Gebäude erzählen Geschichten: Kirche St. Nikolai zu Bordelum 

Wenn Gebäude reden könnten, würden sie die vielfältigsten, buntesten und verrücktesten Geschichten erzählen können. Das Leben spielt sich in den Gebäuden ab, seit Generationen und Epochen. Ob Dramen, Feste oder banaler Alltag, viele der Gebäude wahrten ihr würdiges Gesicht, während im Innern das Leben seine Spuren hinterließ. Die „Bordelumer Rotte“ spielte im Kontext mit der Kirche St. Nikolai eine gewisse Rolle. Erfahren Sie mehr dazu in diesem Beitrag

Wir schreiben das Jahr 1733. Nordfriesland gehört seit 1721 zum dänischen Gesamtstaat. Der Landstrich liegt in Ruhe und Frieden. Überall? Nein! In einem kleinen Dorf, Bordelum nahe Bredstedt versetzen christliche Sektierer und Schwärmer die Umgebung in Aufruhr. Was war geschehen?

Drei Prediger sind in Nordfriesland unterwegs und sie schreiben Geschichte. Sie sind angesteckt durch Ideen des Pietismus, einer protestantischen Frömmigkeitsrichtung. „Wenn man Gottes ist, so braucht man sich an nichts zu binden!“, sagten sich die Männer. Die Drei heißen

  • Franziskus Markus Barsenius (Pastorensohn und abgebrochener Theologiestudent),
  • Peter Lorenzen (ebenfalls Pastorenkind und, wie berichtet wird, “ziemlich exaltiert”) und
  • David Bähr (ehemals Hauslehrer in Bredstedt und – wie auch berichtet wird – “von unerhörtem Leichtsinn und immenser Lasterhaftigkeit”) .

David Bähr, der sich als Messias verehren ließ, war der Kopf des kleinen Kreises von etwa zwanzig Bordelumer. Sie betrachtete sich als „Vollkommene“, die nicht nicht mehr sündigen könnten. Sie bildeten die sogenannte „Bordelumer Rotte“. Ähnlichkeiten bestanden zur sogenannten Buttlarschen Rotte (1).

Was trieben die so?

Pastor Lorenz Haustedt erzählte in seiner ersten Bordelumer Chronik aus dem Jahre 1899 das auch das Ehepaar Johann und Maria Petersen mit zu den Sektierern gehört haben soll. 1739 hätten diese in Flensburg vor einem kirchlichen Konsistorium erzählt:

„Wir gehen nicht mehr zur Kirche, weil sie zu wüst ist. Unsere Versammlungen hingegen bestehen aus lauter Heiligen. Wer den Glauben hat, der hat keine Sünde. Im übrigen ist die Frau nicht an den Mann gebunden und die Güter sind allen gemeinsam.

Einzelne Weiber verließen ihre Männer und in den unter freiem Himmel abgehaltenen Versammlungen fanden oft Scenen statt, welche Anstoß und Aegerniß erregten.“

Manche in der „Bordelumer Rotte“ lebten in wilder Ehe beisammen, es konnte, so berichtet Pastor Lorenz Haustedt , “Gemeinschaft der Weiber und auch der Güter stattfinden”. David Bähr war, was das neue Partnerschaftsverhalten anging, den anderen ein Vorbild: er lebte im “Concubinat” zusammen mit einer gewissen Lucia Lorenzen, später lebte bei ihm auch noch “eine andere Frauensperson”.

Die Art der beschriebenen Lebensformen waren seinerzeit größte Sünde. Es mag heute wie Hohn klingen, gilt doch die Art und Weise der freien Partner-/ innen – Wahl im zivilisiertem Europa grundsätzlich als selbstverständlich. „Abstriche“ müssen wir – im überwiegend liberalen und offenen Europa – bei den Katholiken machen und Teilen der Muslimen, von „freie Partner- / innen Wahl und freier Sexualität kann auch hier grundsätzlich nur eingeschränkt die Rede sein, eine Moral, die dem der Vergangenheit im 16. Jahrhundert im Nichts nahesteht – doch das ist jetzt ein anderes Kaptitel.

Die Unterdrückung und Ausrottung der Bordelumer Rotte

Kommen wir zurück auf das Jahr 1733, in Nordfriesland. Mit dem Mittel zahlreicher Gerichtsverfahren setzte sich die Obrigkeit gegen die “Rotte” zur Wehr. Im Juni 1739 wurde die „Bordelumer Rotte“ offiziell verboten.

Ihr Kopf David Bähr musste in Begleitung verschiedener Frauen fliehen. Es trieb ihn und seinen Clan in viele Ecken. Schließlich wurde er in Glückstadt gefaßt, verurteilt und ins Zuchthaus gebracht.

In der Haft hätte er keine Reue gezeigt und seine Aufenthalt dort wurde verschärft. Seiner zerrütteten Gesundheit wegen wurde Bähr 1743 aus dem Gefängnis entlassen und fand in Bredstedt bei einem Arzt Zuflucht. Nach seiner Entlassung 1743 kehrte er zwar nach Bredstedt zurück, wurde aber von seinen ehemaligen Anhängern nicht aufgenommen und starb bald.

