Böser Ort Fahrensodde: Die Nazis und die Sache mit den 26 Leichen am Badestand

Der Ort Fahrensodde (dänisch Farensodde oder auch Farnæsodde) ist ein Küstenvorsprung mit gleichnamigem Strand, Straße sowie Fischerei- und Yachthafen an der Flensburger Innenförde. Mai 1945, zum Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden am Badestrand von Fahrensodde 26 Leichen von SS-Leuten verscharrt.

Es ist ein böser Ort: Flensburg-Fahrensodde. Die beschaulich an der Flensburger Förde liegende Siedlung namens Fahrensodde wurde 1583 erstmals erwähnt. Sie weist auf eine Landzunge (dänisch: odde) hin, die zur Überfahrt nach Kollund (Dänemark) genutzt wurde. Die damals aus fünf Katen bestehende Siedlung gehörte zu Twedter Holz. Fahrensodde ist erreichbar über den Hauptzufahrtsweg Twedter Strandweg, der dem Stadtbezirk Solitüde zugeordnet ist. Oberhalb von Fahrensodde liegt das Ferienhaus- und Wohngebiet „Strandfrieden“, das mit Fahrensodde optisch verwachsen ist. Alles andere als „friedlich“ ist zu bezeichnen, was sich im Mai 1945 in Fahrensodde ereignete – war da doch die Sache mit den 26 Leichen am Badestrand.

Um die Geschichte und das Grauen, dass sich Anfang Mai 1945, zum Ende des Zweiten Weltkriegs, abspielte, richtig einzuordnen, müssen wir einen Gesamt-Blick auf die Ereignisse im Mai 1945 in Flensburg werfen. Fahrensodde war in den Mai-Tagen nicht der einzige Ort in Flensburg, wo sich grausige Ereignisse und Verbrechen abspielten. Die Damen und Herren der Nazis sind für diverse Morde und Terror verantwortlich. Über diese soll in weiteren Artikeln im Blog noch die Rede sein bzw. wurden hier schon erörtert (Stichwort „Zeit des Nationalsozialismus„). Bleiben wir bei dem, was sich Fahrensodde abspielte.

Diese Siedlung gehörte seinerzeit zum sogenannten „Sonderbereich Mürwik„. Dieses war die Bezeichnung für ein ungefähr 14 Quadratkilometer großes Gebiet bei Flensburg-Mürwik.

Der Sonderbereich nahm das Gelände des Mürwiker Marinestützpunktes sowie angrenzende Flächen bis Twedt und Twedter Feld ein. Darüber hinaus gehörte noch die Kaserne in Meierwik zum Sonderbereich. Der Bereich war zwei Kilometer breit und sieben Kilometer lang. Das Schloss Glücksburg lag am Rande des Sonderbereichs.

In dem „Sonderbereich Mürwik“ hier sich sich die Regierung Dönitz, auch als Flensburger Regierung bezeichnet, auf. Dieser letzte Rest des NS-Staates bestand bis zum 23. Mai 1945. Die Regierung Dönitz war die geschäftsführende Reichsregierung unter Karl Dönitz in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges. Diese hatte Diktator Adolf Hitler vor seinem Suizid (30. April 1945 in Berlin) schriftlich bestimmt.

30. April bis 23. Mai 1945 – 23 Tage Spuk und Terror

Die rechtmäßig umstrittene „letzte Regierung des Deutschen Reiches“ dauerte 23 Tage, vom 30. April bis 23. Mai 1945. Am 23. Mai wurde das endgültige Ende des 3. Reiches, des Nazideutschland in Flensburg besiegelt. Die Mitglieder der Regierung sowie 420 hohe Beamte und Offiziere werden gefangen genommen.

Es waren 23 Tage zwischen Spuk und letztem Terror. Innerhalb dieser Zeit ereignete sich auch die Sache mit den26 Leichen am Badestrand von Fahrensodde. Zeichnen wir die Ereignisse taggenau nach:

Ende April, Anfang Mai 1945 liegt Deutschland in Trümmern. Das „Dritte Reich“ geht seinem Ende entgegen. Weltweit herrschen Tod und Trauer, Not und Verzweiflung. Mehr als zwölf Millionen Menschen, unter ihnen über sechs Millionen Juden, werden Opfer der NS-Verbrecher. Eine totale Niederlage zeichnet sich ab. Nur in Schleswig-Holstein, ein Land voller Flüchtlinge, Heimatvertriebenen und zurückkehrenden Soldaten, haben die Alliierten noch nicht Fuß gefasst.

2. Mai 1945: Da britische Panzerverbände auf Lübeck vorrücken, entscheidet Dönitz seinen Regierungssitz nach Flensburg zu verlegen. Doch noch vor seinem Eintreffen wird die Fördestadt am 2. Mai 1945, nach Unterlagen des Bundesarchivs in Koblenz, von etwa 150 hohen SS-Männern unter Führung des Reichsführers der SS, Heinrich Himmler, heimgesucht.

