Gebäude erzählen Geschichten: Rendsburger Nordmarkhalle

Wenn Gebäude reden könnten, würden sie die vielfältigsten, buntesten und verrücktesten Geschichten erzählen können. Das Leben spielt sich in den Gebäuden ab, seit Generationen und Epochen. Ob Dramen, Feste oder banaler Alltag, viele der Gebäude wahrten ihr würdiges Gesicht, während im Innern das Leben seine Spuren hinterließ.

Was geschah in Deutschland am Samstag, 9. August 1913? Der deutsche Chemiker und Unternehmer Friedrich Bergius meldete ein Verfahren zur „Kohleverflüssigung“ zum Patent an (1). Das daraus entstehende Benzin sollte später von den Nazis noch für den Betrieb von Kriegsmaschinen genutzt werden (2). Am selben Tag besuchte Kaiser Wilhelm II. die Stadt Lübeck, ob er später am selben Tag noch die Eröffnung der Nordmarkhalle in Rendsburg als städtische Viehhalle einweihte, lässt sich nicht eruieren.

Immerhin liegt Rendsburg am historischen Ochsenweg und die Halle an einem architektur-historischen Ort. Und dazu lässt sich einiges erzählen. Willy-Brandt-Platz heißt der Ort, wo wir die Nordmarkhalle finden. Der Ort ist, aus architektonischer Sicht, mehrfach historisch. Die Halle liegt gegenüber dem Rendsburger Bahnhof und weiter, für jedermensch sichtbar, erstreckt sich an selben Ort die Rendsburger Hochbrücke.

1. Oktober 1913 – Eröffnung der Rendsburger Hochbrücke

Die Rendsburger Hochbrücke, das „ungeheure Stahlgerüste“ und „Monstrum“ wie es Kritiker seinerzeit vor dem Bau nannten, war nach der Fertigstellung die größte Stahlkonstruktion der Welt. Die Eröffnung der Berücke geschah übrigens im selben Jahr wie die der Nordmarkhalle: am 1. Oktober 1913.

Rendsburger Hochbrücke im schwachen Sonnenuntergangslicht, Frühjahr, Sicht von Nordmarkhalle, Willy-Brandt-Platz. Aufnahme vom 22.04.2022,Rendsburg.

Erstellt wurde die Brücke (Baubeginn 1911) von rund 350 Arbeitern. Sieben Arbeiter starben bei der Montage. Sie misst eine Gesamtlänge von 2486 Metern. Die Arbeiter fügten 17.740 Tonnen Stahl mit 3,2 Millionen „aus bestem Siemens-Martin-Eisen hergestellten“ Nieten zusammen. Die Brücke war damit die größte Stahlkonstruktion der Welt (für den Eiffelturm wurden lediglich 7.300 Tonnen Stahl verbaut).

Zurück zur Nordmarkhalle. Die Halle diente anfangs als Schauplatz für Viehauktionen und wird im Volksmund heute auch Bullentempel genannt

Nordmarkhalle, Haupt-Eingang, Glaspavillion, für Gäste, vom Parkplatz zugänglich, Willy-Brandt-Platz. Aufnahme vom 22.04.2022,Rendsburg.

Die Zeiten der Viehauktionen sind längst vorbei. Heute dient das Gebäude als Veranstaltungszentrum, in dem in der Markthalle unter der Trägerschaft der Stadt Rendsburg regelmäßig unter anderem Wochenmärkte, Antik- und Trödelmärkte, Fundsachenversteigerungen und in der Mehrzweckhalle im Obergeschoss Konzerte stattfinden.

Politboxen in der Nordmarkhalle. Aufnahme vom 22.04.2022

Zu den Räumlichkeiten gehören neben der Markthalle und dem Konzertraum, der bis zu 1700 Steh- und Sitzplätze umfasst, auch ein Galerie-Lokal für kleinere Veranstaltungen und im Untergeschoss ein Gastraum.

Aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums der Nordmarkhalle im Jahr 2013 gab die Band Torfrock hier am 10. August 2013 ein Konzert. Auf dem Vorplatz werden zudem dreimal jährlich Jahrmärkte (Frühjahrs-, Sommer- und Herbstmarkt) abgehalten und Zirkusvorstellungen gegeben.

Sehr beliebt ist das Politboxen in der Nordmarkhalle. Das IQ! Institut ist privater Bildungsträger und Veranstalter des Politboxens und richtet dieses seit 2011 aus. Hier Fotos von der Veranstaltung von 2021.

Nordmarkhalle im schwachen Licht des Sonnenuntergangs, Willy-Brandt-Platz. Aufnahme vom 22.04.2022,Rendsburg.

Es lohnt sich Rendsburg zu besuchen. Nicht nur genannte Bauwerke sind interessant sondern auch weitere Sehenswürdigkeiten, siehe hier (Auszug):

  • Die „blue line“ (Blaue Linie) auf dem Pflaster der Innenstadt verbindet 30 Sehenswürdigkeiten und Kultureinrichtungen zu einem Stadtspaziergang.
  • Schiffsbegrüßungsanlage Rendsburg
  • Vor der Christkirche in Neuwerk steht das vom Hamburger Bildhauer Richard Kuöhl geschaffene, 1922 eingeweihte Denkmal für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen des hier stationierten Infanterie-Regiments „Herzog von Holstein“. Die Widmung des Denkmals wurde nach dem Zweiten Weltkrieg erweitert auf den Traditionstruppenteil II / I.R. 46 / 1939–1945.
  • Skulpturen repräsentieren die ehemaligen Stadtoriginale Stutentrine und Markgraf.
  • Eine Besonderheit sind die Skulpturen im Hans-Heinemann-Park.
  • Am Paradeplatz erinnert ein Denkmal an Uwe Jens Lornsen.
  • In Rendsburg gibt es 35 Stolpersteine zur Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus.

Weitere Geschichten und Geschicke aus Rendsburg und dem Kreis Rendsburg-Eckernförde, siehe hier im Blog.

Quellen:

  1. Patent  DE301231: Verfahren zur Herstellung von flüssigen oder löslichen organischen Verbindungen aus Steinkohle u. dgl.. Angemeldet am 9. August 1913, veröffentlicht am 26. November 1919, Anmelder: Friedrich Bergius und John Billwiller, Erfinder: Friedrich Bergius und John Billwiller.‌
  2. Die Verflüssigung von Kohle und das daraus entstehende Benzin brachten dem Chemiker Friedrich Bergius 1931 den Chemie-Nobelpreis ein. Seine Erfindung wurde vor allem von den Nationalsozialisten für den Betrieb von Kriegsmaschinen genutzt. Nach dem Krieg wurde das Verfahren verboten, heute ist es lange überholt. Quelle: Treibstoff für den Krieg

Alle Fotos (c) Willi Schewski

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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