boten sind, ich Dir daher Ersteren, wenigstens vorläufig, nicht mehr senden kann.

Wie sehr dieses Verbot, nicht allein Deinetwegen leid that, brauche ich Dir nicht zu sagen. Du mußt Dich nun vor der Hand an der Danevirke begnügen lassen,

welches doch auch die wichtigsten Tatsachen, wenn auch in anderer Färbung bringen wird. Hier hat man noch die Hamburger Nach­richten, wie lange sie sich halten können, muß die Folge lehren.

Ich hoffe, ich kann sie am Nachmittag auf dem Keller lesen, wo sie von mehreren gehalten werden. Daraus haben wir erfahren, daß am Mittwochen Nachmit­tag der Herzog Friedrich in Kiel unter einem großen Enthusiasmus einge­zogen ist, nachdem schon vorher der Magistrat, die Deputirten und die Bürgerschaft nach Ankunft der Bundes-Commisäre ihm auf dem Markt ge­huldigt haben. 

Am Abend, wie der Herzog in Kiel eingezogen war, war nicht allein die Stadt illuminirt, sondern sie schwammen, wie die Ham­burger Nachrichten berichten, in einem Lichtmeere.

Auch in Rendsburg sind die Bundestruppen eingezogen, eben so wie an den vielen anderen Orten. In Dithmarschen, und namentlich in Heide, sollen viele Menschen zur Huldigung versammelt gewesen sein.

So stehen die Deutschen nun wohl un­gefähr an der Schleswigschen Grenze den Dänen gegenüber, und was nun geschehen soll, das wird die Zukunft uns lehren. —

Einliegend sende ich Dir einen Tafelkalender, für Johann habe ich auch einen bereit.

Jetzt haben wir einen strengen Winter; ich habe leider seit vor Weih­nachten nicht meine Spaziertour machen können, denn einestheils die scharfe Kälte,

andererseits die Glätte auf unseren Straßen, von dem Schnee veran­laßt, und die Furcht zu fallen, was für mich gefährlich werden könnte, hat mich davon abgehalten.

Selbst am Nachmittag hat Tilla mich nach dem Keller begleitet. So habe ich denn fast als Einsiedler gelebt, das neue Jahr indeß, Gott sei gedankt, im besten Wohlseyn begrüßt.

Gott bewahre uns allen ferner die Gesundheit. Nun nehme für heute mit diesen wenigen Zeilen vorlieb. Dich und Deine gute Doris grüßen wir aufs innigste. Stets

Dein Dich innigliebender Vater, O. C. Hanquist.

Der Graf Reventlow in Bordesholm, unser früherer Amtmann (3), soll mit den Dänen aus Kiel abgezogen sein. Soeben höre ich, daß der König in Schleswig angelangt ist.

Grade wie ich im Begriff war, das Paket an Dich zu schließen, kommt Dein Knecht mit Deinem lieben Briefe von gestern. Wie sehr danken wir Dich und Deine gute Doris für Euren Glückwunsch zum neuen Jahr.

Sehr angenehm waren mir Deine Aeußerungen in politischer Hinsicht. Deine Befürchtungen wegen Frankreich theile ich nicht, er wird und kann nicht seinem Princip des Volkswillens, dem er selbst seine Existenz ver­ dankt, untreu werden,

auch ist die Stimmung in der dänischen Armee, namentlich unter den Holsteinern und Schleswigern wie man hier allgemein hört, mehr als verdächtig. 

Es wird zu spät sein, nun zurückzutreten. Ein­ liegend erhältst Du noch das letzte Blatt vom Mercur, welches ich am Donnerstag erhielt,

Dir aber nicht mit der Post zu senden wagte. Besonders interessant darin sind die Actenstücke von der Kieler Landesuniversität.

Heute Morgen hatte ich auch einen Besuch von Stein (4) und Dr. Tanck (5), welche Beide kamen, um mich zum neuen Jahre zu gratuliren.

Tanck fragte mich um ich meine deutsche Fahne in Ordnung hatte, um sie gleich wenn die Deutschen kämen, aushängen zu können.

Stein erzählte, daß der König geräuschlos und in aller Stille durch Flensburg passiert sei. Nun wir wollen der kommenden Dinge in aller Ruhe erwarten. Nochmals

Dein treuer Vater, O. C. Hanquist. Mine sendet hiebei 6 Paar Messer und Gabel.

Familiengeschichtliche Mitteilungen aus Nordschleswig. 1. und 2. / 3. und 4. Folge in einem Band. – Beilage: Max Raasch – Die Stadt Tondern und die Ereignisse des Jahres 1864. Unveröffentlichte Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen ( O. C. Hanquist )

Quellen und weiterführende Informationen

Familiengeschichtliche Mitteilungen aus Nordschleswig. 1. und 2. / 3. und 4. Folge in einem Band. – Beilage: Max Raasch – Die Stadt Tondern und die Ereignisse des Jahres 1864. Unveröffentlichte Briefe eines Tonderner Bürgers aus bewegten Tagen ( O. C. Hanquist )

(1) Klöppeln ist eine Handarbeitstechnik, bei der mittels Klöppeln (spindelförmige, meist aus Holz gefertigten „Spulen“) und dem daran aufgewickelten Garn verschiedenartige Spitzen gefertigt werden.

(2) Der Minderwert ist im Schadensersatzrecht der geringere Wert, den der Markt einer beschädigten Sache (auch merkantiler Minderwert genannt) nach ihrer Reparatur über den wegen nicht behebbarer Mängel verbliebenen technischen Minderwert hinaus bereits wegen des Risikos verborgener Mängel gegenüber einer vergleichbaren unbeschädigten Sache beimisst.

(3) Graf Arthur Christian Detlev Ludwig Eugenius Reventlow, war Amt­mann in Tondern 30. 7. 1850—1. 6. 1860, ab 21. 8. 1850 zugleich Oberdirektor der Stadt.

(4) Hans Christian Stein, Kaufmann in Tondern, gestorben 15. 6. 1868.

(5) Dr. med. Christian Hinrich Nicolaus Tanck, Arzt in Tondern, geboren Rendsburg 17. 9. 1812, gestorben Tondern 28. 8. 1878.

Beitragsbild: Nach der Bundesexekution in den Herzogtümern Holstein und Lauenburg und der Räumung stehen im Januar 1864 dänische Wachen an der Brücke zur Eider, im Hintergrund Rendsburg mit schleswig-holsteinischen Flaggen vom Kirchturm.

Autor: Willi Schewski

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