Die Sage vom Grönen Keel und dem schwarzen Schwein

Über das Land zwischen Nord- und Ostsee ranken sich zahlreiche Sagen und Legenden. Besonders die Halligen, Inseln, Seeleute -und nicht zuletzt das Meer- bieten Stoff für zahlreiche Geschichten, die bis heute jedes Kind in Schleswig-Holstein kennt.

Auf dem Habermarkte in Flensburg steht ein alter steinerner Brunnen, der die Grönnerkeel* heißt. Sein klares reiches Wasser fällt aus vier Hähnen in ein weites Becken und versorgt einen nicht kleinen Theil der Stadt. Die Flensburger halten den Brunnen in hohen Ehren. Denn in dieser Stadt bringt der Storch die kleinen Kinder nicht, sondern sie werden aus diesem Brunnen aufgefischt. Dann erkälten sich die Frauen hierbei und müssen das Bett hüten.

Allein die Flensburger haben noch mehr Ursache den Brunnen in Acht zu nehmen. Denn weil Flensburg, welches bekanntlich ganz auf Quellgrund steht, aus dem Wasser entstanden ist, muß es einst wieder im Wasser untergehen. So lautet nämlich eine alte Prophezeiung:

Einst an einem Sonntagmorgen, wenn die Leute aus der Kirche kommen, wird ein ungeheures, schwarzes Schwein wild und schnaubend durch die Straßen rennen bis an die Grönnerkeel; da wird es sich vor einen Stein stellen und ihn anfangen aufzuwühlen. Dann ist aber der Untergang der Stadt nahe.

Sobald der Stein gelöst ist, wird ein Wasserstrahl hervorspringen, der bald zu einem großen unaufhaltbaren Strome wächst, der mit reißender Schnelle sich nach allen Seiten hin ergießt und die ganze Stadt in seinen Fluthen begräbt.

Daher geben die Flensburger stets auf das Genaueste Acht darauf, daß kein Schwein auf ihren Straßen wühlt, und vor mehreren Jahren haben sie nur aus dem Grunde den Brunnen mit einem großen Stein bedecken lassen. # Ende der Sage #

Quelle: Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1062-1063.

Sagenhintergrund

Hafermarkt Flensburg

Weil aber auch dies nicht ausreichte, die Angst vor der Prophezeiung wirklich zu mildern, hätten die Flensburger das dort noch heute liegende Straßenpflaster darübergelegt, sodass heutzutage keiner mehr recht weiß, wo die Gröne Keel eigentlich ganz genau beim Hafermarkt liegt.

Die Sage verknüpft das Motiv einer Quellsage mit dem Versinken einer Stadt (1). Flensburg war schon früher (2) für seine zahlreichen Quellen bekannt, aus denen klares und gutes Trinkwasser entsprang. (3) So standen auf der Straße zwischen dem Hafermarkt und Südermarkt sowie von dort weiter zum Nordermarkt, in fast gleichem Abstand, ungefähr 30 mannshohe Brunnen. (4).

Der Wasserreichtum Flensburgs wird somit in der Sage aufgegriffen. So heißt es auch in einer alten Erläuterung zur Sage: Denn weil Flensburg aus dem Wasser entstanden ist, muß es einst wieder im Wasser untergehen. […] Die Stadt steht bekanntlich ganz auf Quellgrund. (5.; 6.) Mit dem schwarzen Schwein könnte ein Wildschwein oder ein schwarzfarbenes Angler Sattelschwein gemeint sein.

Die Sage vom Brunnen Gröne Keel (auch: Grönne Keel und Grönnerkeel geschrieben) und dem schwarzen Schwein wird ab und an gerne mal wieder publiziert und gerät so nicht in Vergessenheit. (7.; 8.; 9.)

Auch wird bei lokalpolitischen Kommentaren hinsichtlich Flensburgs hin und wieder auf die Sage verwiesen. (10) Dennoch (11) fand ein 2011 entdecktes herrenloses schwarzes Hängebauchschweinchen, das in Adelbylund herumlief, dort unweit des Hafermarktes, ohne Bedenken ein liebevolles neues Zuhause. (12)

Im Kriminalroman „Küss mich, Schatz!“ von Tatjana Kruse findet das Schwarze Schwein ebenfalls seine Erwähnung. Es wird dort mit der tatsächlich existierenden Darstellung eines kleinen flötenden Schweinchens in der Johanniskirche in Verbindung gebracht, das jedoch nicht schwarz gefärbt ist. (13)

Quellen

(1) Schriften der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte (Hrsg.): Flensburg in Geschichte und Gegenwart. Flensburg 1972, Seite 282.

