Krimi „Jakobs Weg“: Spannung, Dramatik – und ein fragwürdiges Ende

Das Buch hat nicht wirklich überzeugt. Warum ich zu dieser Einschätzung komme und es sich dennoch lohnt, über den Inhalt des Buches zu diskutieren, soll Inhalt des folgenden Posts sein

Zugegeben, als ich die Verlagsbeschreibung zu dem Buch „Jakobs Weg“ von Autor Jörg H. Trauboth las, war ich skeptisch: Lässt sich das Thema sexuelle Gewalt und eine Pilgerwanderung zusammen in einen spannenden und guten Krimi-Roman verpacken? Der Roman wirft einige Fragen auf ….

Worum geht es?  Acht Personen aus europäischen Ländern erhalten eine anonyme Aufforderung, sich am französischen Jakobsweg in den Pyrenäen einzufinden, anderenfalls würde ein beigefügtes Video über sexuelle Gewalttaten an Kindern den Medien zugespielt. Alle erscheinen. Mit ihnen der ebenso anonym eingeladene BKA-Ermittler Joe Jaeger sowie Hanna Dohnanyi, eine Investigativ-Journalistin.

Auf der Pilgerwanderung von Saint-Jean-Pied-De-Port nach Burgos ereignen sich in der Gruppe mysteriöse Todesfälle. Der mystische Glaubensweg wird für die mutmaßlichen Missbrauchstäter zu einem Pilgerweg der Angst. Joe und Hanna stehen vor Rätseln, bis sie bei ihrer Recherche auf dem Jakobsweg selbst in Lebensgefahr geraten.

Zur Erläuterung: Der klassische Jakobsweg, auch Camino Francés (deutsch: „Französischer Weg“) genannt, hat eine Länge von knapp 800 Kilometern. Der überwiegende Teil des Buches spielt auf der Route von Saint-Jean-Pied-de-Port (auch der Startpunkt des klassischen Jacobswegs) nach Burgos.

Das Ende des Buches kommen noch die Orte in Santiago de Compostela sowie Kap Finisterre zur Rede.

Für viele Jakobspilger gilt das Kap Finisterre als das eigentliche Ende des Jakobswegs – der Camino a Fisterra endet hier. Die Wanderer setzen ihren Weg von Santiago dorthin fort oder besuchen es nach dem Ende ihrer Wallfahrt mit dem Bus. Aufnahme in der Pilgerherberge von Fisterra erhalten jedoch nur diejenigen, die zu Fuß, zu Pferd oder mit dem Fahrrad die Strecke von Santiago nach Fisterra zurückgelegt haben.

Der Roman „Jakobs Weg“ von Autor Jörg H. Trauboth, herausgegeben beim Verlag „Ratio books“ als Taschenbuch, hat 392 Seiten und ist in 12 Kapiteln eingeteilt. Die Kapitel 9 und 10 beschreiben die eigentliche Pilgerwanderung. 

BKA-Ermittler Joe Jaeger sowie Hanna Dohnanyi spielen die „Hauptrollen“ in dem Roman. 

Neben der eigentlich Krimi-Handlung erfährt der Leser Fakten über die Ermittlungsarbeit der Behörden mit all ihren Problemen und Zahlen von sexueller Gewalt an Kindern, ohne jedoch zu sehr ins Detail zu gehen.  

Im  Kapitel 11 erläutert der Autor unter „Warum dieses Buch?“ auf mehreren Seiten seine Intension.  

Kritik:

Positiv sei hervorgehoben, dass Autor Jörg H. Trauboth ein reich recherchiertes Fleißwerk geschaffen hat. Der Text liest sich flüssig und unkompliziert, er verzichtet weitgehend auf Floskeln und Füllwörter und Klischees. Orte (also v.a. der Jakobsweg) werden bildgewaltig dargestellt, die Charaktere der Figuren wirken – mit einer Ausnahme (mehr dazu weiter unten1) – lebensecht.

Weiter lobend zu erwähnen, dass Jörg H. Trauboth die Geschichte – grundsätzlich spannend aufbaut, die Spannungsbögen wechseln, mal unterbrochen von schicken Landschaftsbeschreibungen und geschichtliche Hintergründe zur Entspannung und detailierte Beschreibungen der Konflikte der Figuren, die ja den Kitt eines Krimis ausmachen. 

