20. Dezember 1950: Gewaltlose Invasion auf Helgoland

Helgoland ist eine Hochsee-Insel in der Deutschen Buch, die nicht immer Insel war. Sie gehört, auch wenn weit draußen, zu Schleswig-Holstein und dem Kreis Pinneberg und sie erzählt die wechselhafte Geschichte. Im Dezember 1950 gab es auf Helgoland eine Aktion, die heute als historisch bewertet werden darf

René Leudesdorff (1928 – 2012) setzte am 20. Dezember 1950 mit seinem Heidelberger Kommilitonen Georg von Hatzfeld (1929 – 2000) nach Helgoland über, das militärisches Übungsgebiet der Briten war. „Es sollte eine gewaltlose Invasion sein„, wird Leudesdorff zitiert (1). Die britische Regierung geriet unter Verhandlungsdruck über die Freigabe der Insel. Die beiden Studenten hätten mit ihrer Aktion Bewegung in die umstrittene Helgoland-Frage gebracht (1). Allerdings ist die Urheberschaft der Helgoland-Aktion nicht ganz unumstritten, ein gewisser Hubertus Prinz zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg sollte noch eine Rolle spielen, doch fangen wir vorne an:

Am 18. April 1945, zum Ende des Zweiten Weltkrieges, wird die Insel nach einem verheerenden Luftangriff der Royal Air Force schwer beschädigt und unbewohnbar. Mehr als 2.000 „Halunder“ – so nennen die Helgoländer sich selbst – müssen ihre Heimat verlassen.

Am 4. Mai 1945 unterschreibt Hans-Georg von Friedeburg die Bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Die Kapitulationsurkunde erwähnt, dass die Kapitulation auch für Helgoland als Teil von Nordwestdeutschland gilt. Am 11. Mai 1945 wird die Kapitulation auch auf Helgoland vollzogen; britische Soldaten besetzen die Insel.

Doch auf der menschenleeren Insel lagert weiter Munition, überall gibt es Bunker und andere militärische Anlagen. Die Briten beschließen, sämtliche Militäranlagen mit einer gewaltigen Sprengung zu zerstören. Die größte, mit 6700 Tonnen Munition, detonierte am 18. April 1947: Die „Operation Big Bang“, bis dahin größte nichtnukleare Sprengung der Geschichte, sollte sämtliche militärische Anlagen vernichten. (Quelle)

Nach der Sprengung, das offiziell zum deutschen Staatsgebiet zählt, bleibt militärisches Sperrgebiet und dient den Briten fortan als Ziel für Übungsbombardements. Die Exil-Helgoländer starten nun weitere politische Initiativen zur Wiederbesiedlung der Insel: Im März 1948 werden die Vereinten Nationen angerufen. Doch die britische Regierung blieb stur, Helgoland bleibt militärisches Sperrgebiet und Bombenabwurfplatz für die britische Luftwaffe. Bis zu jenem

20. Dezember 1950, der Tag der Invasion

Leudesdorff kapert mit seinem Heidelberger Kommilitonen Georg von Hatzfeld das britisch besetzte Helgoland. Sie hissen dort die Flagge der Europäischen Bewegung sowie die Deutschlandflagge und die Flagge Helgolands. Sie bleiben mit kurzer Unterbrechung bis zum 3. Januar 1951 auf der Insel.

Durch die journalistische Unterstützung der Frankfurter Abendpost erreicht die Protestaktion der beiden Studenten über die Weihnachtstage eine enorme publizistische Beachtung – auch im Vereinigten Königreich. Ihre Aktion ist unerwartet erfolgreich: In ganz Europa berichtet die Presse darüber, weitere „Inselbesetzer“ folgen in den nächsten Wochen dem Beispiel der beiden Studenten und setzen auf die Insel über.

Die britische Regierung gerät innen- und außenpolitisch in Zugzwang und nimmt die festgefahrenen Verhandlungen über die Freigabe der Insel wieder mit der Regierung Adenauer auf. Am 21. Februar 1951 beschließt die britische Regierung, die Insel nach Jahren als britisches Sperrgebiet wieder freizugeben.

Ein weiteres Jahr später, am 1. März 1952, ist Helgoland wieder in deutschen Besitz. „Hisst Flagge!“ – mit diesen Worten ist am 1. März 1952, fast sieben Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes, auch für Helgoland der Krieg endgültig vorbei. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Friedrich-Wilhelm Lübke nimmt die Insel feierlich in Besitz. (Quelle) Seither wird der 1. März alljährlich auf Helgoland als Inselfeiertag mit Gottesdienst und Festakt begangen.

Für diese gewaltfreie Aktion erhielten Leudesdorff und von Hatzfeld am 30. September 1993 das Bundesverdienstkreuz I. Klasse aus der Hand von Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Am 19. Dezember 2010 wurden Georg von Hatzfeld posthum und René Leudesdorff bei einem Festakt auf Helgoland zu „Verdienten Bürgern der Gemeinde Helgoland“ ernannt, nachdem die Gemeindevertretung einstimmig einen entsprechenden Beschluss gefasst hatte.