Zu denen, die an diesem Tag Flensburg als letzte Zuflucht ansehen, gehören ranghöchste Nationalsozialisten, die Führungscliquen der Konzentrationslager und Chefs der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), unter ihnen der ehemalige berüchtigte KZ-Kommandant Rudolf Höß, der Massenmörder von Auschwitz.

Tödliche Irrfahrt des Lastkahns Ruth endet in Flensburg

Zur selben Zeit treffen Hunderte von KZ-Häftlingen aus Neuengamme und Sachsenhausen per Zug und Schiff in Flensburg an. Sie sind in einem unsäglichen Zustand, von den Nazis grausam gequälte, gemarterte, hungernde Menschen.

Gegen Mittag am 3. Mai 1945 endet in Mürwik, nur wenige Meter von Dönitz’ Amtssitz entfernt, die Fahrt des Lastkahns Ruth. Auf diesen mehr als 1000 KZ-Häftlingen aus dem Lager Stutthof bei Danzig, hinter ihnen eine fünftägige Irrfahrt über die Ostsee. Von den eingeschifften Häftlingen haben nur 630 die Fahrt überlebt.

Ein Häftling hatte ein Tagebuch von der Irrfahrt geführt, am 2. Mai berichtete er: „Ohne Ziel treiben wir auf der Ostsee, Dänemarks Küste in Sicht, kein Trinkwasser mehr, keine Lebensmittel, die meisten Häftlinge willenlos dem Schicksal ergeben, ohne Murren, andererseits Aufbäumen gegen Ordnung, Kampf ums nackte Leben. (…) 16 Tote über Bord.

Dieses Dokument des Grauens spielte bei der späteren juristischen Aufarbeitung eine bedeutende Rolle. Das Original findet sich noch heute in den Sammlungen des britischen Nationalarchivs in London.

Zeugen berichteten von Grausamkeiten an Bord der „Ruth“. So seien Häftlinge lebend über Bord geworfen worden. „Für jeden Toten eine Zigarette“, habe ein SS-Mann geschrien.

Die über Bord geworfenen Leichen trieben in diesen Tagen im Wasser der Ostsee in der Flensburger Förde. Eine SS-Begleitmannschaft des gestrandeten Lastkahns Ruth bargen 26 Leichen am Badestrand von Fahrensodde. Sie wurden notdürftig am Strand in Erdlöchern verscharrt wie Tierkadaver.

Die britische Besatzungsmacht sorgte dafür, dass die Leichen der Häftlinge aus den Notgräbern am Strand nochmals geborgen wurden. Sie wurden kriminaltechnisch untersucht und danach auf dem Friedenshügel bestattet .Die britische Besatzungsmacht leitete sodann ein Verfahren gegen 13 SS-Männer und Kapos wegen Gewaltverbrechen während des Stutthof-Transports ein.

Schuld und Sühne?

Die Anklage gegen 13 Angeklagte wurde am 25. September 1946 erhoben, Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Unter den Angeklagten waren zwei Flensburger. Der öffentliche Prozess fand im großen Saal des Deutschen Hauses statt

Nach 21 Sitzungen ergingen am 23. Oktober 1946 die Schuldsprüche. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden der SS-Rottenführer Otto Wippermann, der SS-Unterscharführer Herbert Holz und der SS-Sturmmann Herbert Walbrecht zum Tode verurteilt.

Sie wurden für schuldig befunden, eine „unbestimmte Zahl jüdischer Frauen“ erschossen und auf im Wasser schwimmende Häftlinge gefeuert zu haben. Ein weiterer Angeklagter erhielt eine zweijährige Gefängnisstrafe, alle weiteren wurden freigesprochen. Nachdem Gnadenersuche der Verteidigung abgewiesen worden waren, wurden die Todesurteile vollstreckt. Quelle: shz

Was an die Verbrechen heute am Strand von Fahrensodde erinnert? NICHTS.

Quellen:

Broder Schwensen: Flensburg, Mai ’45. Eine Zusammenfassung. In: Paul Gerhard, Broder Schwensen (Hrsg.): Mai ’45. Kriegsende in Flensburg  Schriftenreihe der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte). 1. Auflage. Band 80. Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, Flensburg 2015, S. 210 (244 S.)

„Prozess um das schwimmende Grab“, shz (Link)

„Der Untergang 1945 in Flensburg“, Landesbeauftragte für politische Bildung Schleswig-Holstein (Link)

„Die dunkelsten Tage der Flensburger und der deutschen Geschichte“, CDU, Wolfgang Börnsen (Link

Beitragsfoto und alle anderen: (c) Kristina Berndsen – vielen Dank!

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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