ZDF-History: Auf der Flucht – Geschichten von Hoffnung und Verzweiflung

ZDF-History (englisch für ZDF-Geschichte) ist eine wöchentliche Fernsehsendung, die seit dem 29. Oktober 2000 am späten Sonntagabend im ZDF ausgestrahlt wird. Schwerpunkte der Sendung sind Zeitgeschichte und Geschichte. In der aktuellen Sendung geht es u.a. um das Massaker von Neustadt i. Holstein sowie d. Kindheits- & Fluchtgeschichte einer bekannten Schauspielerin, die sie von Danzig nach Dänemark führte

Millionen fliehen aus der Ukraine. Flucht und Vertreibung sind ein Jahrhundertthema, die Bilder gleichen sich. Ein junger Syrer, der weiß, was Flucht bedeutet, geht auf Spurensuche. In der Sendung kommen auch die Fluchtpunkte in Dänemark und Neustadt a. d. Ostsee zur Sprache. Besonders in Neustadt ereigneten sich tragische wie mörderische Geschehnisse.

Das Massaker von Neustadt

In Neustadt wurden am 3. Mai 1945 das ehemalige Fahrgastschiff Cap Arcona und die kleinere Thielbek mit Häftlingen des KZ Neuengamme von alliierten Flugzeugen versenkt, eine der drei schwersten Katastrophen der Seefahrt in der Geschichte. Die Bewohner der Stadt selbst spielten in diesem Zusammenhang eine unrühmliche Rolle (wie auch der Lokalhistoriker Wilhelm Lange in der Sendung History berichtet):

Häftlinge aus dem KZ Stutthof bei Danzig, die die SS mit Lastkähnen über die Ostsee transportieren ließ, sollten ursprünglich ebenfalls auf die Cap Arcona verschifft werden, wurden jedoch wegen Überfüllung des Schiffs abgewiesen.

Angesichts der militärischen Lage und des Vorrückens britischer Vorauskommandos verließen die SS-Wachmannschaften die Lastkähne. Die Schiffe trieben ans Ufer, wo sich die Häftlinge am frühen Morgen des 3. Mai auf die Suche nach Nahrungsmitteln im Raum Neustadt machten.

300 Häftlinge erschossen

Aufgeschreckte Neustädter Bürger, Angehörige der Kriegsmarine sowie einer Versehrteneinheit und des Volkssturms trieben daraufhin in der sogenannten „Sammelaktion“ die Häftlinge zusammen und erschossen fast 300 von ihnen, darunter Frauen und Kinder.

O-Ton in der ZDF-Sendung: „Von den Mördern wird keiner belangt“.

Die Übrigen wurden auf das Schiff Athen gebracht, das am Marinehafenkai lag, wo etliche von ihnen den Luftangriffen zum Opfer fielen.

Neustadt zur Plünderung frei gegeben

Der britische Stadtkommandant gab nach Kenntnisnahme des Massakers Neustadt zur Plünderung frei – wohl auch, um auf diese Weise die Versorgung der überlebenden Häftlinge der Cap Arcona, der Athen und anderer Schiffe nicht selber organisieren zu müssen.

Dänemark

In der Sendung wird die Flucht der späteren bekannten Schauspielerin Ingrid van Bergen geschildert. Ingrid wird am 15. Juni 1931 in Danzig-Langfuhr (Freie Stadt Danzig) als zweites von vier Kindern des Dorfschullehrers Fritz van Bergen und dessen Ehefrau Ella geboren. Ihre Kindheit verbrachte van Bergen in Frankenau, Masuren, Ostpreußen. (Quelle)

Sie besuchte aber öfter die Großeltern in Danzig. Der Vater wurde zum Krieg eingezogen, er fiel am 22. Juni 1941, dem ersten Tag des Unternehmens Barbarossa. Die Familie zog danach zu den Großeltern nach Zoppot, einem Vorort Danzigs.

Van Bergens Mutter floh nach den sowjetischen Luftangriffen auf Danzig gegen Ende des Zweiten Weltkrieges mit den vier Kindern: zunächst durch Oliva und Langfuhr, dann mit einem kleinen Schiff über die Weichsel in die Danziger Bucht und schließlich mit dem Schiff Moltkefels, die sie und 2000 weitere Menschen über die Ostsee nach Rostock, Lübeck oder Hamburg bringen sollte.

Ein Angriff sowjetischer Bomber vor der Halbinsel Hela (eine 34 Kilometer lange Landzunge in der polnischen Woiwodschaft Pommern) beschädigte und versenkte schließlich das Schiff, etwa 500 Menschen starben. Die Familie wurde mit einem Beiboot auf die Halbinsel gerettet.

Ingrid wird als Kind vergewaltigt

Dort wurde sie nach eigenen Angaben als damals 13-Jährige von einem russischen Soldaten vergewaltigt, ein traumatisches Erlebnis, von dem sie ihrer Mutter nie erzählte.

Die Mutter entschloss sich ein weiteres Mal zu einem Fluchtversuch mit dem Schiff, diesmal mit dem Ziel Kopenhagen, weil die deutschen Häfen wegen havarierter Schiffe blockiert waren (Quelle1, Quelle2). Van Bergen schilderte diese Situation: „Ich glaube, wir hatten überhaupt keine Angst mehr. Wir waren ganz fatalistisch …

Sie erlebte das Kriegsende am 8. Mai 1945 in einem Auffanglager in Skagen (die nördlichste Stadt Dänemarks), das an diesem Tag von den Dänen übernommen wurde. Nach der Befreiung Dänemarks am 5. Mai 1945 kündigte das Alliierte Oberkommando an, dass die deutschen Flüchtlinge aufgrund des Chaos in Deutschland vorerst in Dänemark bleiben würden.

