Sagen und Legenden in Schleswig-Holstein: Seufzende Seelen am Kleinen Kuhberg in Kiel

Über das Land zwischen Nord- und Ostsee ranken sich zahlreiche Sagen und Legenden. Besonders die Halligen, Inseln, Seeleute -und nicht zuletzt das Meer- bieten Stoff für zahlreiche Geschichten, die bis heute jedes Kind in Schleswig-Holstein kennt. Wer erinnert sich noch an seufzende Seelen am Kleinen Kuhberg? Hier die ganze Geschichte

Der Kleine Kuhberg ist eine Straße des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gängeviertels (1) in der Kieler Vorstadt (siehe Foto). Er gehört zu den wenigen Straßen des Gängeviertels, die mit einer neuen Bebauung heute noch existieren. Laut einer Kieler Sage war der Kleine Kuhberg einst ein Kalvarienberg mit einer Kapelle.

Bevor wir auf die Sage zu sprechen kommen, sei zunächst etwas über die Geschichte des Kleinen Kuhbergs in Kiel erzählt. Dieser wurde erstmals 1574 im Kieler Denkelbok (Kieler Stadtbücher, Archiv) unter der Bezeichnung „uf dem Koeberge“ erwähnt.

Die offizielle Benennung der Straße in Kleiner Kuhberg wird für 1730 vermerkt, 1799 wird die Straße erstmals im „Taschenbuch für die Einwohner der Stadt Kiel“ erwähnt. (2)

Der Kleine Kuhberg wurde in der üblichen Lesart nach einem Weidelandhügel benannt. Der Name muss sich jedoch nicht zwingend auf eine Kuhweide beziehen, sondern kann nach einer Vermutung von Kiels früherer Stadtarchivarin Hedwig Sievert auch „Berg an der Grenze“ bedeuten, nämlich zwischen den städtischen Besitzungen in der Vorstadt und denen des Landesherrn auf dem späteren Damperhof.

Kieler Sage

Eine Kieler Sage erzählt, dass der Kleine Kuhberg einst ein Kalvarienberg (3) mit einer Kapelle war. Laut Friedrich Volbehr (1819 –  1888, Kieler Historiker und Zeitungsredakteur) teilt Asmus Bremer (1652 – 1720, ehem. Bürgermeister von Kiel) mit, daß 1493 die Gemeinde der St. Nikolaikirche die Kapelle erbaut hatten, vielleicht ein Neubau einer älteren Kapelle. Gustav Friedrich Meyer (Gustav Friedrich Meyer (1878 – 1945, Volkskundler und Heimatforscher) berichtet:

Die Leute erzählten sich, dass eine Kalvarienkapelle dort stand, wo später der Waisenhof des Rates Muhlius (4) gebaut wurde. Nachts gingen dort Seelen umher, um Ruhe und Frieden zu finden. 

Wer Ohren hatte, hörte Chorgesänge und wer Augen hatte, sah die feierliche Prozession der Seelen, mal klagend, mal frohlockend, mal lauter, mal leiser. Die Messknaben mit ihren rauschenden Gewändern schritten zum Betaltar und knieten klagend nieder.

Nach dem Gebet verschwanden die Seelen wieder, aber oft waren noch immer die flüsternden Gebete und das qualvolle Seufzen zu hören, das nicht verstummen wollte.

Quelle Nacherzählt nach Gustav Friedrich Meyer: Schleswig-Holsteiner Sagen, Jena 1929. Siehe Broder-M. Ketelsen, Kieler Sagen, Verlag Michael Jung Kiel 1991, S. 25 f.

Quellen / Weiterführende Informationen

(1) Das Gängeviertel war ein Stadtviertel in der Vorstadt und lag im Bereich zwischen Walkerdamm und Kleinem Kuhberg.
Es bestand aus einer Vielzahl von eng bebauten Gassen. Diese Gänge waren in Kiel wie in vielen norddeutschen Städten insbesondere in den Armenvierteln zu finden.

