Gebäude erzählen Geschichten: Hotel Rasch, Flensburg

Wenn Gebäude reden könnten, würden sie die vielfältigsten, buntesten und verrücktesten Geschichten erzählen können. Das Leben spielt sich in den Gebäuden ab, seit Generationen und Epochen. Ob Dramen, Feste oder banaler Alltag, viele der Gebäude wahrten ihr würdiges Gesicht, während im Innern das Leben seine Spuren hinterließ.

prächtige Holsteiner Austern zu stärkendem Nachtimbiß“ – Um das Haus Nr. 56 in der Großen Straße in der Flensburger Innenstadt ranken sich einige Geschichten. In dem Gebäude, das direkt zum Nordermarkt hin ragt und wo heute ein Restaurant untergebracht ist, fand sich im 19. Jahrhundert ein Hotel. In dem Haus, das den Namen Rasch trug, beherbergte illustre und weltberühmte Gäste: Hans Christian Andersen, Theodor Fontane u.a. hießen sie – doch die Geschichte ist ein wenig länger und auch nicht unblutig …

Marie Rasch (1823–1905) war die ehemalige Besitzerin des Hotels Rasch in der Großen Straße 56. Ihr zu Ehren wurde auch die gleichnamige Straße in Flensburg benannt.

Im Rasch stiegen einige illustre Gäste ab, über die an dieser Stelle berichtet wird:

Fangen wir an mit dem ersten Gast: Hans Christian Andersen, der sich zeitlebens nur H. C. Andersen nannte.

Andersen ist der bekannteste Dichter und Schriftsteller Dänemarks. Weltberühmt wurde er durch seine zahlreichen Märchen, unter anderem „Des Kaisers neue Kleider“, „Die kleine Meerjungfrau“, „Der standhafte Zinnsoldat“ oder „Die Prinzessin auf der Erbse“

Andersen besuchte Flensburg mehrfach. Auf seinen Reisen in den Jahren 1651–1663 stieg er mehrfach im Rasch ab. Eine Gedenktafel hängt an der Wand des ehemaligen Hotels und erinnert an seine Aufenthalte.

Dichter & Denker und der Deutsch-Dänische Krieg (1. Februar 1864 – 30. Oktober 1864)

Als weiterer berühmter Gast im Rasch weilte Theodor Fontane (30.12.1819 – 20.09.1898, deutscher Schriftsteller, Journalist und Kritiker). Im Mai und September 1864 reiste er nach Schleswig-Holstein und Kopenhagen (Dänemark), um über den Deutsch-Dänischen Krieg (1. Februar 1864 – 30. Oktober 1864) zu schreiben. Auch dazu gibt es eine Geschichte:

Als Fontane 1864 von Flensburg nach Sonderburg fuhr, passierte er Holniskliff mit dem Schiff. In seinem 1892 erschienenen Roman „Unwiederbringlich“ beschreibt er dieses.

Heute erinnert eine Gedenktafel an die inspirierende Bedeutung der Halbinsel Holnis (in der Umgebung der nördlichsten deutschen Stadt, Glücksburg, nahe Flensburg, siehe hier im Blog) für einen Roman von Theodor Fontane. Sie steht vor dem Fährhaus Holnis, damals wie heute ein Hotel- und Gastronomiebetrieb. Ihr Text lautet:

„Theodor Fontane (1819-1898) passierte Holniskliff mit dem Schiff, als er 1864 von Flensburg nach Sonderburg fuhr. In seinem 1892 erschienenen Roman Unwiederbringlich liegt auf einer dicht an die See herantretenden Düne Schloß Holkenäs, die gräfliche Residenz der Familie Holk, eine Sehenswürdigkeit für die vereinzelten Fremden.“

Fontane schreibt in sein Notizbuch über seine Ankunft im Hotel Rasch:

„Ankunft in Flensburg bald nach 3 Uhr. In Rasch Hôtel. Schlechtes Zimmer. Geſchlafen. Um 7 aufgeſtanden. Briefe geſchrieben. Thee getrunken. Um 11 zu Bett. Sonntag d. 25. September. Brief geſchrieben. Angezogen. Auf die Poſt. Spatzirgang durch die Stadt und auf den Kirchhof. Table d’hôte.Dr Lucae auf der Straße getroffen; mit ihm flanirt und Kaffe getrunken. Zeitung geleſen. An Stormund Emilie geſchrieben. Gepackt.“

Fontane „Notizbuch“ Quelle

Der nächste Gast im Rasch hieß König Christian IX. von Dänemark, der Stammvater der heutigen Glücksburger Linie auf dem dänischen Thron. Er weilt im Hotel im selben, blutigen Jahr 1864 .