In Dänemark sollen zwischen 1945 und 1949 bis zu 238.000 Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten untergekommen sein. 17.209 Flüchtlinge starben in den dänischen Flüchtlingslagern, davon alleine 7.000 bis 8.000 Kinder.

Die Verstorbenen wurden ursprünglich auf 475 Friedhöfen verteilt. Nach dem deutsch-dänischen Kriegsgräberabkommen vom 3. Oktober 1962 wurden die Toten vom Volksbund der Deutschen Kriegsgräberfürsorge in 34 Grabstätten umgebettet.

5444 Flüchtlinge finden ihre letzte Ruhe auf dem Vestre-Friedhof in Kopenhagen, in Aalborg 1096, in Aarhus 586, in Esbjerg 1154, in Frederikshavn 1224 und in Gedhus 1185 Flüchtlinge.

Flüchtlingslager Oksbøl

In der Sendung wird das stacheldrahtbewehrte Barackenlager Oksbøl nahe der dänischen Nordseeküste und der Städte Varde und Esbjerg gezeigt. Das Lager Oksbøl, dass von 1945 bis 1949 bestand, ist heute ein Flüchtlingsmuseum.

Es war des größte Flüchtlingslager Dänemarks und bildete mit den 35.000 deutschen Flüchtlingen fünf Jahre lang die fünftgrößte Stadt Dänemarks. (Quelle)

In dem Lager wurde auch gestorben: Auf dem Flüchtlings-Friedhof liegen 1.675 Flüchtling, die im Lager starben sowie 121 Soldaten.

Die dänische Behandlung der Flüchtlinge

Bei der Beurteilung der dänischen Behandlung der deutschen Flüchtlinge gibt es zwei sehr unterschiedliche Ansichten. Die Ärztin Kirsten Lylloff behauptete 1999, die dänischen Ärzte und die dänische Bevölkerung hätten die Flüchtlinge sehr schlecht behandelt. (Quelle: shz) Die extrem hohe Kindersterblichkeit im Jahr 1945 hätte laut Lylloff aus der Haltung der Dänen und der dänischen Behörden im Bezug auf die Deutschen resultiert. (Quelle: SPIEGEL)

Später wurde ihre Aussage in dem Buch Svend Bach Über die deutschen Flüchtlinge in Dänemark 1945 – 1949“ konterkariert.

Die zweite Position basiert auf dem White Paper der Flüchtlingsverwaltung und der Dissertation von Henrik Havrehed aus dem Jahr 1987. Diese Position versucht das Thema im Lichte der zeitgenössischen Einstellungen zu Deutschland und den Deutschen zu betrachten.

Es wird dafür kritisiert, dass es die Bedingungen der Flüchtlinge „romantisiert“, die Augen vor den harten Fakten verschließt und die Dänen besser macht, als sie wirklich waren.

Beide Einstellungen stimmen jedoch darin überein, dass sich die Behandlung der Flüchtlinge verbesserte als die Behörden die Kontrolle über die Situation erlangten und der Krieg ein wenig in die Ferne rückte. Sie sind jedoch relativ scharf und nicht miteinander vereinbar. Die Diskussion flammt von Zeit zu Zeit auf – beide Parteien können Erklärungen und Zahlen vorlegen, die ihre eigene Behauptung stützen. (Quelle: Deutsche Weltkriegsflüchtlinge: Gestrandet in Dänemark)

Die Van Bergens mussten drei Jahre in dem Lager in Skagen bleiben. Ingrid Van Bergen bewertet den Aufenthalt so: „Man hat sich um uns Kinder gesorgt, wir wurden verpflegt und medizinisch versorgt„. Und sie besuchte gemeinsam mit ihrem Bruder die Schule.

1948 konnten die Van Bergens nach Deutschland zurückkehren. Wohin, das konnte sie nicht selbst entscheiden. Buchstäblich eine Stecknadel, die blind in eine Karte der französischen Besatzungszone gesteckt wurde, entschied, wohin die Reise ging. Für die Van Bergens hieß der zukünftige Wohnort Reutlingen, in Baden-Württemberg.

In der ZDF Sendung „History: Auf der Flucht – Geschichten von Hoffnung und Verzweiflung“ werden noch weitere Fluchtgeschichten gezeigt. Durch die Sendung führt Sulaiman Tadmory. Er hat in Syrien die Hölle des Krieges erlebt. Über den Balkan konnte er entkommen. In seinem neuen Heimatland trifft er Betroffene der Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch aus der DDR und der Ukraine. 

Die sehr sehenswerte Sendung kann noch bis 29.04.2027 in der ZDF-Mediathek angeschaut werden.

Quellen:

  • Havrehed, Henrik: De tyske flygtninge i Danmark 1945–49, Odense Universitetsforlag 1987. ISBN 87-7492-638-1.
  • Svend Bach: „Om de tyske flygtninge i Danmark. Opgør med en myte“. Museet for Varde By og Omegn. ISBN 9788789834917.
  • shz: Als „Willkommenskultur“ ein Fremdwort war – Quelle: https://www.shz.de/17106776 ©2022
  • Deutsche Flüchtlinge in Dänemark © izrg http://www.vimu.info/general_04.jsp?id=mod_14_9&lang=de

Beitragsfoto: „ZDF-History: Auf der Flucht – Geschichten von Hoffnung und Verzweiflung“: Schwarz-Weiß-Aufnahme. Eine große Gruppe von Zivilisten mit Pferdewagen läuft auf gepflasterter Straße entlang. Quelle: © ZDF / dpa.

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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