(2) Der genaue Ursprung ist nicht erforscht. Richard Wossidlo vermutete, dass Slawen im Flensburger Raum gelebt haben könnten und dass die Sage slawischen Ursprungs wäre. (Er verwies auf einen Bericht des Thietmar von Merseburg der berichtete, dass zur slawischen Tempelburg Rethra geweissagt wurde, dass ein Eber aus dem See steigen würde, was als Vorzeichen eines Krieges gedeutet worden wäre, sowie auf die erwähnte Annahme, dass in Schleswig Slaven gewohnt haben könnten.).

(2) Vgl. beispielsweise: Alte Sagen in unserer Stadt. De gröne Keel. In: MoinMoin, Ausgabe Nr. 9, Juli/August 1978.

(3) Andreas Oeding, Broder Schwensen, Michael Sturm: Flexikon. 725 Aha-Erlebnisse aus Flensburg! Artikel: Quellen.

(4) Beiheft zum Flensburg-Atlas, Flensburg 1986, Seite 18.

(5) Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, Seite 105 f.

(6) Vgl. Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2. Band 2, Glogau 1868/71, Seite 1063.

(7) Flensburger Straßennamen. Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, Flensburg 2005, ISBN 3-925856-50-1, Artikel: Hafermarkt.

(8) Andreas Oeding, Broder Schwensen, Michael Sturm: Flexikon. 725 Aha-Erlebnisse aus Flensburg! Flensburg 2009, Artikel: Grönner Keel.

(9) Schriften der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte (Hrsg.): Flensburg in Geschichte und Gegenwart. Flensburg 1972, Seite 273

(10) Vgl. beispielsweise: Gunnar Dommasch und Antje Walther: Fördeschnack. Das schwarze Schwein. In: Flensburger Tageblatt. 24. Mai 2014, Seite 10.

(11) Also trotz der abergläubischen Sage; Vgl. Bernhard Kummer: Wildschwein. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. 

(12) Gunnar Dommasch: Specki aus Adelbylund – Ein schweinischer Herzensbrecher. In: Flensburger Tageblatt. 19. Oktober 2011

(13) . Die St. Johannis Kirche – Die Stadt Flensburg – und die St. Knudsgilde.

* Eine Übersetzung des Namens Gröne Keel wurde mit der Sage zusammen nicht überliefert und der Name wird gewöhnlich nicht ins Hochdeutsche übersetzt. Grön könnte lautmalerisch„grölen“, „dröhnen“, „donnern“, „raunen“ oder „sprudeln und gluckern“ bedeuten. Naheliegender ist die niederdeutsche Übersetzung „grün“. (Es existiert die Vermutung dass der Brunnenkasten des Brunnens grün gestrichen war.) Das Wort Keel hat zwar offensichtliche Ähnlichkeit mit dem Wort „Kerl“, es wird jedoch heute mit dem dänischen Wort kilde (ausgesprochen: kille) und dem deutschen Wort Quell in Zusammenhang gebracht und so mit „Quelle“ übersetzt. Eine weniger naheliegende Übersetzung wäre also Grölender Kerl, naheliegender ist die gebräuchlichere Übersetzung Grüne Quelle, wobei der Name möglicherweise auch etwas völlig anderes bedeuten könnte.
Vgl. Die Welt: Was sagt der Name Grönemeyer und Maffay? und Rheinisches Wörterbuch: Grön-länder und Rheinisches Wörterbuch: gronen, sowie: Günter Harte und Johanna Harte: Hochdeutsch-plattdeutsches Wörterbuch. Bremen 1997, Artikel: grün
Vgl. auch: Helge Noe-Nygaard: Sydslesvigske sagn. København 1958 und Duden, Artikel: Quell, der
und beispielsweise Das Schwarze Netz, Flensburg, sowie: Gunnar Dommasch und Antje Walther: Fördeschnack, Das schwarze Schwein. In: Flensburger Tageblatt vom 24. Mai 2014, Seite 10

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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