Flensburg: Stolperstein Neue Straße 3

Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Nach dem Motto: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist!“ will Gunter Demnig die Erinnerung an das Schicksal von Menschen wach halten, die von den Nazis ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Selbstmord getrieben wurden. Er will den verfolgten und ermordeten jüdischen Menschen, den Sinti und Roma, den Zeugen Jehovas, den Homosexuellen und Euthanasieopfern sowie den politisch Verfolgten, die in den Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihren Namen und ihre Identität wiedergeben und darüber hinaus darauf hinweisen, dass deren Verfolgung und Deportation mitten in der Gesellschaft stattfand.

Insgesamt wurden in Flensburg bisher 30 Stolpersteine (Stand: August 2022) verlegt, 20 erinnern an jüdische Opfer, 10 an Homosexuelle, Euthanasieopfer und politisch Verfolgte. Am 28.02.2022 wurde vor dem Hause Neue Straße 3 ein Stolperstein für Wilhelm Ringgaard in den Bürgersteig eingelassen – er war ein Widerstandskämpfer.

Auf dem Stolperstein steht:

„Hier wohnte
Wilhelm Ringgaard
Jg. 1903
Im Widerstand / KPD
Verhaftet 1935
Vorbereitung Hochverrat
Zuchthaus
1943 Strafbataillon (1) 999
Tod 11.1.1945 Kroatien“

Über die Person ist Folgendes bekannt: Wilhelm Heinrich Peter Ringgaard (kurz: Wilhelm Ringgaard) gehörte als Jugendlicher der unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an. Die USPD war eine sozialistische Partei im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Von Sozialdemokraten in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges gegründet, war sie eine Abspaltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Im Jahre 1930 trat Ringaard in Flensburg dem Arbeiterschachklub  (DAS) bei. Dessen Mitglieder waren teils Sozialdemokraten, teils Kommunisten, die ihn in die kommunistische Gedankenwelt einführten. Der DAS war von 1912 bis 1933 der Dachverband der deutschen Arbeiterschachvereine. Er hatte zeitweise mehr als 10.000 Mitglieder und konnte hinsichtlich seiner Größe mit dem „bürgerlichen“ Deutschen Schachbund konkurrieren.

Ringaard wurde zunächst Arbeiterkorrespondent und später, nachdem er im Januar 1932 in die KPD (2) eingetreten war, Berichterstatter für die kommunistische „Norddeutsche Zeitung“.

Im April 1932 wurde er Betriebsobmann im Unterbezirk Flensburg und später Orgleiter. Im Herbst 1932 machten sich Zersetzungserscheinungen im Unterbezirk bemerkbar und Ringaard wurde am 6. Januar 1933, obwohl er seine Unschuld beteuerte, als angeblicher Polizeispitzel aus der Partei ausgeschlossen. Später wurde er jedoch rehabilitiert.

In Flensburg hat nach der Machtergreifung durch die NSDAP die KPD illegal fortbestanden. Ringgaard war beteiligt daran, nach dem Umbruch die KPD neu zusammenzufassen, die Verbindung mit der illegalen deutschen KPD in Dänemark aufzunehmen und die Lieferung von illegalen Schriftenmaterial über die Grenze nach Deutschland einzuführen.

Nach seiner Festnahme Ende 1935 und Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Kiel wurde Ringgaard vom Berliner Kammergericht beim Prozeß in Kiel am 29. September 1936 wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Nach Verbüßung seiner Haft wurde Ringgaard dem Bewährungsbataillon 999 (3) überstellt und in Kroatien eingesetzt. Er hat nicht überlebt. Am 11. Januar 1945 stirbt er in Vlasenice (heute: Bosnien-Herzegowina).

Wilhelm Heinrich Peter Ringgaard, geboren am 8. März.1903 in Flensburg, wohnhaft hier in Flensburg, Neue Straße 3, Foto: (c) Willi Schewski

(1) Bewährungsbataillone, umgangssprachlich auch Strafbataillone, waren während des Zweiten Weltkrieges Einheiten der Wehrmacht im Heer, in die ab 1941 verurteilte Soldaten aller drei Teilstreitkräfte zur Frontbewährung versetzt wurden. 

(2) Die Kommunistische Partei Deutschlands (DKP) war eine sozialistische Partei im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Von Sozialdemokraten in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges gegründet, war sie eine Abspaltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Die DKP hatte das Ziel, eine Diktatur des Proletariats zu errichten (gegründet 1919). Sie wurde in den 1920er-Jahren zur Massenpartei der Weimarer Republik. Mehrere Versuche (z. B. Berlin 1919, Ruhrgebiet 1920, Hamburg 1923) der gewaltsamen Machtübernahme bzw. zur Errichtung einer Räterepublik (z. B. München 1919) scheiterten. Seit 1925 Übernahme von Theorie und Praxis des Bolschewismus; zum Hauptgegner wurde fortan die (als »Sozialfaschisten« diffamierte) Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Auch aufgrund der Weltwirtschaftskrise wuchs die KPD zur drittstärksten Partei, sie wurde 1933 verboten und ihre Mitglieder verfolgt. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die Beteiligung an ausländischen Bürgerkriegen (z. B. ESP) und die sog. Säuberungen Stalins unter den deutschen Exilanten in der Sowjetunion (UdSSR) forderten unzählige Opfer.

(3) Die Strafdivision 999 war ein im Oktober 1942 aufgestellter Sonderverband des Heeres der deutschen Wehrmacht. Sie gehörte zu einem Gesamtsystem von Bewährungseinheiten, das den Militärstrafvollzug in den Dienst der Kriegsführung stellte. Die bisher vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossenen politisch oder als Straftäter „bedingt Wehrunwürdigen“ sollten zum Dienst herangezogen werden. „Wehrunwürdig“ war jeder, der zu einer Zuchthausstrafe verurteilt und nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte war oder dem durch militärgerichtliches Urteil die Wehrwürdigkeit entzogen war. Mit Verfügung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) vom 2. Oktober 1942 wurde die Wehrunwürdigkeit für die Dauer des Krieges aufgehoben. Von dieser Änderung waren mehrere zehntausend wehrfähige Männer betroffen. Der Verband hatte eine Gesamtstärke von etwa 37.000 Mann, wovon etwa 9.000 zum Stammpersonal gehörten.

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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