(2)  Hans-G. Hilscher: Kieler Straßenlexikon. Fortgeführt nach 2005 durch Dietrich Bleihöfer, ab 2022 durch Frank Mönig, Amt für Bauordnung, Vermessung und Geoinformation der Landeshauptstadt Kiel, Stand: Januar 2021.

Kleiner_Kuhberg_ (Vorstadt)
1574 Im Kieler Denkelbok wird am 21.Mai 1574 unter Nr.
196 erstmals die Bebauung „uf dem Koeberge“ er-
wähnt. (MKStG 24/S.162)
1730 Kleiner Kuhberg Hom.
1799 Die Straße ist erstmals aufgeführt im „Taschenbuch
für die Einwohner der Stadt Kiel“ (Pflegebez.) S.31
1898 Vorschlag zur Umbenennung in „Bürgerstraße“.
Vorschlag wird ausgesetzt.
StC.16.12.1898/18(StA. 7004. 2)
Verlauf :-
1730 von der Vorstadt an
1793 Vorstadt – Exerzierplatz
1799 Schevenbrücke – Exerzierplatz
Weidelandhügel der alten Flur Kuhstede in der ehemali-
gen Kieler Vorstadt.
(Quelle: pdf-Datei, ca. 1,5 MB)

(3) Man erzählte sich, dass eine Kalvarienkapelle da stand, wo später der Waisenhof des Rates Muhlius gebaut wurde. Nachts gingen dort Seelen umher, um Ruhe und Frieden zu finden. Wer Ohren hatte, hörte Chorgesänge und wer Augen hatte, sah die feierliche Prozession der Seelen, mal klagend, mal frohlockend, mal lauter, mal leiser.

Die Messknaben mit ihren rauschenden Gewändern schritten zum Betaltar und knieten klagend nieder. Nach dem Gebet verschwanden die Seelen wieder, aber oft hörte man noch die flüsternden Gebete und das qualvolle Seufzen, das nicht verstummen wollte.

(4) Hierzu gibt es auch eine Sage: „Alle Abend um elf Uhr sieht man eine große schwarze Kutsche mit vier schwarzen Hengsten bespannt über den Waisenhof in Kiel fahren und bei dem Waisenhause halten.

Darin sitzt der Geheime Rat Muhlius in voller Uniform mit Orden und Ordensband ernst und schweigend, und bei ihm sieht man zwei Waisenknaben in der ursprüngliche Tracht der ersten Zöglinge.

Er steigt aus und geht geräuschlos in sein altes, ihm wohlbekanntes Haus, durchwandert alle Zimmer, hier und da unzufrieden das Haupt schüttelnd, da und dort wohlgefällig nickend.

Zuletzt betritt er die beiden Säle, wo die Waisenkinder schlafen. Dort neigt er sich schlafenden Kind, horcht auf dem Atem, blickt einige Augenblicke seine Lieblinge forschend an, faltet danach die Hände des und schaut mit heiligem Ernst auf zum nächtlichen Himmel.

Ohne Geräusch entfernt er sich wieder und steigt seufzend in die Kutsche, die dann schnell über den Hofplatz rollt und verschwindet. Niemand hatte den Rat gesehen oder gehört, aber wenn die Oberin die Kinder am Morgen wecken wollte, dann sah sie die friedlich gefaltet Hände der Kinder und wusste: der gute Geist des Hauses war zugegen gewesen.“ Quelle:  Nacherzählt nach Gustav Friedrich Meyer: Schleswig-Holsteiner Sagen, Jena 1929. Siehe Ulf Diederichs, Christa Hinze (Hrsg.), Norddeutsche Sagen Düsseldorf/Köln 1977, S.65; Broder-M. Ketelsen, Kieler Sagen, Verlag Michael Jung Kiel 1991, S. 24 f.

Beitragsbild: Luftbilder Kiel Blick auf die Vorstadt nach Südwesten mit Rathaus (rechts). 09.1944. Das Foto stammt aus dem Bestand des Stadtarchivs Kiel. Fotograf: Unbekannt. Urheberrechte: CC BY-SA 3.0

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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