17. Dezember 1962: Erster Sexshop der Welt in Flensburg eröffnet

Sie wird „Grande Dame der Erotik“ (Die Welt), „Liebesdienerin der Nation“ (Die Zeit), „Mutter der Erotik-Heimwerker“ (Süddeutsche Zeitung), „Schlummermutter der Republik“ (Der Spiegel) oder „Königin der Schamlosen“ (Bild) bezeichnet: Die Rede ist von Beate Uhse.

Ich bin nicht Jesus, sondern Unternehmer“ (1). Wir schreiben den 17. Dezember 1962, es ist ein Montag. Nur wenige Menschen versammeln sich an diesem historischen Datum in der Angelburger Straße 58, in Flensburg. Was sie noch nicht wissen konnten: es ist eine Sensation, eröffnet doch an jenem Tag der erste Sexshop der Welt (auch dezent „Fachgeschäft für Ehehygiene“ genannt) seine Türen. Mit dabei, die damals 43jährige Chefin, Beate Uhse ( 25. Oktober 1919 – 16. Juli 2001). Sie und ihr Shop und ihr bereits 1951 gegründetes Versand-Unternehmen schreiben Geschichte.

Wollen wir die Geschichte der Eröffnung des Sexshops in der Angelburger Straße nacherzählen, müssen wir früher beginnen. Vor dem 2. Weltkrieg und die Geschichte hat nur bedingt mit ihrer späteren Arbeit als Chefin eines Handelsunternehmens mit Erotikprodukten zu tun. Beate Uhse Karriere begann als Deutschlands einzige Stunt-Pilotin.

Als Beate Dorothea Köstlin am 25. Oktober 1919 in Ostpreußen geboren, wächst sie als jüngstes von drei Kindern in privilegierten, weltoffenen Verhältnissen auf: Ihr Vater Otto unterhält als Landwirt ein großes Gut in Wargenau, ihre Mutter Margarete Köstlin-Räntsch ist eine der ersten Ärztinnen in Deutschland.

Beate ist fleißig, klug, sportlich und hegt sie schon früh den Wunsch, Pilotin zu werden. Ihre fortschrittlich denkenden Eltern unterstützen sie bei ihrem Berufswunsch. An ihrem 18. Geburtstag bekommt sie ihren Pilotenschein – als einzige Frau unter 60 Flugschülern. 1938 beginnt mit der Kunstflugschulung (Quelle). Ihr Fluglehrer ist Hans-Jürgen Uhse, ihr späterer Ehemann, den sie 1939 mit 19 heiratet.

Früh Witwe

Im selben Jahr arbeitet sie als Testpilotin in Strausberg und wirkt als Stunt-Pilotin in Filmen mit. 1943 kommt ihr Sohn Klaus zur Welt. Ein Jahr später, im Mai 1944 verunglückt ihr Mann bei einer Flugzeugkollision im Kriegseinsatz tödlich. Die junge Mutter überführt indessen als Pilotin der Luftwaffe bis 1945 in einem Geschwader Jagdflugzeuge von Berlin-Tempelhof an die Front. Sie bekleidet den Rang eines Hauptmanns und gehört zu den wenigen Pilotinnen der Deutschen Wehrmacht.

April 1945 zeichnet sich das Ende von Nazideutschland ab. Der Einmarsch der Russen veranlaßt die junge Witwe zusammen mit ihr Sohn und das Kindermädchen zu fliehen. Nicht, wie viele andere zu Fuß oder per Schiff, sondern mit einem Flugzeug. Von Gatow aus ging es nach Schleswig-Holstein.

Nahe der deutsch-dänischen Grenze verbringt sie sechs Wochen in britischer Kriegsgefangenschaft. Als Flüchtling lebt Beate Uhse mit ihrem Sohn zunächst in Braderup, als mittellose Mutter in ärmlichen Verhältnissen. Doch es muss weitergehen. Beate schlägt sich mit verschiedenen Jobs durch. Sie arbeitet in der Landwirtschaft, gibt Englischunterricht, verkauft Spielwaren und – und das sollte ihre Inspiration für die Zukunft werden – sie berät junge Frauen über Schwangerschaftsverhütung.

Heimat- und wohnungslos trifft sie auf Ewe Rotermund, der Mutter und Sohn mit in seine Flüchtlingsunterkunft nimmt. Dort berät Beate Uhse die anderen Frauen in Sachen Verhütung. Angesichts der wirtschaftlichen Lage möchte keine von ihnen schwanger werden. Schon 1946 beginnen Beate und Ewe die legendäre „Schrift X“ über die Knaus-Ogino-Methode zu vertreiben.

Nun kommt ihr der Zufall oder das Glück entgegen: Sie lernt 1947 lernt sie den Flensburger Kaufmann Ernst-Walter „Ewe“ Rotermund kennen. Er hilft ihr bei der Vervielfältigung der Broschüre. Mit Erfolg, sie verkauft rund 32.000 Exemplare zu zwei Reichsmark pro Heftchen und verdient sich damit ein Startkapital für weitere Geschäfte.

1951: „Versandhaus Beate Uhse“ – und viele Prozesse

1949 heiratet Beate Uhse „Ewe“ Rotermund. Er bringt Sohn Dirk und Tochter Bärbel mit in die Ehe. Sie ziehen in eine Wohnung nach Flensburg. Bereits im Mai desselben Jahres wird der gemeinsame Sohn Ulrich geboren. Nun geht es rasant weiter: 1951 gründet Beate mit vier Angestellten das „Versandhaus Beate Uhse“. Im Katalog: Liebes-Dragees, Negligés, Kondome, Dildos.