Bährs Rottenmitglied, Peter Lorenzen war bereits 1736 verstorben, wenige Wochen nach seinem Vater, dem Pastor Ägidius Lorenzen. Peter hätte dessen Nachfolger als Pastor in der Kirchengemeinde Bordelum werden sollen.

Nach Bährs Tod schien das Ende der Rotte, wir würden heute sagen, Sekte, besiegelt sein. Doch dem war nicht so, existierte doch die „Bordelumer Rotte“ noch mehrere Jahrzehnte. Sie wurde von Lorenzens Nachfolgern teils geduldet, teils bekämpft (2). Immerhin soll es geringe Spuren der Sekte noch im 19. Jahrhundert in Dörpum gegeben haben.

Weitere Informationen über die Kirche

Evangelische Kirche St. Nikolai zu Bordelum, Innenansicht nach Osten. Aufnahme vom 26.06.2022

Die Bordelumer Kirche, erstellt aus Backsteinen, dürfte ca. 800-900 Jahre alt sein. Sie liegt nicht in der Mitte des Dorfes, sondern etwas außerhalb auf dem Feld. Hier – auf dem Hang des großen Stollbergs – haben wohl schon die friesischen Vorfahren ihre Gottheiten verehrt. 1629 brannte die damals reetgedeckte Kirche aus. Die neue Kirchenausstattung wurde teilweise aus der Kirche von Röhrbeck auf Strand übernommen, die bei der Burchardiflut von 1634 untergegangen war.

Sehenswert ist der Flügelaltar (der aus dem beginnenden 17. Jahrhundert stammt) und der Taufstein. Dieser ist von spätgotisch-friesischer Form und stammt vermutlich aus Rörbeck. Viele Kirchen in der mittelnordfriesischen Gegend haben von solchem „Treibgut“ aus dem Meer profitiert. Aber auch die Rörbecker haben den Stein nicht selbst hergestellt: sie haben ihn sich in Belgien anfertigen lassen (Quelle)

Aber es ist nicht nur die Kirche ein lohnenswerter und geschichtsträchtiger Ausflugs- und Besichtigungstipp: Ebenso die wenige Meter entfernte Bordelumer Heilquelle sollte angeschaut werden – nicht im Stress sondern als Ort der Besinnung, denn die Quelle ist eingebunden in einem Besinnungspfad.

Bezogen auf die Quelle glaubte vor 200 Jahren so mancher, Bordelum könnte so etwas wie das Lourdes des Nordens werden, ein (einträglicher) Wasserkurort, an dem die Lahmen laufen und die Blinden wieder sehen lernen könnten. … mehr zu dieser Geschichte, hier ein ausführlicher Blogbeitrag im selben Theater.

Service: Wie komme ich da hin?

Mit öffentlichen Verkehrsmittel und weiter zu Fuß, schwer zu erreichen, alternativ wäre eine Anreise mit dem Zug bis nach Bredstedt (Strecke Hamburg-Niebüll-Westerland) und weiter mit dem Fahrrad Richtung Niebüll, weiter ab nach Bordelum. Allerdings, die Strecke ist sehr hügelig, also nur für sehr sportliche Reisende oder E-Bike-Fahrer-/ innen geeignet.

Die Anreise mit dem dem PKW ohne Frage die einfachste Lösung. Von Süden kommend: Husum, Bredstedt und dann Schilder Richtung Amrum/Fähre folgend, gleich erste Straße in Ost-Bordelum rechts ab (Kirchenweg) Richtung Kirche (ausgeschildert). Vor der Kirche ausreichend Parkplätze. Die Heilquelle ist in 1 Minute zu Fuß erreichbar. Eine optimale Tour- u. Wegbeschreibung, hier bei Google-Maps

Gute Reise!

Quellen:

(1) Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erregte in Deutschland eine radikale, kommunitär lebende Gruppe großes Aufsehen, deren Gemeinschaftsleben sich durch die Propagierung eines promiskuitiv ausgerichteten und religiös überhöhten Sexualverhaltens auszeichnete. Die Führung dieser Sozietät lag bei einer Frau, der ehemaligen Eisenacher Hofdame Eva Margaretha von Buttlar (1670–1721), die von ihrer Anhängerschaft als „Mutter Eva“ und Gebärerin der wahren Gotteskinder verehrt wurde. Die spiritualistische Gruppe selber, der die Zeitgenossen den Namen „Buttlarsche Rotte“ beilegten, verstand sich als eine Gemeinschaft von Engeln und Heiligen, in der sich die biblischen Verheißungen auf ein Tausendjähriges Reich erfüllten. Quelle

(2) Hans Nicolai Andreas Jensen: Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte: Seit der Reformation. Ergänzt und herausgegeben von Andreas Ludwig Jacob Michelsen. 1879, S. 186–188.

Weitere Quelle: Kirchengemeinde Bordelum

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Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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