Negativ: Bis auf Seite 330 konnte ich – etappenweise wie die Reise – den Text mit Freude lesen. Dann kommt es zum Showdown und hier setzt meine Kritik ein. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, frage ich mich, wie kann eine Person psychisch, die gerade erst unter Lebensgefahr einen GSG9-Einsatz übersteht und überlebt, ohne Blessuren weiter machen? 

Genante, besser gesagt – nicht Genannte, soll dabei nicht nur ein schweres Trauma erleben sondern einen Tag später, unter Kapitel 11 „Offenbarung“ ein weiteres: Wieder höchste Lebensgefahr – und als Klimax: ein blutiges Gemetzel. Und das geht spurlos an der Protagonistin vorbei? Wohl nur im Roman. Aber ist ein Roman nicht um so geiler, je realistischer er ist? 

Gerade doch der Autor Jörg H. Trauboth, der für die Bewältigung von Erpressungs- und Entführungslagen in Südamerika und Osteuropa eingesetzt wurde und Mitglied im Krisen-Interventions-Team des Auswärtigen Amtes ist und inzwischen in über einhundert Fällen der seelsorgerischen Krisenintervention gerufen wurde, muss es wissen: Gewaltopfer erleiden ein Trauma, nicht wenige eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) – und im Fall „Jakobs Weg“ etwa nicht?

Abgesehen von der am Ende unglaubwürdigen Figur missfiel mir das Gemetzel, das wie ein abruptes Ende aussah, wie, als wolle der Autor das Ding irgendwie rasch zum Schluß bringen.  

Kritik an Wortwahl: „sexueller Missbrauch 

Zwar wird am Anfang des Buches der Begriff „sexueller Missbrauch“ als verharmlosend erklärt und der wahre, treffende Begriff ,“sexuelle Gewalt“ genannt, dennoch wird im Buch überwiegend der verharmlosendere Begriff „sexueller Missbrauch“ genannt. Das missfällt und ist irritierend. Der Begriff sexuelle Gewalt sollte beibehalten werden, auch um die Dynamik und die Folge von dieser Gewalt deutlich aufzuzeigen.

Kritik am Begriff „Kinderpornografie“

Im Weiteren fällt immer wieder der Begriff „Kinderpornografie“. Auch dieser Begriff missfällt mir er ist zudem falsch.  Auch wenn dieser regelmäßig in den Medien und Berichten der Polizei genannt wurde und wird – er ist falsch! 

Die vor einigen Jahren verstorbene Psychologin und Autorin Monika Gerstendörfer (2001a, S.23) spricht von „Kinderfolter- Dokumentationen“ und Wuttke (Kuhnen 2007,S.61 nach Wuttke 2003, S.117) von „gefilmter oder fotografierter sexueller Gewalt“ und von „Sexuelle Ausbeutung von Kindern für pornografische Zwecke“ (Kuhnen 2007,S.61).

Kritik am Begriff „Pädophil

Regelmäßig wird in dem Roman der Begriff „Pädophilie“ genannt. Ja, er ist gebräuchlich – aber er ist irreführend und falsch. Ja, in dem Buch geht es um Männer, die Kinder, Jugendliche und sogar Babys sexuelle Gewalt zufügen, sie schwer misshandeln und  ihnen schwere seelische Verletzungen zufügen. Ja, es ist abscheulich, aber genau genommen bedeutet der Begriff  „Pädophilie“ so viel wie „Knabenliebe“

Ich zitierte hierzu eine Einschätzung dazu bei NetzwerkBplus, einer Betroffenenvertretung: 

Da Pädophilie  als psychische Störung gilt, wird dadurch der falsche Eindruck erweckt, sämtliche Täter seien krank , bzw. psychisch gestört. Tatsächlich ist jedoch der weitaus überwiegende Teil (80 bis 98 Prozent) derer, die sexualisierte Übergriffe auf Kinder verüben, ist weder krank, noch ausschließlich an Kindern als Sexualpartner interessiert, und funktioniert auch in den meisten Lebensfeldern völlig normal und unauffällig. 

