Flensburg: Kundgebung zum 1. Mai – ein geschichtsträchtiger Tag

Der Erste Mai wird als Tag der Arbeit, Tag der Arbeiterbewegung, Internationaler Kampftag der Arbeiterklasse oder auch als Maifeiertag bezeichnet.

Am 1. Mai 2021 fand in Flensburg auf dem Südermarkt die Maikundgebung der Gewerkschaft statt (hier zur großen Fotogalerie). Teilnehmen konnten aufgrund der Coronamaßnahmen nur 100 Menschen. Die Geschichte der Gewerkschaft ist eine bewegende, insbesondere die in der Nazi-Zeit. In Flensburg geschahen, einen Tag nach dem Meifeiertag, am 2. Mai 1933 unschöne Dinge:

Mitglieder der SA und der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation besetzen in einer präzise vorbereiteten Aktion Büros und Redaktionshäuser der im ADGB organi­sierten Freien Gewerkschaften. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden in „Schutzhaft“ ge­nommen und das Gewerkschaftsvermögen beschlagnahmt. 

Auch in Flensburg besetzte die SA das Gewerkschaftshaus. Hans Nielsen schildert in seinen Erinnerungen: „Am Morgen des 2. Mai hörte ich auf der Straße, dass die Nazis das Gewerkschafts­haus besetzt haben sollen. Zuerst glaubte ich an ein leeres Gerücht. Um mich per­sönlich zu überzeugen, ging ich durch die Burgstraße, und da hörte ich schon von weither `Gesang´ und Heilrufe. Also war es nicht nur ein Gerücht. Dann stand ich an der Ecke Burg- und Schloßstraße beim Logenhaus und sah mir das Schauspiel an.

Die Fenster standen weit offen und überall hingen die SA-Leute aus den Fenstern und gröhlten `Heil Hitler´ und sangen das Horst-Wessel-Lied. (…) Mich traf die Gleich­schaltung der Gewerkschaften und ihre kampflose Kapitulation schwer, ja schwerer noch als die Auflösung und das Verbot der Parteien.(…) Wohin ich auch sah – nichts als Trümmer. Die Fundamente, auf die ich mein Leben aufgebaut hatte, erwiesen sich als nicht mehr tragfähig.

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gehörten zu den frühesten und aktivsten Gegnern des Nationalsozialismus. Viele von ihnen bezahlten Widerspruch und Widerstand mit der Inhaftierung in Konzentrationslagern.

Aber Gewerkschafter trugen auch Verantwortung. Wir haben Professor Dr. Michael Ruck von der Uni Flensburg gebeten, sich für uns in einem Vortrag* mit der Rolle der Gewerkschaften selbst auseinanderzusetzen.

Wie reagierten sie auf die in den 1930er Jahren politisch immer stärker werdenden Nationalsozialisten? Welche innergewerkschaftlichen Konflikte gab es? Wieso riefen sie noch zur Kundgebung am 1. Mai 1933 auf, obwohl die Nationalsozialisten den Tag längst zum „Tag der nationalen Arbeit“, zum „Tag der Volksgemeinschaft“ erklärt hatten?

*Eine Auszug aus seinem Vortrag: Unter „1933 – Schlusspunkt eines Irrwegs?“ heißt es:

„…. Mit der Teilnahme am nationalsozialistischen Maispektakel hatte die gewerkschaftliche „Kapitulation auf Raten“38 ihren Höhe- und Endpunkt erreicht. Dieser Anpassungskurs ist vor allem von der „marxistisch-leninistischen“ Geschichtsschreibung als Verrat gegeielt worden, der sich zwangsläufig aus den Sündenfällen der reformistischen Partei- und Gewerkschaftsführer von 1914 und 1918/19 ergeben habe.

Demgegenüber gilt es zwei Dinge festzustellen:

Erstens gibt es keinen Anlass, an den lauteren pers nlichen Motiven jener M nner in den Vorstandsetagen der Gewerkschaften zu zweifeln, die sich – wie so viele andere auch – den hohen Ansprüchen, welche die historische Ausnahmesituation an sie stellte, letzten Endes nicht gewachsen zeigten.

Und zweitens hat nicht etwa die Arbeiterbewegung, jedenfalls nicht die demokratische, die erste deutsche Republik unterminiert und die Überreste den Nazis ausgeliefert – das besorgten die alten, konservativ-reaktionären Eliten in Wirtschaft und Politik, Verwaltung und Justiz, Wissenschaft und Militär ganz allein.

Doch frei von Schuld am Scheitern des demokratischen und sozialen Experiments von Weimar waren die Gewerkschaftsführer mitnichten. Es lassen sich schwere Fehler und Versäumnisse benennen, mit denen sie dessen Feinden auf der Rechten und im Unternehmerlager das unheilvolle Spiel erleichtert haben.“ Quelle (pdf)

Quelle: DGB

Autor: Willi Schewski

Fotograf. Blogger. Autor. Fotojournalist

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