Ebenso soll Wilhelm Camphausen im April 1864 im Rasch die Ehre gegeben haben. Wilhelm Camphausen (1818 – 1885) war ein deutscher Militär- und Schlachtenmaler der Düsseldorfer Schule. Camphausen besuchte das Schlachtfeld um dort zu malen. Er berichtet in seinem Buch „Ein Maler auf dem Kriegsfelde 1864: Illustriertes Tagebuch“ wie folgt:

In Flensburg Abends um 11 Uhr angekommen, wurden wir durch eine Ordonanz unseres verehrten Fürsten von Hohenzollern am Bahnhof empfangen und in das vom Kronprinzen für uns bestimmte Quartier, bei dem gemüthlichen Weinhändler Juhl, vis a vis Hotel Rasch befördert; eine um so freundlichere Überraschung, als wir uns, nach Aussagen der Mitreisenden unterwegs, schon mit Resignation in die Aussicht ergeben hatten, in der überfüllten Stadt, wenn nicht auf der Straße, doch besten Falles auf einem Stuhl im Wirthssaale die Nacht durch kampiren zu müssen.

Statt dessen fanden wir bei der bekannten Madam Rasch, die, ungeachtet ihrer dänischen Sympathien, aus der preußischen Invasion recht gut Capital zu machen versteht, im großen Speisesaal, dem permanenten Versammlungsort der Offiziere des Hauptquartiers, prächtige Holsteiner Austern zu stärkendem Nachtimbiß.

Dazu ergötzten wir uns zum ersten Male an dem kriegerischen Aussehen der anwesenden bärtigen Marssöhne, die in einigen wahrhaft riesigen Exemplaren mit rasselndem Korbschleppsäbel und hoher Reiterstiefel vorhanden waren.

Am andern Morgen, nach erquicklicher Ruhe im nationalen weichem Daunenbett, besahen wir uns zunächst die Stadt mit ihrer lang gestreckten Hauptstraße, ihren alterthümlichern Giebelhäusern, dem stattlichen Hafen, an dem wir, in langen Zügen die frische Luft athmend, auf und nieder wandelten.

Dann machten wir dem Fürsten von Hohenzollern unsere Aufwartung, der uns mit gewohnter Liebenswürdigkeit empfing, zur vorläufigen Orientirung mit höchst beachtungswerthen Notizen versah und uns Mittags zu einem soldatischen Gabelfrühstück einlud.

Bis dahin besuchten wir den hoch über der Stadt gelegenen Kirchhof mit seinen Denkwürdigkeiten, den Gräbern der 1850 bei Idstädt gefallenen Dänen, den kürzlich zerstörten Fundamenten des berüchtigten Bronze-Löwen und die köstliche Aussicht auf den Hafen und die ferne tiefblaue See.

Quelle

Im Raschs Hotel war, wie in dem Bericht oben zu lesen, auch das Hauptquartier der dänischen Armee untergebracht.

In der Schrift „Flensborg under krigen i 1864 – oplevet af byens danske“ („Flensburg während des Krieges von 1864 – erlebt von den dänischen Seite„) heißt es:

„Flensburg war immer noch voll von dänischen Offizieren und Soldaten. Doch zum ersten Mal seit 1850 hatten die Dänen der Stadt das Gefühl, dass die Stadt nicht nur ihnen gehörte. Unter den Deutschen herrschte eine erwartungsvolle Aufregung.

Hinter vielen aufgerollten Vorhängen waren schleswig-holsteinische Fahnen aufgenäht, und während viele Dänen der Stadt als Zeichen der Trauer um den Tod Friedrichs VII. noch schwarze Bänder um den Hut oder den linken Jackenärmel trugen, fanden sich die blau-weiß-roten schleswig-holsteinischen Farben in der Kleidung der deutschsprachigen Einwohner der Stadt wieder.“

Rasch’s Hotel, Nørretorv, Flensburg, ca. 1860 Insert: Marie Rasch (Quelle)

Soweit die Recherchen des Verfassers über die Geschichte des Gebäudes Hotel Rasch. Das genaue Alter des Hotelbaus ist offenbar unklar. Ein altes Bild aus der Zeit um 1860 zeigt das Hotel aber beispielsweise schon (Vgl. dort).

Leider fehlen dem Verfasser weitere Informationen darüber was mit dem Haus im 20. Jahrhundert geschah. Madame Rasch (Zitat W. Camphausen) lebte bis 1905.

Seit ein paar Jahren wird das Gebäude gewerblich genutzt von einem Reisebüro (Gebäude Erdgeschoss, mittlerweile wieder raus) und Gastronomen (Zugang vom Nordermarkt) mit verschiedenen Namen. Ob die Gäste je wussten dass in dem Gebäude einst der Schlachtenmaler Wilhelm Camphausen „prächtige Holsteiner Austern zu stärkendem Nachtimbiß“ genoss? Ok, jetzt besser informiert, dank des Blogs!

Weitere Gebäude-Geschichten folgen – bleiben Sie bei der Stange! Man kann das Blog auch abonnieren. Danke!

Ehemaliges Hotel Rasch, Sicht von der Großen Straße auf das Gebäude, links hinten Teile des Nordermarktes zu sehen.

Beitragsfoto: Ehemaliges Hotel Rasch, Sicht vom Nordermarkt

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Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

2 Kommentare zu „Gebäude erzählen Geschichten: Hotel Rasch, Flensburg“

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