Südfall, die Gräfin und die Sache mit dem Soldaten und der Okarina

Gegen Ende des Krieges ging die fast achtzigjährige Gräfin Diana von Reventlow-Criminil eines Nachts auf das Watt um einen abgestürzten englischen Flieger auf die Hallig zu holen. Sie verbarg ihn eine Weile vor den Machthabern, den Nazis, die sie als “braune Bagage” bezeichnete, aber das ist nicht die ganze Geschichte …

Wir schreiben das Jahr 1944, der 2. Weltkrieg ist im schleswig-holsteinischen Nordfriesland fast vorüber, fast. Seit 1941 fliegen die Alliierten häufig die Route zwischen Amrum und Eiderstedt. Sie ist praktisch flakfrei. Dennoch kam es in Folge von Luftkämpfen durch die in Husum und Wyk auf Föhr stationierten Jäger immer wieder zu Abstürzen. So geschah es einen englischen Piloten. Er stütze ab, mitten im Watt, nahe Südfall.

Der Soldat überlebte. Dank der Gräfin Diana von Reventlow-Criminil und angeblich dank einer Okarina (aus italienisch ocarina, wörtlich „kleine Gans“), einer Tonflöte. Das mit der Flöte ist aber nur Spekulation, später mehr dazu.

Konzentrieren wir uns auf die Gräfin und den jungen, englischen Soldaten. Die Gräfin Diana von Reventlow-Criminil (* 29. Mai 1863 in Preetz, Herzogtum Holstein, Dänischer Gesamtstaat; † 5. August 1953 auf der Hallig Südfall) hatte 1910 die Hallig Südfall gekauft.

Heut bin ich über Rungholt gefahren,
Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren,
Noch schlagen die Wellen da wild und empört,
Wie damals, als sie die Marschen zerstört.
Die Maschine des Dampfers schütterte, stöhnte,
Aus dem Wasser rief es unheimlich und höhnte:
Trutz, Blanke Hans.

Aus dem Gedicht „Trutz, Blanke Hans“ von Detlev von Liliencron (1882) 

Diese verfügte seinerzeit nur über eine Warft, die mit einem älteren Wohnhaus und landwirtschaftlichen Nebengebäuden bebaut war. Die Gräfin verlebte hier mit ihren Tieren und einem kleinen Hofstaat zunächst die Sommer, in späteren Jahren bis zu ihrem Tod lebte sie ganzjährig auf Südfall.

Zusätzlich besaß sie einen kleinen Marschhof, die Püttenwarft, auf der größeren Nachbarinsel Nordstrand, welche seit 1906/07 über einen Damm mit dem Festland verbunden worden war.

Aufgrund ihrer adligen Herkunft und ihres einsamen Lebens als Frau ohne Ehemann auf dieser kleinen Hallig schuf sie für viel Klatsch und Tratsch. Sie unterstützte den Nordstrander Bauer Andreas Busch bei seiner Rungholt-Forschung.

Begegnung zwischen der Gräfin und dem Soldaten

Es ist ein nebligen Abend im Watt vor der Hallig Südfall, 1944. Der Flieger eines englischen Soldaten muss notlanden. Er weiß (so in der TV-Dokumentation über Rungholt in der Serie „TerraX“), dass er bei der nächsten Flut ertrinken würde.

Er kennt sich mit den Gezeiten aus. Plötzlich entdeckt er im Schlick eine graue Tonflöte, die von Rungholt stammte, eine Okarina. Er spielte darauf.

Zum gleichen Zeit geht die fast achtzigjährige Gräfin auf dem Watt spazieren. Es ist einer ihren täglichen Spaziergänge über die Hallig und das Watt. Sie nimmt die Töne wahr, geht ihnen nach und begegnet den Piloten und rettet ihn schließlich vor dem Tod.

Der Nordstrander Heimatforscher Robert Brauer hätte die eben genannte Erzählung von einer Bediensteten der Gräfin überliefert bekommen. Die habe ihm erzählt, dass die Gräfin den englischen Piloten etwa zwei Wochen versteckt gehalten habe.

Zum damaligen Zeitpunkt lebensgefährlich, es hätte für die Gräfin Konsequenzen bedeutet, wenn die Nazis davon in Erfahrung gebracht worden wären. In sofern ist sie eine Heldin.