Pädophilie` ist ein verschleiernder Begriff, der die bereits in der eindeutigen Interessenslage der so genannten Pädophilen enthaltene Gewalt unsichtbar macht, indem er es als Kinderfreundschaft , bzw. Kinderliebe bezeichnet. 

Wir Betroffene von sexualisierter Gewalt halten diese Begriffe für zynisch und absolut gefährlich. Aussagekräftiger und den Tatsachen gerechter werdend sind die Bezeichnungen Pädosexualität, bzw. Pädosexueller, weil diese klar die primäre sexuelle Präferenz für Kinder benennen und damit sichtbar macht, um was es wirklich geht.

Das Ausleben sexualisierter Gewalt an Kindern – sei es durch Pädosexuelle, die motiviert durch ihre sexuelle Präferenz agieren, oder durch Gewalttäter, deren Sexualität nicht ausschließlich auf Kinder fixiert ist – ist Pädokriminalität.“ Quelle u. weitere Infos Netzwerkbplus.

Fazit: Ich beschäftige mich seit über 35 Jahren mit dem Thema Gewalt gegen Kinder und Prävention. Ich habe zahlreiche Fach- und Sachliteratur studiert (Literaturempfehlungen am Ende) und Autobiografien und Lyrik & Prosatexte zum Thema Gewalt gegen Kinder gelesen und ich erweitere mein Wissen regelmäßig durch Infos aus dem Internet (z.B. hier), Zeitschriften und Sendungen im TV.

Autobiografien von Betroffenen von Gewalt halte ich für am authentischsten und oft literarisch am wertvollsten, wenn es darum geht, das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder und dessen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft zu transportieren.

Beispielsweise die Literatur von Mariella Mehr, oder auch Andrew Vachss und Christiane Rochefort – alles Autoren, die ganz unterschiedlich schreiben aber die alle mit Sprachgewalt und hoher Poesie erzählen. 

Leider halte ich den Kriminalroman „Jakobs Weg“ für misslungen. Der Handlungsrahen und der Ort des Geschehens (Pilgerweg der Angst ) halte ich für ungeeignet. Er wirkte auf mich unecht und bot mir einen bitteren Nachgeschmack.

Dieser Krimi wird dem Leid der Opfer nicht gerecht. Das Gemenge des Problems der sexuellen Gewalt gegen Kinder in einem Krimi, der sich am Jacobsweg mit Gewalt entfaltet, runterzubrechen, halte ich für misslungen.

Und das Fach-Thema am Ende auf nur sechs Seiten (377 – 382) abzuhandeln und auf fünf Seiten Kontakt für Hilfe bei Verdacht und in der Not zusammenzupferchen, verärgert mich und wird dem Drama nicht gerecht. 

Dennoch: Der Versuch des Autos ist löblich, es MUSS über das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder (inkl. „Kinderfolter- Dokumentationen“) debattiert werden. Immer wieder. Es lohnte sich ein ausführliches Buch zu schreiben nur über die Arbeit der Kripo und deren Kampf gegen die Täter, die sich in kriminellen Vereinigungen tummeln um, im Darknet die Kinderfolter- Dokumentationen schauen und verbreiten. 

Literaturempfehlungen: Fach- und Sachliteratur: Alice Miller, Monika Gerstendörfer, Elisabeth Trube-Becker, Florence Rush, Michael Tsokos & Saskia Guddat, Ingrid Müller-Münch, Lloyd deMause, Alexander Markus Homes, Sven Fuchs.

Autobiografien: Manfred Bieler, Fritz Zorn, Didi Lindewald, Markus Breitscheidel, Andreas Altmann und

Romane, die das Thema Gewalt gegen Kinder beinhalten: Andrew Vachss, Christiane Rochefort, Mariella Mehr.

Noch ein TV-Tipp: „Cybergrooming: Wie Pädophile Kinderchats missbrauchen“ (Link). 

„Handelsware Kind – die Mafia der Menschenhändler“ (Link)

ZDF: „Auf der Spur der Täter. Delikt Kinderpornografie“ (Link)

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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