„Patentstreit“ – Andere Deutung durch Hubertus Prinz zu Löwenstein (1906 – 1984)

Zurück zu jenen Tagen im Dezember 1950: Einige Quellen benennen neben Leudesdorff auch den Journalisten, Schriftsteller, Dozenten und Politiker (FDP, ab 1957 DP, ab 1958 CDU) Hubertus Prinz zu Löwenstein (1906 – 1984). Der soll sich der von Leudesdorff und v. Hatzfeld begonnenen Aktion nach einigen Tagen angeschlossen haben. Am 29. Dezember 1950 soll Hubertus Prinz zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg auf Helgoland gesandt sein. Er hätte einen US-amerikanischen Staatsbürger mitgenommen, um damit zu verhindern, dass die Alliierten die Insel und damit die friedlichen Besetzer bombardierten.

Er hätte mit dem promovierten Juristen, Diplomaten und Publizisten Volkmar Zühlsdorff auch die Öffentlichkeitsarbeit vorbereitet. In seinem Buch „Wir befreiten Helgoland“  schildert Leudesdorff detailliert den „Patentstreit“ um die friedliche Invasion Helgolands zwischen den beiden Besetzern Hatzfeld und Leudesdorff und dem Prinzen.

Während Leudesdorff Löwenstein offenbar nicht kannte – und umgekehrt –, hatte Hatzfeld an der Universität Heidelberg kurze Zeit für ihn als Hilfsassistent gearbeitet und dabei offenbar auch Löwensteins Helgoland-Aufrufe gelesen.

Einem Vorbereitungsteam Löwensteins gehörten weder Hatzfeld noch Leudesdorff an. Die Besetzung Helgolands lag quasi in der Luft. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann jemand den ersten Schritt machen würde.

Am wahrscheinlichsten war, dass es die Helgoländer selbst tun würden, denn Helgoländer Fischer waren ständig um die und auf der Insel unterwegs und in Cuxhaven gab es ein aktives „Büro Helgoland“.

Als Löwenstein sah, dass ihm die beiden zuvorgekommen waren, handelte er rasch und reklamierte zumindest die Idee für sich. Die ihn zahlreich begleitenden Journalisten übernahmen dies gerne wie auch später die Helgoländer.

Löwenstein hatte durch seine frühe Emigration, seinen mutigen Kampf gegen Hitler vor der Emigration 1933 und im Exil ein internationales Renommee und damit größere Chancen auf internationale Aufmerksamkeit – dies erschien als notwendige Voraussetzung für das Gelingen der Besetzung und letztlich die Rückgabe Helgolands.

Seine Version von den Studenten, die in seinen Plan eingeweiht waren und ihm lediglich die Schau stehlen wollten, wirkte plausibel, zumal weder Hatzfeld noch Leudesdorff triftige Gründe vorbringen konnten, warum ausgerechnet sie eine Insel befreien wollten, die sie nie zuvor gesehen hatten.

Leudesdorff äußert die Vermutung, dass Löwenstein mit der Besetzung für eigene politische Ziele im Sinne der Wiedererrichtung eines christlichen Europas als Bollwerk gegen den kommunistischen Osten werben wollte, während es zumindest Leudesdorff vor allem um das Heimatrecht der Helgoländer und ums Abenteuer ging.

Helgoland – Geschichte einer Insel, die nicht immer Insel war

Helgoland ist nicht immer Insel gewesen. Erst der steigende Nordsee-Meeresspiegel nach der jüngsten Eiszeit schnitt den Felsen vom Festland ab. Das heutige Helgoland ist Zeuge einer furchtbaren Katastrophe. Mehr dazu in dem Text Das Geheimnis um Doggerland – nun gelüftet?

Einige Stationen der wechselvollen Inselgeschichte der Neuzeit, hier knapp skizziert:

  • 1714: Die Dänen übernehmen die Herrschaft über Helgoland.
  • 1720/21: Eine Sturmflut durchbricht die Verbindung von Hauptinsel und Düne. Die Düne war zuvor lange als Kalk- und Gips-Steinbruch genutzt und dadurch geschwächt worden.
  • 1807: Die Dänen müssen den Briten weichen.
  • 1826: Die touristische Karriere des Buntsandsteinfelsens beginnt. Jacob Andresen Siemens gründet das Seebad.
  • 1890: übergeben die Briten Helgoland an das Deutsche Reich. Der Handel ist Bestandteil eines größeren Interessenausgleichs beider Länder.
  • 18. April 1945: Die Insel wird nach einem verheerenden Luftangriff evakuiert.
  • 18. April 1947: Die britische Armee zerstört mit einer gewaltigen Explosion das militärische Bunkersystem der Insel. Dabei entsteht das Mittelland.
  • 1. März 1952: Nachdem Helgoland mehrere Jahre Sperrgebiet war und der britischen Luftwaffe als Bombenübungsgebiet gedient hatte, kann die Wiederbesiedlung beginnen.
  • 1962: Helgoland wird Nordseeheilbad, der Tourismus nimmt einen schnellen Aufschwung und ist Haupteinnahmequelle der Insulaner.
  • 26. Juni 2011: Der Vorschlag, Hauptinsel und Düne durch Landaufschüttung wieder zu vereinen und Flächen für neue touristische Infrastruktur zu gewinnen, scheitert in einem Bürgerentscheid. In den Jahren zuvor hatte sich der Besuch von Tagestouristen drastisch reduziert.

Quellen / Weiterführende Informationen

(1) Schleswig-Holstein –  Wiederaufbau Helgolands (Link)

NDR; Wie Helgoland wieder deutsch wurde (Link)

Beitragsbild (gemeinfrei): Sprengung der Bunkeranlagen von Helgoland, von der Nachbarinsel Düne aus gesehen

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

2 Kommentare zu „20. Dezember 1950: Gewaltlose Invasion auf Helgoland“

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