Der Pilot soll sich auf eigene Faust nach England durchgeschlagen haben. Der Name des Piloten und sein Schicksal seien unbekannt. Versuche, das zu klären, seien gescheitert. (Quelle)

Die Sache mit der Flöte – reinste Erfindung?

Die Geschichte um die Rungholt-Flöte wirft Rätsel auf“, wird die Nordstrander Nationalparkwattführerin, Geologin und Rungholtforscherin Cornelia Mertens lt. shz zitiert.

Der Pilot könne die Flöte nicht benutzt haben, wenn sie vor 1927 gefunden wurde. Er habe möglicherweise durch Pfeifen auf den Fingern oder mit einem Signalgeber auf sich aufmerksam gemacht.

Um zu testen, ob aus der Flöte überhaupt laute Töne herauszuholen waren, stellte der Nordstrander Töpfermeister Falk Petersen nun ein Dublikat des Instrumentes aus gebranntem Ton her. „Sie klingt relativ leise. Aber im Nebel und im Watt ist das natürlich anders„, wird Mertens zitiert.

Dr. Sven-Hinrich Siemers vom Nordsee-Museum meint: Die Flöte ähnelt den Instrumenten, die Menschen schon vor 12 000 Jahren verwendet haben. Sie wurde möglicherweise nicht zum Musizieren, sondern als Signal- oder Lockflöte eingesetzt.

Der graue Ton spreche dafür, dass sie heimischen Ursprungs ist. Dr. Siemers: „Sie ist ein einzigartiger Fund. Es gibt bundesweit nicht viele so gut erhaltene Flöten aus dem 14. Jahrhundert.

Der Kieler Geologe Professor Dr. Jürgen Newig fand in dem Buch von Rudolf Muuss „Rungholt – Ruinen unter der Friesenhallig“ aus dem Jahr 1927 eine Fotografie besagter Flöte. „Also konnte der englische Pilot sie nicht 17 Jahre später gefunden haben“.

Das Motiv des geretteten englischen Fliegers aus dem nordfriesischen Watt und die Flöte, griff übrigens Alfred Andersch (1914–1980), einer der namhaften deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit, in seiner Erzählung „Diana mit Flötenspieler“ auf. Die Geschichte ist jedoch ein Produkt der Phantasie, zumindest was die Okarina betrifft.

Die Gräfin: Gelebter und praktizierter Antifaschismus

Was keine Phantasie ist, ist, das man Gräfin Diana von Reventlow-Criminil heute als eine aktive Antifaschistin bezeichnen kann. Sie hielt nichts von den Nationalsozialisten und bezeichnete diese nach der Überlieferung abwertend als „braune Bagage“(f. ‚üble Gesellschaft, Gesindel, Pack‘ ).

Aus Husum ist die Episode überliefert, dass sie beim Betreten eines Geschäftes mit „Guten Morgen!“ grüßte, ihr aber ein lautes „Heil Hitler!“ entgegenscholl. Sie soll gefragt haben: „Was hat der damit zu tun?“ (Quelle)

Und sie war aktiv: Den Maler Gustav Mennicke (*1899 -1988†) lud sie bereits 1932 zu sich ein. Er fühlte sich auf Südfall und Nordstrand frei und sicher vor der sich abzeichnenden Kunstdiktatur der Nationalsozialisten.  

Diana von Reventlow-Criminil starb 5. August 1953, wenige Monate nach ihrem auf Südfall groß gefeierten 90. Geburtstag. Der Leichnam wurde auf einem von vier Pferden gezogenen Wagen durch das Watt gefahren. Ihr Grab liegt in der Emkendorfer Pfarrkirche in Westensee. 

Im Nachruf ihrer Bediensteten auf der Hallig hieß es: „Jahrzehntelang war sie uns allen eine stets hilfsbereite Arbeitgeberin und mütterliche Freundin. (…) Und wie den Menschen ihrer näheren und weiteren Umgebung galt ihre Fürsorge auch allen Tieren. (…) Ihr Andenken wird nie erlöschen.“ (Quelle)

Ihre Erben verkauften Südfall 1954 an das Land Schleswig-Holstein; die Hallig wird seit 1957 vom Verein Jordsand als Naturschutzgebiet betreut und ist heute Bestandteil des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer.

Beitragsbild: Eine Person im Wattenmeer; Symbol

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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