Traumafolgekosten für Deutschland: 11 Milliarden Euro

Es ist eine Zahl, die erschreckt: 11 Milliarden Euro kosten die Gesellschaft jährlich die Folgen von Kindesmisshandlung, sexuelle Gewalt und Vernachlässigung. Die Weltgesundheitsorganisation spricht 2014 in ihrem europäischen Report zur Prävention von Kindesmisshandlung davon, dass Kinderschutz ein generelles und führendes Gesundheitsproblem in ganz Europa darstellt.

Auf der Basis unterschiedlicher Studien betont die Weltgesundheitsorganisation, dass die gesellschaftlichen Kosten von Misshandlung sehr hoch seien und Politiker und Verantwortliche der Prävention von Kindesmisshandlung eine größere Priorität zumessen sollten.

Neben verschiedenen anderen Studien bezieht sich die Weltgesundheitsorganisation dabei auf die deutsche Traumafolgekostenstudie der Arbeitsgruppe um Prof. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, die in 2012 zusammen mit dem Kieler Institut für Gesundheits- System-Forschung GmbH und der Barmer GEK im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBF) erstellt wurde.

Diese Traumafolgekostenstudie wurde international stark beachtet und liegt neben der deutschen Berichtform auch in einer englischsprachigen open access Version vor.

Traumafolgen könnten wirkungsvoll behandelt werden

Die Studie stützt sich auf Daten der Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen aus dem Jahr 2009. Nach aktuellen Häufigkeitszahlen waren von den insgesamt 53,9 Millionen Deutschen dieser Altersgruppe 14,5 % von schwerer bis extremer Kindesmisshandlung, -missbrauch oder Vernachlässigung betroffen.

Das Leid ihrer Biografien ist nur schwer zu fassen“, wird zitiert Prof. Jörg M. Fegert. „Etwa ein Fünftel dieser Menschen – rund 1,6 Millionen Betroffene – tragen Langzeitfolgen davon, die die Gesellschaft jährlich 11 Milliarden Euro kosten.“

Die Berechnung berücksichtigt etwa Arbeitslosenunterstützung, Kriminalitätsfolge- und Therapiekosten. Allein im Gesundheitswesen fallen vorsichtigen Schätzungen zufolge jährlich Kosten zwischen 500 Millionen und drei Milliarden Euro für die Versicherungsgemeinschaft an.

Wir wollen mit diesen Zahlen nichts dramatisieren, sondern etwas thematisieren“, wird zitiert Prof. Fegert, „Traumafolgen können heute gezielt und wirkungsvoll behandelt werden, wenn niedrigschwellige Angebote gemacht und frühzeitig in Anspruch genommen werden. Langzeitfolgen lassen sich so mildern und Kosten eindämmen.

Dimension des Problems muss ins das Bewusstsein der Entscheidungsträger gelangen

Prof. Fegert befasst sich seit über 20 Jahren mit diesem Thema. Er ist u.a. Mitglied im Beirat des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und Sprecher der dortigen Konzeptgruppe Forschung. Prof. Fegert: „Durch die öffentliche Diskussion der vergangenen fünf Jahre ist vieles in Bewegung gekommen. Die Dimension der heutigen Problematik ist aber nach wie vor nicht erkannt. Es ist zwar gelungen, in Deutschland mehr Aufmerksamkeit für den Kinderschutz zu erreichen.

Die tatsächliche Dimension des Problems heute ist allerdings bei vielen Entscheidungsträgern noch nicht ins Bewusstsein gelangt. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von 18 Millionen Kindern, die derzeit in Europa von sexuellem Missbrauch betroffen sind.

Fortschritte im Kinderschutz gehören zu den größten Gesundheitsherausforderungen in der Welt und in Europa. Deshalb müssen wir Forschungsprioritäten definieren, kontinuierlich ein Monitoring etablieren, welches die Folgen von Verbesserungen in Prävention und Intervention erfasst und die Zusammenarbeit zwischen Praxis und Forschung verbessern.

Quellen: http://www.euro.who.int/en/publications/abstracts/european-report-on-preventing-child-maltreatment-2013

http://beauftragtermissbrauch.de/fileadmin/Content/pdf/Literaturliste/Publikat_Deutsche_Traumafolgekostenstudie_final.pdf

http://www.capmh.com/content/6/1/35

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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