 

Doch Beate Uhse ist rastlos, will weiter expandieren. Und so kommt 1962 der nächste Schritt: In einer Zeit, in der Sex ohne Trauschein noch immer als Unzucht gilt, eröffnet sie am 17. Dezember in der Angelburger Straße 58 in Flensburg das „Fachgeschäft für Ehehygiene“. 

Auf Anraten ihres Anwaltes eröffnete sie das Geschäft zu Weihnachten, da zur Weihnachtszeit keine Übergriffe empörter Bürger zu befürchten seien und sich die Empörung danach abgekühlt haben würde. „In einem Laden werden uns die Leute empört die Schaufenster einschmeißen„, war ein Einwand. ,Kommt darauf an‘, wird Beate in ihrer Autobiografie zitiert. „Ich mache auf, wenn die Leute friedlich sind – kurz vor Weihnachten.“ (Quelle)

Der Laden liegt nahe der Flensburger Innenstadt, es ist ein zweigeschossiges Giebelhaus, errichtet 1734.  Der Laden war nun ein weiteres Steinchen in dem Firmen-Geflecht der Rotermunds: In der Wilhelmstraße 1a residierten Produktionsleitung und Verkaufsförderung.

Im Margarethenhof gab es Lager, Labor und Nähstube. Auf dem Sandberg, in einer verschachtelten Marmeladen-Fabrik, breitete sich die Verwaltung aus. Kurzzeitig bildete auch Neumarkt 8 einen Teil eines Firmen-Geflechts und beherbergte unter anderem eine kleine Druckerei (Quelle).

Zur Eröffnung des ersten Sex-Shops der Welt erschienen nur wenige Gäste: Nachbarn, Vertreter des Bauamtes und der Handelskammer. Eingeladene Vertreter der örtlichen Presse (Flensborg Avis, Flensburger Tageblatt) glänzten durch Fernbleiben. Einzig die Südschleswigsche Heimatzeitung hatte einen Redaktionsmitarbeiter entsandt. Im Blatt erschien am nächsten Tag ein schlichter Beitrag.

Diskretion als Credo

Das Gebäude, wo heute übrigens (Stand 16.12.2022) immer noch ein Handelsgewerbe betrieben wird (Nahrungsergänzungsprodukte für die Fitness) gestaltete sich spartanisch. Den vorderen Teil wie auch die Schaufenster prägten Aufklärungsbücher. Im hinteren Teil wurden Produkte der „Ehehygiene“ angeboten. Für diskrete Beratung stand ein kleiner Extra-Raum zur Verfügung.

Der erste Erotikshop in der Angeburger Straße in Flensburg sollte der Beginn einer Erfolgsgeschichte sein. Den zweiten Sex-Shop eröffnete die Geschäftsfrau in Hamburg. Dann folgten nach und nach in deutschen Großstädten oder besonderen Orten in Toplagen und in Fußgängerzonen weitere Läden. Und das Unternehmen wuchs und wuchs, bald war Beate Uhse in zwölf Ländern mit nicht weniger als 270 Shops vertreten.

Der Firmenhauptsitz in der Wilhelmstraße sollte schnell zu klein werden. Uhse erwarb bereits 1961 ein Grundstück im Flensburger Industriegebiet und ließ es bebauen. 1969 sollte dort, in der Gutenbergstraße 12, das erste Großraumbüro Europas eröffnen. Im Bürger – Schnack wird es bald „Sexeck“ getauft ob seiner sechseckigen Bauweise.

Der erste Sexshop der Welt in der Angelburger Straße 58 bestand noch bis zum 13. Dezember 1970. „Beate Uhse“ zog um in den Holm 60, mitten in der Flensburger Einkaufsstraße.

So erfolgreich Beate Uhse im Geschäft ist – im Privaten läuft es weniger gut. Ihre Ehe scheiterte, das Paar Rotermund ließ sich 1972 scheiden. Und es kam zu Schicksalsschlägen: Die Söhne zerstreiten sich, 1981 wird die Firma aufgeteilt und am selben Ort wächst ein mächtiges Konkurrenzunternehmen. 1984 stirbt ihr Sohn Klaus. Am 16. Juli 2001 stirbt Beate Uhse mit 81 Jahren.

Das Unternehmen geht dann den Bach runter und meldet 2017 Insolvenz an. Beate Uhse ist somit eine Erfolgs- aber auch Tragikgeschichte und sie gilt als umstritten. Autorin Cornelia Filter berichtet kritisch in der Frauenzeitschrift EMMA am 27. Oktober 2019: „Beate Uhse ist eine Emanze. Eine, die sich auf Kosten von Frauen emanzipiert und es mit Kerlen hält. Eine, die alles kann und alles tut. Eine, die immer dabei ist. An vorderster Front. Seite an Seite kämpft sie mit den Kameraden. Im Nazi-Krieg wie im Sex-Krieg. Gestern mit Bomben. Heute mit Pornos.“ (Quelle).

Beate Uhse regierte daraufhin unprätentiös: „Ich bin nicht Jesus, sondern Unternehmer„.

Angucktipp bei YouTube: Beate Uhse – Das Recht auf Liebe (D 2011)

Quellen / Weiterführende Informationen

(1) Zitat Die Zeit vom 15. März 1985

shz; Der erste Sex-Shop der Welt (Link)

Flensburg Journal; Die Beate Uhse Chronik – Folge 5 (Link)

Beate Uhse: „Mit Lust und Liebe. Mein Leben“ (Link)

NDR; Beate Uhse: Flensburgs umstrittene Sexshop-Pionierin (Link)

EMMA; EMMA, ALICE UND BEATE (Link)

Beitragsbild (gemeinfrei): Die etwa 18-jährige Flugschülerin Beate Dorothea Köstlin auf dem Flugplatz Rangsdorf südöstlich von Berlin, 1937

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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