TV-Tipp: „Displaced – verschoben, verdrängt, vertrieben“ – Rekonstruktion einer Familiengeschichte 

Regisseurin Sharon Ryba-Kahn ist in Deutschland geboren, sie gehört zur dritten Generation von Shoah-Überlebenden. In „Displaced“ rekonstruiert sie ihre eigene Familiengeschichte und setzt sich gleichzeitig mit ihrer persönlichen Beziehung zu Deutschland auseinander. Die Dokumentation, die bereits im ZDF lief, kann noch bis zum 06.12.2022 in der ZDF-Mediathek angeschaut werden.

Ich wünsche mir einen anderen Umgang mit der eigenen Geschichte und dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft sieht, dass die Schoah sie genauso betrifft wie Jüdinnen und Juden.“ Zitat Sharon Ryba-Kahn. Mit den Augen der dritten Generation nach der Shoah blickt die in München geborene Filmemacherin Sharon Ryba-Kahn auf sich selbst, auf ihre Familie und ihr deutsches Umfeld. Der Blick in ihre Familiengeschichte führt Sharon dazu, sich mit ihrem eigenen Leben auseinanderzusetzen und die Frage nach dem Umgang mit der Vergangenheit an ihr nicht-jüdisches Umfeld zu stellen.

Die Suche zeigt langsam die Kluft zwischen beiden Welten. Sharon Ryba-Kahn artikuliert in diesem Film das, was sie lange nur gedacht und gefühlt hat. Gleichzeitig bezieht sie ihre deutschen nicht-jüdischen Freunde in die Gespräche mit ein und stellt fest, dass der Wunsch danach, die Vergangenheit ruhen zu lassen, vor allem das Privileg der Tätergesellschaft ist.

Statement von Sharon Ryba-Kahn (Buch und Regie)

Mein Wunsch war es in dem Film „Displaced“ mich meiner Beziehung zu Deutschland zu stellen. Die Familiengeschichte meines Vaters gab mir den Rahmen dafür. Der Film wurde für mich zu einer Chance und Möglichkeit, in die Tiefe zu schauen, sowohl was die Familie meines Vaters betrifft als auch die Biografie seiner Generation.

Alle Themen sind miteinander verknüpft und der Film ist ein Spiegel meines Inneren. Ein Spiegel einer jüdischen Frau, in der diese verschiedenen Geschichten aufeinandertreffen – Deutschland und die Shoah ist der Leitfaden meiner Geschichte. Ich wollte nicht weiter hier leben, ohne mich diesen Gefühlen gestellt zu haben.

Der Film ist ein Versuch, etwas schwer Greifbares, schwer Erklärbares im Film spürbar und erlebbar zu machen. Es war und ist traurig und auch hart, nach so vielen Jahren erkennen zu müssen,

wie wenig die jüdische Perspektive wirklich in der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland verstanden wird beziehungsweise, dass die beiden Welten immer noch nicht miteinander sprechen.

Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass viele in der nicht-jüdischen deutschen Mehrheitsgesellschaft sich unwohl oder gar angegriffen fühlen, wenn es um ihre Beziehung zu jüdischen Themen geht und natürlich umso mehr, wenn es um die Shoah geht.

Wenn man mich fragen würde: Was möchtest du gerne mit dem Film erreichen, dann würde ich antworten: Selbstreflexion. Ich wünsche mir einen anderen Umgang mit der eigenen Geschichte und dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft sieht, dass die Schoah sie genauso betrifft wie Jüdinnen und Juden.

Wenn ich von deutscher Mehrheitsgesellschaft rede, dann spreche ich die Menschen an, die sich mit der Geschichte dieses Landes identifizieren und dazugehörig fühlen. Das Gefühl der gemeinsamen Verantwortung ist mir wichtig, der Respekt und das Mitgefühl für die Opfer und Überlebenden sowie die Gestaltung unserer Zukunft.

Der Film ist ein Versuch, etwas zu zeigen, was gesehen und gehört werden möchte und von dem ich denke, dass es eben noch nicht klar und laut genug gesagt wurde. Es geht darum, etwas zuzulassen, zu spüren, was sich mit einem Denkmalbau oder mit einem reinen intellektuellen Ansatz nicht lösen lässt.

Obwohl ich in diesem Kontext von Deutschland spreche, betrifft das, was ich sage, nicht nur die ehemaligen Täterländer, sondern auch den Rest von Europa, wenn nicht sogar die ganze Welt.

Über Sharon Ryba-Kahn

Regisseurin Sharon Ryba-Kahn raucht eine Zigarette. Bildrechte:  ZDF / Omri Aloni

Die franko-israelische Regisseurin Sharon Ryba-Kahn wurde in München geboren. 1997 zog die Familie nach Jerusalem. Vier Jahre später schloss Sharon Ryba-Kahn mit dem Abitur ab, ging nach Paris und studierte dort Schauspiel. Anschließend setzte sie dieses Studium in New York am New Actors Workshop unter der Leitung von Mike Nichols (1931-2014) fort.

Danach beschloss sie, Filmproduktion an der New York Film Academy als zusätzliche Qualifikation zu studieren. 2007 zog sie nach Berlin und arbeitete dort als Casting Direktorin, Regieassistentin und Sprecherin. Ihr Regiedebüt feierte sie 2015 mit „Recognition“ (86 Min.), das auf über 15 internationalen Filmfestivals lief .

Angespornt von diesem Erfolg begann sie ein Studium an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf im Lehrgang Dokumentarfilmregie. Ihr Abschlussfilm „Displaced” feierte im Mai 2020 seine internationale Premiere auf dem DOK.fest München.

Der Film wurde nominiert für den First Steps Award und läuft weiterhin auf Festivals. Zurzeit arbeitet Sharon an einer künstlerisch-wissenschaftlichen Dissertation an der Filmuniversität Babelsberg und ist ELES Research Fellow (Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk).

Zudem arbeitet sie an ihrem abendfüllenden Dokumentarfilm LOVE TILL 120, eine israelisch-deutsche Koproduktion, für die sie ein Stipendium der Stiftung „Zurückgeben“ erhielt.

Der Film kann bis zum 06.12.2022 in der ZDF-Mediathek angeschaut werden, in Deutschland, Österreich, Schweiz (hier klicken).

Buchempfehlungen:

Kriegsenkel: Die Erben der vergessenen Generation Taschenbuch – 15. August 2013  von  Sabine Bode (Link)

Seelische Trümmer: Geboren in den 50er- und 60er-Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas. Mit einem Nachwort von Anna Gamma (Link)

Beitragsbild: Regisseurin Sharon Ryba-Kahn vor dem ehemaligen Geschäft ihrer Großeltern in der Münchener Innenstadt. Bildrechte:  ZDF / Omri Aloni

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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